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Initiative gegen sexuelle Gewalt an Schulen
Spielerisch Nein sagen lernen

Komische Blicke, verstörende Worte oder Umarmungen: Wenn Kinder das Verhalten von Lehrern nicht mögen, sollten sie Nein sagen - denn unter Umständen schützt sie das vor sexuellem Missbrauch. Doch wie können sie das lernen? Genau das will die Initiative "Trau dich" vermitteln.

Von Michael Watzke | 12.10.2017
    Mitglieder der deutsch-schweizerischen Künstlergruppe «Kompanie Kopfstand» stehen während der Uraufführung des Stückes «Trau dich!» am 01.03.2013 auf der Bühne des Renaissance-Theaters Berlin. Zuvor hatte Bundesfamilienministerin Schröder (CDU) die bundesweite Initiative "Trau dich!" zur Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs gestartet.
    Das Theaterstück "Trau dich" ist Teil der bundesweiten Initiative zur Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs und in verschiedenen Städten zu sehen (dpa / Soeren Stache)
    "Herzlich Willkommen!"
    Der Große Saal des Deutschen Theaters in München: 400 Schülerinnen und Schüler erleben "Trau dich" - ein Theaterstück über den Mut, Nein zu sagen.[1] Diesen Mut braucht zum Beispiel Wladimir, 10 Jahre alt. Denn:
    "Wladimirs Oma verteilt Schlabberküsse." "Hallo Oma!" "Purzelbäumchen! Da bist du ja endlich! Knuuuuuutsch!"
    Die Oma - Strickjacke, graue Haaren - knutscht Wladimir auf der Bühne mit ihrer langen Schlabberzunge nieder. Im Publikum kichern und winden sich die Schulkinder vor Abscheu.[2] Botschaft: Wenn man etwas nicht mag, soll man deutlich Nein sagen. In peinlichen Situationen wie mit der Schlabber-Oma, aber auch in gefährlichen Situationen wie mit Lehrer Dennis und Schülerin Alina.
    "Dennis will, dass Alina die Autotür schließt. Er sagt so komische Sachen." "Du hast schöne Haut." "Er legt seine Hand auf ihren Oberschenkel. Dann schaut er sie ganz merkwürdig an." "Hör mal zu, Alina: Das hier ist unser Geheimnis!"
    Besser gleich darüber sprechen anstatt später
    Ein schlechtes Geheimnis. Denn hier geht es um sexuellen Missbrauch. Die Schulkinder lernen in der Theateraufführung spielerisch ...
    "Dass man schlechte Geheimnisse weitererzählen soll - nur gute Geheimnisse sollte man für sich behalten oder einer Freundin erzählen." "Dass man sich auch wehren und den anderen sagen darf, dass man Hilfe braucht." "Und dass man sich auch trauen muss, was zu sagen. Und das sollte man am besten gleich sagen anstatt später."
    Schüler über ihre Rechte aufklären
    Die Initiative "Trau dich" präsentiert den Schulkindern und den sie begleitenden Lehrern jede Menge Hilfsangebote. Von der Telefon-Hotline über Ansprechpartner an den Schulen bis zur Internetseite www.trau-dich.de, auf der die virtuellen Schulkinder Lina und Leon warten.
    "Hey, cool, dass du uns gefunden hast. Dann kannst du ja gleich mitmachen und uns helfen, denn: Wissen macht stark!"
    Hinter der "Trau dich"-Kampagne gegen sexuellen Missbrauch steckt die BZgA - die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln. Sie hat mit der Initiative schon über 44.000 Mädchen und Jungen erreicht, sagt die Leiterin der BZgA, Heidrun Thaiss.[3]
    "Die Initiative 'Trau dich' möchte Kinder über ihre Rechte aufklären. Über den Schutz, den sie vor sexueller Gewalt einfordern können. Sie möchte ihnen Mut machen und ihr Selbstbewusstsein stärken."
    Lehrer sind dabei wichtige Partner. In Bayern haben schon mehr als 8000 Kinder das Theaterstück gesehen.[4] Das vornehme Deutsche Theater in München mit seinem eindrucksvollen Saal bietet dafür die perfekte Bühne. Denn das zeige, so die Sozialpädagogin Uli Freund:
    "Hier steht die Politik dahinter. Hier wird auch ein bisschen Geld dafür in die Hand genommen. Denn das Stück soll ja nicht in irgendwelchen Schulturnhallen oder versteckten Hinterhöfen stattfinden, sondern: Stadttheater! Das ist der Ort, in dem so ein Thema platziert wird. Mitten in der Gesellschaft. Das möchten wir auch den Kindern damit zeigen: Es ist ein Thema, über das alle reden können - auch in so vornehmen Räumen!"
    Lehrer oft die wichtigsten Früh-Erkenner
    Das Mitreden nehmen die Schauspieler des Theaterstückes "Trau dich" ganz wörtlich: sie beziehen das junge Publikum in das Bühnengeschehen ein. Etwa über in der Pause gedrehte Video-Sequenzen.
    "Ich habe gerade mit einigen von euch gesprochen und gefragt, woran ihr erkennt, wie sich jemand fühlt. Also: Hier wurde gesagt, man sieht ganz eindeutig am Gesicht, wie es jemandem geht. Wenn es immer länger wird und fast auf dem Boden hängt, dann ist die Person entweder gelangweilt oder einfach nicht so gut drauf."
    Und dann lohnt es sich, mal nachzufragen oder nachzuhaken. Auch für Lehrer. Denn die, so Heidrun Thaiss, seien oft die wichtigsten Früh-Erkenner. Manchmal noch vor den Eltern.
    "Schulen und deren Lehrkräfte kennen idealerweise die Hilfesysteme vor Ort und sind mit ihnen vernetzt. Und können dann im Bedarfsfall auch schneller und nachhaltiger erreicht werden. Wir qualifizieren weiterhin Fachkräfte, die den Kindern im Bedarfsfall als Institutionen zur Verfügung stehen."
    Im Mittelpunkt der Initiative: das Theaterstück "Trau dich". Die nächsten Aufführungen: Ende Oktober in den Stadthallen von Weilburg und Hofheim in Hessen.

    Anmerkungen der Redaktion: An zwei Stellen [1,2] im Text wurde Zahlenangaben präzisiert, an einer wurde aus redaktionellen Gründen ein Zitat ausgetauscht.[3] In einem Absatz [4] haben wir die Bedeutung der Lehrer als Partner für das Projekt genauer dargestellt.