Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Inklusion
Henri sucht eine Schule - immer noch

Der Streit um die Zukunft des geistig behinderten Jungen Henri aus Baden-Württemberg geht weiter: Nach Ablauf der Grundschulzeit in einer inklusiven Klasse findet sich keine ortsnahe weiterführende Schule, die ihn aufnehmen will. Der Kultusminister stellte sich jetzt hinter diese Schulen.

Von Michael Brandt | 16.05.2014
    Der Viertklässler Henri in einem Klassenraum in der Schillerschule in Walldorf
    Der Viertklässler Henri in einem Klassenraum in der Schillerschule in Walldorf (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Der elfjährige Henri aus Walldorf darf nicht auf die Realschule in Walldorf. Heute Vormittag hat der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch diese Entscheidung der Gesamtlehrerkonferenz der Realschule bestätigt. Die Realschule ist nach dem Gymnasium in Walldorf bereits die zweite weiterführende Schule, die Henris Aufnahme ablehnt.
    Hintergrund ist, dass Walldorf eine Modellregion für Inklusion ist. Daher war der Junge mit Down-Syndrom in eine inklusive Klasse an einer ganz normalen Schule gegangen. Neben 16 nicht-behinderten gibt es dort mit Henri vier behinderte Schüler.
    Henris Eltern und auch der Junge selbst wollten daraufhin, dass er gemeinsam mit den meisten seiner Mitschüler im Sommer ans Gymnasium wechselt, so seine Mutter Kirstin Ehrhardt:
    "Es gehen fast alle seine Freunde und seine Klassenkameraden aufs Gymnasium. 16 Schüler haben eine Gymnasialempfehlung, nur ganz wenige gehen auf die Realschule und niemand auf eine Gemeinschaftsschule, die es hier auch gar nicht gibt. Er möchte einfach seinen Weg mit seinen Freunden und den Menschen, die ihm wichtig sind, fortsetzen."
    Das würde bedeuten, dass Henri auch in der weiterführenden Schule zieldifferent unterrichtet werden müsste, was in Baden-Württemberg noch nicht die Regel ist. Er würde also mit Schülern in eine Klasse gehen, die das Abitur machen wollen, obgleich er selbst es nicht wird erreichen können.
    In der Grundschule hat er zwar in groben Zügen rechnen, lesen und schreiben gelernt, ist aber weit vom Leistungsniveau seiner Mitschüler entfernt.
    Heftige Diskussion über die Landesgrenzen hinaus
    Vor rund zwei Monaten hatte die Gesamtlehrerkonferenz des Gymnasiums ihn jedoch abgelehnt und damit eine heftige Diskussion auch über die Landesgrenzen hinaus ausgelöst. Daraufhin war unter anderem auf Anregung des Kultusministeriums eine Kompromisslösung diskutiert worden: dass Henri in die Realschule geht, die im gleichen Schulzentrum wie das Gymnasium ist, und seine bisherige Klassenkameraden so zumindest regelmäßig sehen kann.
    Am Mittwoch allerdings hatte sich zunächst eine Bildungswegekonferenz und dann auch die Gesamtlehrerkonferenz der Realschule dagegen entschieden, obgleich vier Lehrerinnen, die Henri im ersten Schuljahr betreut hätten, ausdrücklich ihre Bereitschaft erklärt hatten, ihn zu unterrichten. Auch war auf der Konferenz das Kultusministerium mit mehreren Beamten vertreten, die sich nachdrücklich für den Kompromiss aussprachen.
    Trotzdem hat sich Kultusminister Andreas Stoch mit seiner Entscheidung nun hinter die Realschule gestellt. Henri soll demnach entweder an eine Werkrealschule oder an eine Gemeinschaftsschule kommen, die dann jedoch nicht in Walldorf wäre. Gegen die heutige Entscheidung des Kultusministers können Henris Eltern klagen.
    Henris Mitter Kirstin Ehrhardt hat bereits gestern erklärt, dass sie die Entscheidung der Realschule für unfassbar hält. Wörtlich sagte sie: "Wir sind sehr traurig über die weitere Diskriminierung unseres Sohnes."
    Bereits vor mehreren Wochen hatte sie sich gegenüber dem Deutschlandradio so geäußert:
    "Was ich von der Politik erwarte ist, dass man auch bedenkt, was das bedeutet, wenn man jetzt sagt, das müsst ihr jetzt nicht machen. Ich finde, das ist schon ein ganz schwieriges Signal: Nämlich die Schulen, die laut schreien, die müssen es dann nicht machen."
    Minister Stoch warnte auch heute wieder davor, den Fall Henri zu einem Präzedenzfall für Inklusion zu machen. Die Situation des elfjährigen Jungen könne nicht auf andere Situationen übertragen werden.