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Inlandseinsätze der Bundeswehr
"Der gesetzliche Rahmen reicht aus"

Aus Sicht des Bundeswehr-Experten Thomas Wiegold reichen die derzeitigen gesetzlichen Regelungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inland aus. Ein Einsatz sei in bestimmten Fällen durchaus denkbar, nur dürfe die Bundeswehr nicht dafür herhalten, Lücken bei der Polizei zu stopfen, sagte Wiegold im DLF.

Thomas Wiegold im Gespräch mit Mario Dobovisek | 01.08.2016
    Thomas Wiegold, Journalist und Blogger
    Journalist Thomas Wiegold: "Man muss sehr aufpassen, dass es nicht einfach eine vermeintlich kostengünstige Regelung ist zu sagen: Ach, zu wenig Polizei, dann könnte die Bundeswehr diese Lücke stopfen! (Imago/CommonLens)
    Mario Dobovisek: Die Bundeswehr soll Deutschland verteidigen, nach außen hin, bei militärischen Angriffen aus dem Ausland, wenn nötig auch im Hindukusch. Auch wenn es immer wieder Klagen über den Zustand, über die Ausstattung der Bundeswehr gibt, Fakt ist: 176.000 Männer und Frauen dienen bei der Truppe, beim Heer, bei der Luftwaffe, der Marine und in den unterstützenden Verbänden. Sie tragen Waffen, sind gut ausgebildet und sie könnten auch im Innern eingesetzt werden, zum Beispiel bei Terroranschlägen in Deutschland. Die Grenzen dafür sind eng gesteckt und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Truppe dafür bald mehrere Szenarien üben lassen. Wie die aussehen sollen, ist aufgrund der engen Grenzen politisch umstritten.
    Wir haben schon einige Stichworte gehört, das Weißbuch etwa, die engen Grenzen des Grundgesetzes. Das wollen wir vertiefen mit dem Bundeswehrexperten und Verteidigungsjournalisten Thomas Wiegold, er betreibt den Blog Augengeradeaus.de. [Anmerkung der Redaktion: Die korrekte Webadresse lautet augengeradeaus.net].
    Thomas Wiegold: Ja, guten Tag aus Berlin!
    Dobovisek: Die Bundeswehr im Innern ... Vom Schleppen von Sandsäcken bei Flutkatastrophen mal abgesehen: Was darf die Bundeswehr bei Einsätzen in Deutschland?
    Wiegold: Nun, da sind wir eigentlich sehr stark im Bereich der Interpretation. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, bei einem besonders schweren Unglücksfall darf die Bundeswehr auch hoheitlich tätig werden im Inland. Und die gesamte Bundesregierung hat das jetzt in diesem Weißbuch – der Kollege Remme hat es schon erwähnt –, in dem Weißbuch vor drei Wochen so interpretiert: Das gilt auch für terroristische Großlagen. Und dem haben ja auch die SPD-Minister, also der Außenminister, der Justizminister, auch der Vizekanzler zugestimmt, weil es ja ein Dokument der ganzen Bundesregierung ist.
    Das heißt, im Grundsatz ist sich diese Koalition eigentlich einig, jetzt geht es um die Details, um die Interpretation: Wann ist es ein besonders schwerer Unglücksfall, wann ist es so katastrophisch, wie das Verfassungsgericht gesagt hat, dass die Bundeswehr eingesetzt werden sollte und kann?
    Dobovisek: Im Grundgesetz steht auch das Stichwort innerer Notstand. Hilft das dabei?
    Wiegold: Nein, das hilft uns an der Stelle gar nicht. Da sind wir in einem ganz anderen Bereich und da sagt übrigens auch die Verteidigungsministerin selbst: Wir reden hier nicht über den inneren Notstand, wir reden nicht über die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Ordnung, nicht über die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik, sondern wir reden über eine einzelne Katastrophe, wo die Bundeswehr eben nur Amtshilfe für die Polizei leisten kann oder für eine andere Landesbehörde.
    Das ist – da haben wir gerade schon das gehört –, das ist relativ unproblematisch, wenn es um Sandsäcke geht, wenn es um Transport geht. Aber schon in dem Moment, wo die Bundeswehr vielleicht den Verkehr regelt und jemandem sagt, hier darfst du nicht langfahren, wird sie hoheitlich tätig. Schon an der Stelle sind wir bei der Frage: Ist das jetzt ein Einsatz im Innern, der gerechtfertigt ist?
    Dobovisek: Wie könnten denn andere Beispiele aussehen des Einsatzes der Bundeswehr im Innern rund um zum Beispiel Terrorgefahr?
    Wiegold: Nun, es wird immer wieder vor allem von der Union ins Gespräch gebracht, wir hätten so etwas wie den Amoklauf, aber nicht nur mit einem Einzeltäter, sondern mit mehreren Tätern, mit mehreren terroristischen Tätern und eben nicht nur in München, sondern zeitgleich auch in Stuttgart, in Hamburg, in Köln, in Berlin, in Frankfurt, und irgendwann käme dann – so ist die Argumentation – die Polizei an ihre Grenzen.
    In München wurden ja mehrere Tausend Polizisten zusammengezogen aus ganz Bayern, teilweise auch aus anderen Bundesländern. Und wenn so etwas parallel und gleichzeitig in mehreren deutschen Großstädten und damit in mehreren Bundesländern passiert, dann ist die Polizei an einer Grenze und sagt: Wir können jetzt nicht ins Nachbarland fahren, um dort zu helfen, wir werden im eigenen Bundesland gebraucht. Und dann, so ist die Überlegung, könnte man auf die Bundeswehr zurückgreifen müssen und sagen: Okay, wir brauchen jetzt Bundeswehrsoldaten, um zu sichern, um also bestimmte Bereiche abzusperren. Nicht um Polizeiarbeit im eigentlichen Sinne zu machen, aber um eben abzuriegeln, Straßensperren, Kontrollstellen und so weiter. Ich glaube, das ist die wahrscheinlichste Möglichkeit, auf die sich von der Leyen, die Bundesregierung und auch die Bundesländer einstellen wollen.
    "Es muss deutlich mehr sein als das, was wir neulich in München gesehen haben"
    Dobovisek: Wenn es zu einer solchen Lage tatsächlich kommen sollte, eine überregionale Terrorlage, so können wir das jetzt mal vielleicht gemeinsam nennen, dann muss das natürlich schnell gehen in der Entscheidungsfindung. Gerichte brauchen eine Weile, brauchen zumindest Tage, um darüber zu befinden. Wer soll in so einem Fall tatsächlich von jetzt auf gleich eine Entscheidung treffen dürfen?
    Wiegold: Nun, im Prinzip trifft die Entscheidung zunächst mal das betroffene Bundesland oder die Bundesländer oder eben auch – so heißt es dann halt im Grundgesetz und in dem, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat – die eine Anordnung der Bundesregierung.
    Das heißt, die Bundesregierung und die Länder müssen sich und können dann wahrscheinlich auch relativ schnell einig werden. Es geht da nicht um eine Gerichtsentscheidung, sondern es geht darum, dass eben die Exekutive zu der Einschätzung kommt. Das kann natürlich dann hinterher auch noch gerichtlich überprüft werden, aber zunächst mal ist es, glaube ich, allgemeines Verständnis: Das muss schon eine richtige Katastrophenlage, es muss schon ein wirkliches Chaos herrschen und es muss deutlich mehr sein als das, was wir neulich in München gesehen haben.
    "Es geht darum, das zu trainieren, was man jetzt schon darf"
    Dobovisek: Reicht der gesetzliche Rahmen dafür aus?
    Wiegold: Nun, selbst die Verteidigungsministerin hat ja gesagt, er reicht aus. Natürlich wünscht sie sich wie viele in der CDU eine Verfassungsänderung, die noch mehr ermöglicht, aber da hat sie glaube ich – das sind so ihre Worte bei der Vorstellung des Weißbuchs gewesen –, da hat sie selber auch erkannt, mit diesem Koalitionspartner ist nicht mehr drin. Und es geht zunächst mal gar nicht darum, neue gesetzliche Regeln zu schaffen, das auszuweiten, sondern es geht darum, das zu trainieren, was man jetzt schon darf. Das darf man ja auch nicht vergessen, diese Entscheidung des Verfassungsgerichts ist bald vier Jahre alt, es gibt seit Mai 2013 einen Erlass des Verteidigungsministeriums, der die Details regelt, aber es ist noch nie trainiert worden.
    Was passiert denn, wenn sich ein Bundesland, also der Ministerpräsident, der Innenminister einig sind mit dem Kanzler, der Kanzlerin oder der Verteidigungsministerin: Ja, jetzt haben wir diese terroristische Großlage, jetzt brauchen wir die Bundeswehr? Wer wird denn dann in Marsch gesetzt, wo sind denn überhaupt Einheiten, die zum Beispiel am Freitagnachmittag oder am Freitagabend genügend Leute in Bereitschaft haben, weil nicht alle im Wochenende sind? Was ist denn überhaupt machbar? Also, da muss glaube ich die Bundeswehr zusammen mit den Ländern relativ klein anfangen und die Strukturen erst mal überprüfen und gucken, was sie kann.
    Dobovisek: Die Bundeswehr als Hilfspolizisten, so sagen es ja die Gegner dieser Pläne auf der einen Seite auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Polizei stärken – ist das ein Widerspruch?
    Wiegold: Nun, man muss sehr aufpassen, die Gegner haben natürlich in einem Punkt recht: Die Länder – und zwar, egal welcher Partei die Regierung angehört –, die Länder haben in den vergangenen Jahren sehr stark gespart bei ihren Polizeikräften. Und man muss sehr aufpassen, dass es nicht einfach eine vermeintlich kostengünstige Regelung ist zu sagen: Ach, zu wenig Polizei, dann könnte die Bundeswehr diese Lücke stopfen! Man muss nämlich sehen, auch die Bundeswehr ist ja verringert worden, nicht nur die Polizei.
    Und die Bundeswehr hat zwar 176.000 Soldaten auf dem Papier, wie Sie eingangs erwähnten, davon sind aber sehr viele gar nicht verfügbar. Nicht nur weil sie im Auslandseinsatz sind, sondern weil sie auf Lehrgängen sind, weil sie in der Fortbildung sind. Also, die stehen ja nicht in ihrer Kaserne und warten darauf, dass ein Bundesland anruft und die Bundeswehr anfordert.
    Bundeswehrexperte Giegold: Soldaten sind gekränkt über Misstrauen gegenüber der Bundeswehr
    Dobovisek: Sie haben gute Kontakte in die Bundeswehr hinein, wie sehen das denn die Soldaten selbst, diese Debatte um den Einsatz im Innern?
    Wiegold: Das ist sehr gemischt. Auf der einen Seite kommt aus der Bundeswehr auch sehr stark der Hinweis: Leute, ihr könnt doch nicht bei der Polizei sparen und glauben, dass wir dann diese Lücke stopfen! Dafür sind wir nicht da, das ist nicht unsere Aufgabe, dafür sind wir nicht ausgebildet und wir haben auch anderes zu tun.
    Auf der anderen Seite gibt es, ich will mal so sagen, sicherlich Soldaten, die sagen: Das Misstrauen, was uns da entgegenschlägt, dass ihr also vermutet, wenn die Politik debattiert über einen solchen Bundeswehreinsatz in einer Notlage, und uns wird dann quasi vorgeworfen, ihr steht kurz vor einem Militärputsch, dieses Misstrauen kränkt uns schon ein bisschen.
    Dobovisek: Sagt der Bundeswehrexperte und Verteidigungsjournalist Thomas Wiegold. Ich danke Ihnen für die Einschätzung!
    Wiegold: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.