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Inklusion erfolgreich umsetzen

Gemeinschaftsschulen und Integration von Förderschülern in die Regelschule - beides ist politisch gewollt. Viele Lehrerinnen und Lehrer sind auf die Heterogenität ihrer Schüler aber nicht vorbereitet. Hilfestellung will der Deutsche Lehrertag bieten. Eine Forderung: dem Fachlehrer einen Sonderpädagogen zur Seite zu stellen.

Von Ludger Fittkau | 30.11.2012
    Livemusik einer Band der örtlichen Popakademie zum Auftakt des Deutschen Lehrertages in Mannheim. Ob hochbegabt oder lernbehindert– musizieren kann Schüler zusammenbringen. Auch "Moodi" Mudarg, der Drummer der Band, hat schon mit Behinderten gearbeitet:

    "Ja, ich habe tatsächlich schon mal in einem Wohnheim gearbeitet und habe dort behinderte Menschen unterrichtet, Schlagzeug unterrichtet und habe diesbezüglich schon entsprechende Erfahrungen sammeln können und das war sehr, sehr spannend."

    Diese Erfahrung fehlt allerdings vielen Lehrern an Regelschulen bisher. Inklusion von Förderschülern in Regelklassen mit 30 und mehr Schülern ohne sonderpädagogische Unterstützung – das können sich viele Lehrer wie übrigens auch Eltern nicht so recht vorstellen. Eine Realschullehrerin aus Baden-Württemberg, die ihren Namen nicht nennen will, spricht von der Verunsicherung oder sogar dem Ärger vieler ihrer KollegInnen:

    "Bei uns ist es schon auch so. Es fehlt dann auch die finanzielle Unterstützung, dass man das gut ausbauen kann. Das richtige Konzept sehen wir noch nicht."

    Vom Deutschen Lehrertag mit dem Thema "Anders sein ist normal – Heterogenität als Herausforderung" erwarten die rund tausend Pädagogen deshalb konkrete Hilfestellung:

    "Grundsätzlich erwarte ich einfach, dass einem gezeigt wird, inwieweit Schüler unterschiedlich sind und inwieweit ich Hilfestellung bekomme als Lehrer, weil dass dann doch in der Ausbildung oft zu kurz kam."

    "Wir müssen noch lernen in der Schule, die Verschiedenartigkeit der Schüler in der Schule noch mehr in den Blick zu nehmen. Wir haben in jeder Klasse in Deutschland Schüler, die krank sind, Schüler die Schwierigkeiten haben, in bestimmten Fächern zu lernen. Wir haben Schüler, die in ihrem Verhalten große Schwierigkeiten haben. Und das alles in den Griff zu kriegen, wird immer schwieriger."

    Gerhard Brand, der Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung in Baden-Württemberg formuliert die Grundbedingungen, die der Lehrerverband für eine erfolgreiche Inklusion von Förderschülern in Regelschulen stellt. Vor allem, dass in jeder gemeinsamen Unterrichtsstunde dem Fachlehrer ein Sonderpädagoge zur Seite gestellt wird. "Zwei-Pädagogen-Prinzip" nennt das Gerhard Brand:

    "Das ist die notwendigste Voraussetzung, die wir haben, wenn wir an Inklusion denken. Und nicht allein nur deshalb, damit ein Lehrer mal auf einen Schüler reagieren kann, wenn dieser das nötig hat. Sondern damit wir auch den pädagogischen Fachbedarf und die Fachkompetenz in diese Klasse bringen."

    Für das Lernen in Inklusionsklassen sind ganz andere Methoden nötig als bisher. Etwa die sogenannte "Lerntheke" – eine Materialsammlung in der Klasse, zu der jeder Schüler auch individuell greifen kann, um dann in seinem eigenen Tempo zu lernen.

    In der Ausstellung von Bildungsmedien, die ein Teil des Deutschen Lehrertages ist, werden auch neue Lehrmaterialien gezeigt, die eigens für solche "Lerntheken" gestaltet wurden. Claudia Huber, Schulberaterin eines Berliner Schulbuchverlages, stellt Hefte aus einer sogenannten "Inklusions"-Materialmappe vor:

    "Und das Schöne ist, jeder kann hier individuell arbeiten. Das heißt, diese Hefte werden in individuellem Tempo durchgearbeitet. Es gibt zwar immer noch gemeinsame Phasen, Plenums-Phasen im Unterricht. Aber: Jeder in seinem Tempo. Und auch die Klassenarbeiten werden nicht mehr zu einem Zeitpunkt geschrieben, sondern jeder immer dann, wenn er so weit ist."

    Rüdiger Gummert ist Lehrer in der Nähe von Kiel - und von der Methode der "Lerntheke" begeistert:

    "Wir haben eine andere Rolle. Wir sind nicht mehr der Lehrer, nicht mehr der Lehrende, sondern wir begleiten sie dabei. Und dann kommen Rückmeldungen von den Jugendlichen – ich erinnere mich gerade an einen, der sagte, ich habe gar nicht gewusst, dass ich mich so lange konzentrieren kann. Selbst gewählt, das baut auf."