Inklusive Kunst in Zeiten von Corona

Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück

43:50 Minuten
In einer Filmszene küsst Mirco Monshausen Jana Zöll die Hand.
An Körperkontakt zu ihren Schauspielkollegen ist für Jana Zöll wegen der möglichen Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus nicht zu denken © dpa / Palladio Film / Werner Meyer
Von Manuel Waltz · 12.03.2021
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Jana Zöll ist Schauspielerin und Tänzerin. Sie hat die Glasknochenkrankheit und eine sehr kleine Lunge. Eine Coronavirus-Infektion wäre für sie extrem gefährlich. Trotzdem will sie weiterhin Kunst machen – nur wie?
Bei einem Spaziergang durch die Südvorstadt in Leipzig erzählt Jana Zöll, wie ihr Leben während der Pandemie aussieht: "Ich habe das erst wirklich ernst genommen, als dann der Shutdown kam. Ich war vorher noch in NRW zu einer Tanzausbildung. Die wurde dann zwei Tage früher abgebrochen. An dem Punkt habe ich dann auf einmal gemerkt. Oh Moment, das ist scheinbar doch was anderes als die alljährliche Schweinegrippe oder was auch immer." Da sie zur Risikogruppe gehört, achtet sie seitdem darauf, sich nicht mit anderen Menschen in geschlossenen Räumen aufzuhalten. Ausgenommen sind ihre Assistentinnen, die ihr bei der Bewältigung alltäglicher Dinge, wie Kochen oder Körperhygiene helfen. Ansonsten findet ihr soziales Leben online oder eben draußen statt.
Jana Zöll bei der Onlineprobe - draußen damit unser Autor dabei sein kann. Sie sitzt auf einer blauen Decke, vor ihr auf einem Tisch steht ein Laptop.
Jana Zöll bei der Onlineprobe - draußen damit unser Autor dabei sein kann.© Manuel Waltz
Arbeiten unter besonderen Bedingungen
Im Sommer 2020 probte sie ein Stück mit dem Nationaltheater Mannheim. "Performing Family" heißt es und handelt davon, was Familie heute alles sein kann. Seit Beginn im Juni, finden die Proben für alle online aus dem Home Office heraus statt, wegen der Ansteckungsgefahr. Damit unser Autor Jana Zöll begleiten kann, hat sie sich in den Hinterhof ihres Wohnhauses gesetzt und sich über ihr Tablet mit der Regisseurin Vera Mahne und ihren Kollegen Kübra Dekin und Sebastian Reich zusammengeschaltet. Über eine Konferenzapp üben sie ihre Dialoge und machen sich Gedanken, wie sie die anstehende Aufführung gestalten wollen. Auf Grund der Ansteckungsgefahr wird Jana Zöll nämlich auch bei den Aufführungen nicht physisch anwesend sein, sondern per Videokonferenz auf die Bühne projiziert werden.
Proben an der frischen Luft
Neben der Arbeit mit dem Mannheimer Theater hat auch die Arbeit mit ihrem Performance Kollektiv "Polymora Inc." wieder begonnen. "Polymora Inc" ist ein Tanz-Performance Kollektiv, das sich für die Rechte von Frauen, queeren Menschen und Menschen mit Behinderung einsetzt. Der Spaziergang durch die Südvorstadt endet in der KUB Galerie. Hier im überdachten Innenhof finden die Proben statt. Auch das ist eine Schutzmaßnahme, denn hier kann an der frischen Luft geprobt werden. Noch geht das gut, es ist angenehm warm. Wie es aber im Winter wird, das wissen die Performerinnen noch nicht. Um den Abstand einhalten zu können und dennoch miteinander verbunden zu sein, haben die fünf Frauen Seile besorgt, über die sie auch auf Abstand in Verbindung bleiben können. Ob es bald wieder eine Aufführung geben wird, das ist noch unklar. Stattdessen wollen sie einen Musical-Film drehen. Das sei gerade das sicherste Medium.
Das Performancekollektiv Polymora Inc bei der Probe unter freiem Himmel. 5 Personen halten sich an einem Seil fest und sind somit alle miteinander verbunden. Die Person in der Mitte liegt auf dem Boden, als wäre sie die Beute der anderen.
Das Performancekollektiv Polymora Inc bei der Probe.© Manuel Waltz
Rückschritt droht
Lisette Reuter ist die Leiterin des "UnLabel"-Kollektivs in Köln, einer Performance-Gruppe für Menschen mit und ohne Behinderung. Sie beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung inklusiver künstlerischer Methoden, insbesondere dem Ansatz "Aesthetic of Access". Dabei geht es darum, Mittel der Barrierefreiheit, wie zum Beispiel Blindenschrift oder Untertitel, als Teile der künstlerischen Arbeit in das Werk zu integrieren, anstatt sie nur als Zusatzangebot zu verstehen.
Im Gespräch zeigt sie sich besorgt, dass Menschen mit Behinderung, die auch einer Risikogruppe angehören, wieder mehr Ausschluss erfahren als vor der Covid19-Pandemie. Lisette Reuter erzählt, dass der Kulturszene Geld und Ressourcen fehlen und sich deshalb möglicherweise viele eher ums eigene Überleben als um Inklusion kümmern würden. Hoffnung hat sie allerdings, dass sich während und nach der Pandemie alle neu aufstellen müssen und im Zuge dessen Inklusion in der Kunst einen neuen Stellenwert bekommt: "Es geht zum einen um eine Umverteilung von Kulturbudgets und natürlich darum, dass Kulturakteure sich der politischen Verpflichtung, die Inklusion mit sich bringt, wirklich bewusst sind und dass das umgesetzt wird. Inklusion ist nicht eine Nice-to-have sondern es ist ein Must-have."
Erstsendung 18.09.2020