Raumfahrt und Forschung

Der Traum von einem Dorf auf dem Mond

Ein Mann betrachtet den Mond, aufgenommen in der spanischen Sierra de Gredos
Der Mond ist unser nächster Nachbar im All - nur knapp 400.000 Kilometer entfernt. © imago/Westend61
Von Dirk Lorenzen · 26.07.2018
Vor fast 50 Jahren schickten die USA die bisher einzigen Astronauten zum Mond. Bald sollen erneut Menschen dorthin fliegen. Die Forscher haben kühne Pläne: ein Teleskop auf der dunklen Seite – und eine dauerhafte Siedlung, das "Moon Village".
Ernst Messerschmid: "Im Grunde genommen ist der nächste logische Schritt nach der Raumstation natürlich der Weg zurück zum Mond."
Jan Wörner: "Das Moon Village ist eine ganz offene Struktur, mit freiem und offenem Zugang. Es soll robotisch und astronautisch, privat wie öffentlich sein."
Ralf Jaumann: "Er sagt uns, warum die Erde so ist, wie sie ist. Man sieht, was der Erde passiert ist. Der Mond ist ein Fenster in die Vergangenheit."
Jan Wörner: "Der große Vorteil ist: Der Mond ist nah. Sie kommen da in den Sommerferien hin und zurück."
Der Mond ist unser nächster Nachbar im All, nur knapp 400.000 Kilometer entfernt – und damit das ideale Ziel für Raumfahrer. Die silbrig-graue Kugel am Himmel zog mit ihrem ewigen Lauf der Phasen schon vor Jahrtausenden die Menschen in ihren Bann.
Der Mond ist der einzige Himmelskörper, auf dem sich schon mit bloßem Auge Oberflächeneinzelheiten erkennen lassen. Viele Betrachter sehen auf der hellen Mondscheibe mit den dunklen Flecken je nach Phantasie einen Hasen, ein Gesicht, eine Frau beim Holzsammeln oder den berühmten Mann im Mond.

Von der Gottheit zur Kugel

"Der Mond ist, wie die Sonne eine glühende Gesteinsmasse, die vom Umschwung des Äthers mitgerissen wird. Und doch gibt es auf ihm Wohnstätten, Hügel und Schluchten."
Bereits die Philosophen der Antike spekulierten über das Wesen der nächtlichen Lichtquelle. Natürlich ist der Mond kein glühendes Gestein, aber schon im fünften Jahrhundert vor Christus hat Anaxagoras den Mond nicht mehr als himmlische Gottheit angesehen, sondern als physikalischen Körper mit Bergen und Tälern.
Porträt des Philosophen Anaxagoras (499-428 v. Chr.) - Gravur aus dem 18. Jahrhundert
Schon der Philosoph Anaxagoras (499-428 v. Chr.) sah den Mond nicht mehr als himmlische Gottheit an.© picture-alliance / ©MP/Leemage
Ein unerhörter Schritt: Denn plötzlich standen Erde, Mond und Sonne in einem großen Zusammenhang, waren Teil eines Kosmos und nicht getrennt in oben und unten. Anaxagoras wurde wegen dieser "Gottlosigkeit" in die Verbannung geschickt. Solcher Gefahr sind die Mondforscher heutzutage nicht mehr ausgesetzt.
Ralf Jaumann: "Interessiert hat mich das Sonnensystem schon immer!"
Ralf Jaumann ist von Hause aus Geologe und gehört zu den profiliertesten Mondforschern weltweit. Auf den Mond gekommen ist er nach seinem Studium über einen kleinen Umweg:
"Dann habe ich bei meinem Doktorvater gehört, dass der jemanden sucht, der sich mit der Kamera, die für die Galileo-Mission zum Jupiter gebaut wurde, mal an ein Teleskop setzt und diese Kamera ausprobiert. Das habe ich getan, bin nach Hawaii gefahren, habe mich zwei, drei Monate ans Teleskop gesetzt. Und was kann man dort beobachten? Am besten den Mond. Und da habe ich angefangen, ihn zu mögen."
Mit der Erfindung des Fernrohrs im 17. Jahrhundert hatte die Mondforschung einen großen Sprung nach vorn gemacht – plötzlich waren Krater und Berge auf dem Mond bestens zu erkennen. Unser himmlischer Begleiter erwies sich als kalte Gesteinskugel mit fast 3500 Kilometern Durchmesser. Er ist somit gut ein Viertel so groß wie die Erde.

Wie die Erde zum Mond kam

"Und Gott machte zwei große Lichter: Ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere. ... Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis."
In der biblischen Genesis reichte ein einfacher Schöpfungsakt, um am vierten Tag den Mond an den Himmel zu setzen. Allerdings stellt sich dies für die Wissenschaftler deutlich komplizierter dar:
"Das ist die spannendste Frage und die ist bis heute ungeklärt. Es gibt viele Vorstellungen, wie der Mond entstanden ist."
Ralf Jaumann leitet seit vielen Jahren die Abteilung für Planetengeologie beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin-Adlershof:
"Das Erste, was man festgestellt hat, ist: Wir gucken die vier terrestrischen Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars an und stellen fest: Nur die Erde hat einen so großen Mond. Da kommt schon die erste Frage auf. Warum?"
Merkur und Venus haben gar keinen Mond. Und um Mars kreisen lediglich zwei größere Felsbrocken. Gemessen am Größenverhältnis zu seinem Planeten, ist der Erdmond der mit Abstand größte Trabant im Sonnensystem.
Ralf Jaumann: "Es gibt viele Theorien, die alle immer wieder diskutiert werden. Man geht davon aus, dass die Erde den Mond möglicherweise eingefangen hat. Das ist eine schwierige Theorie, weil das bahndynamisch extrem schwierig ist. Wenn der Mond eingefangen wird, dann kommt er wahrscheinlich der Erde bei diesem Prozess so nahe, dass er eigentlich auseinanderbrechen müsste."
Nach einer anderen Theorie haben sich Erde und Mond gemeinsam aus einer Zusammenballung von Materie gebildet. Wären sie wirklich aus denselben Zutaten entstanden, dann müssten Erde und Mond chemisch praktisch identisch aufgebaut sein. Doch der Mond verfügt über deutlich weniger Eisen als die Erde.

Hat ein gewaltiger Körper die Erde gerammt?

Ralf Jaumann: "Die gängigste Theorie, die alle Wissenschaftler mehr oder weniger akzeptieren, ist, dass nachdem die Erde entstanden war und noch sehr, sehr viele andere große Körper durch das Sonnensystem vagabundiert sind, die Erde von einem sehr, sehr großen Körper getroffen worden ist. Man geht davon aus, dass der Körper so groß wie der Mars war. Bei dieser Kollision, die nicht frontal war, sondern eher streifend, ist die Erde aufgerissen und das Material aus dem Erdmantel in die Umlaufbahn geschleudert geworden."
Ralf Jaumann, Leiter der Abteilung für Planetengeologie beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin-Adlershof mit einem Marsglobus, aufgenommen 2015
Ralf Jaumann, Leiter der Abteilung für Planetengeologie beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt © picture alliance / Rolf Kremming
Was für ein apokalyptisches Geschehen: Vor rund 4,4 Milliarden Jahren hat ein gewaltiger Körper die junge, noch rotglühende Erde gerammt. Die Trümmerwolke bestand vor allem aus den eisenarmen äußeren Schichten des Planeten – denn das schwere Eisen war in der flüssigen Erde tief ins Innere abgesackt und kam kaum noch nahe der Oberfläche vor. Die heißen Lavabrocken kreisten fortan um die Erde, verklebten im Laufe weniger Millionen Jahre zum Mond und kühlten allmählich ab. In Computermodellen funktioniert dieses Szenario sehr gut.
Ralf Jaumann: "Das lässt sich durchaus machen: So ein Mond lässt sich bauen. Wenn man dann noch ein bisschen an den Feinheiten dreht, dann lässt er sich auch noch das Eisen nehmen. Denn der andere Körper ist wahrscheinlich dann mit seinem schwersten Teil, nämlich mit seinem Eisen, mit der Erde verschmolzen. Und der Mond besteht nur aus Erdmantel. Das funktioniert alles wunderbar, aber es gibt immer noch Fragen, die in diesem Zusammengang nicht geklärt sind."
Dass Ralf Jaumann und seine Kollegen in aller Welt über die Chemie des Mondes so gut Bescheid wissen, verdanken sie den Apollo-Missionen der Amerikaner und den sowjetischen Luna-Sonden. Insgesamt neunmal wurde Material vom Mond zur Erde gebracht – rund 400 Kilogramm Mondgestein befinden sich in den irdischen Laboren.

Der kleine Schritt als Riesensprung für die Menschheit

"Aus der langen Kanone schoss das zylinder-kegelförmige Projektil hervor. Die unzählige Zuschauermenge sah zum ersten Mal drei menschliche Wesen den Erdball verlassen und in den weiten Weltraum emporsteigen. Vier Tage später sollte die Ankunft auf der Mondscheibe sein."
Jules Vernes Utopie vom Flug zum Mond wurde genau ein Jahrhundert später Wirklichkeit: Montag, 21. Juli 1969, kurz vor vier Uhr morgens Mitteleuropäischer Zeit. 500 Millionen Menschen, so wird geschätzt, blicken gebannt auf das flimmernde Fernsehbild in Schwarz-Weiß. Etwas unscharf lässt sich erkennen, wie eine Person in klobiger weißer Montur ungelenk eine kleine Leiter hinunter klettert. Dann der Moment, an dem alle den Atem anhalten.
"It's one small step for man ‑ one giant leap for mankind."
Neil Armstrongs Worte sind unvergessen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Buzz Aldrin hinterlässt er als erster Mensch Spuren im Mondstaub. Die Mondmission war vor allem ein Riesensprung für das internationale Prestige der USA. Denn die Apollo-Flüge waren zuallererst Politik im Kalten Krieg. Nachdem der Wettlauf zum Mond gegen die Sowjetunion gewonnen war, folgten zwar noch sechs weitere bemannte Missionen – aber das öffentliche Interesse hatte schnell nachgelassen.
Neil Armstrong mit seinem Kollegen Buzz Aldrin am 20. Juli 1969.
Erste Mondlandung vor fast 50 Jahren: Neil Armstrong und Buzz Aldrin am 20. Juli 1969.© imago/United Archives International
So wurde im Dezember 1972 das Apollo-Programm sang- und klanglos eingestellt, bald auch das unbemannte Luna-Programm der Sowjets. Der Mond geriet geradezu in Vergessenheit, bedauert der ehemalige Astronaut Ernst Messerschmid:
"Apollo ist fast zu schnell gewesen, zu erfolgreich und hat alle auf Abstand gehalten, alle Initiativen zurück zum Mond. Weil jeder sofort eingesehen hat, das ist nicht wiederholbar mit heutigen Budgets, mit der heutigen Willensbildung, die man braucht für solche Missionen."
Jahrzehntelang ließen die Raumfahrtagenturen den Mond bei ihren Missionen zu Venus, Mars oder Jupiter buchstäblich links liegen. Erst Ende der 90er-Jahre geriet der Mond wieder in den Fokus. Automatische Raumsonden haben den Erdtrabanten umfassend kartiert und viele Lücken der Apollo-Ära geschlossen. Doch erst 2013 ist wieder eine Sonde im Mondstaub gelandet: Chinas Chang'e 3.

Rückkehr zum Mond unter neuen Vorzeichen

"Das Gebäude hat einen Durchmesser von wenigstens fünf geographischen Meilen. Es ist viel leichter auf dem Monde colossale Kunstgebäude anzulegen als auf der Erde, weil dort die Körper viel leichter sind. Wir müssen den verständigen Seleniten also einige Civilisation zugestehen."
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts meinte der Münchner Astronom Franz Gruithuisen große Gebäude und ganze Städte auf dem Mond ausgemacht zu haben. Er wurde Opfer optischer Täuschungen und seiner blühenden Fantasie. Alle Träume von einer wunderbaren Mondwelt mit Urwäldern, durch die voller Freude Fledermausmenschen springen, sind längst geplatzt. Seleniten, Mondbewohner, gibt es natürlich nicht.
Aber vielleicht kommt bald die Zivilisation auf den Mond – in Form verständiger Erdlinge. Die werden zunächst keine Stadt errichten, sondern eher ein Dorf, erklärt Jan Wörner:
"Das Moon Village ist eine ganz offene Struktur, mit freiem und offenem Zugang."
Jan Wörner, der Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA aufgenommen 2016
Jan Wörner, der Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA aufgenommen 2016© picture alliance / AP Photo
Moon Village, Mond-Dorf, nennt Jan Wörner, der Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA, seine Idee einer Art Siedlung auf unserem Trabanten:
"Es soll robotisch und astronautisch, privat wie öffentlich sein. Es soll wirklich die Grenzen sprengen, deshalb hat dieses Konzept auch einen visionären Charakter, den es in der Form bisher nicht gab. Das ist etwas anderes als eine Raumstation."
Kaum ein Thema wird derzeit in Raumfahrtkreisen ebenso begeistert wie kontrovers diskutiert wie die Rückkehr zum Mond. Eine Rückkehr auf den Mond wäre keine Wiederholung von Apollo, sie darf es nicht sein, betont Harrison Schmitt. Er war als Geologe der einzige Wissenschaftsastronaut auf dem Mond und gehörte 1972 zu den beiden bisher letzten Menschen auf dem Mond.

Länger als einige Stunden bleiben

Nun mahnt er, dass man künftig deutlich länger bleiben müsse als seinerzeit für einige Stunden:
"Bei Apollo hat man alles mitgenommen, was man zum Leben und für den Rückflug brauchte. Wir haben da oben nur die Proben eingesammelt, sonst nichts. Jetzt sollten wir eine Infrastruktur aufbauen, die zum Beispiel die im Mondboden vorkommenden Elemente nutzt. Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff ließen sich zur Herstellung von Treibstoff, anderem Gerät oder Nahrung nutzen. Nur so könnte man auf dem Mond eine unabhängige Siedlung aufbauen."
So sehr das Moon Village auch Wissenschaftler, Astronauten und Raumfahrtmanager faszinieren mag. Es wird noch viele Jahre dauern, bis die ersten Menschen wieder über den Erdtrabanten laufen. Denn die Milliardenbudgets, die für neue Mondreisen nötig wären, verschlingt bis mindestens 2024 noch die Internationale Raumstation.
Das Monddorf wäre, mit entsprechender Vorbereitung, also frühestens Mitte der 2030er-Jahre zu haben. Ralf Jaumann ist bis dahin zwar im Ruhestand, würde dort oben aber sofort einziehen:
"Ich würde gerne sowohl zum Mond als auch zum Mars, auf der Stelle, das ist völlig klar. Wir würden schon gerne nicht nur von weitem drauf gucken, sondern auch mal dort sein. Wenn man dorthin fliegen könnte, würde ich das schon tun."
Es geht um die großen Fragen, wie der Mond aufgebaut ist, welche chemischen Stoffe er enthält und wie er entstanden ist. Die Modelle und Theorien müssen Wissenschaftler auf der Erde ersinnen – aber sie sind auf lunare Hilfe angewiesen.

Ein vielversprechender Ort auf der Mondrückseite

Am aussagekräftigsten wären Proben nicht aus den obersten Schichten der Mondkruste, sondern aus dem Mantel in etwa 100 Kilometern Tiefe. So ein Loch lässt sich nicht einmal auf der Erde bohren – doch auf dem Mond gibt es so etwas bereits – bereitgestellt von der Natur, sagt Ralf Jaumann:
"Der Mond selber ist, nachdem er entstanden ist, auch wieder von einem großen Körper getroffen worden, im Südpolbereich, aber hauptsächlich auf der Rückseite. Dort ist ein sehr, sehr großes über 2000 Kilometer durchmessendes Becken entstanden, das natürlich die Kruste durchschlagen hat. In diesem Becken, es heißt Southpole Aitken Becken, müsste Material aus dem Mondmantel herumliegen. Da ist die Idee der Wissenschaftler, lasst uns doch bitte auf die Mondrückseite in dieses Becken fliegen, ein paar Proben holen, die zurückbringen und dann auf der Erde in den Labors zu untersuchen."
Nahaufnahme der Mondoberfläche auf der Mondrückseite mit Blickrichtung nach Südwest. Der große Krater in der Bildmitte ist der International Astronomical Union Krater 308.
Mondkrater auf der Rückseite des Mondesmit Blickrichtung nach Südwest. Der große Krater in der Bildmitte ist der International Astronomical Union Krater 308. Die Aufnahme wurde während der Apollo 11-Mission im Juli 1969 gemacht.© picture-alliance / dpa
Das Material aus dem großen Einschlagsbecken auf der Rückseite wäre sehr viel bedeutender als die Proben von den neun Stellen auf der Mondvorderseite, von denen das lunare Gestein in den irdischen Laboren bisher stammt. Doch die Fragen, die Ralf Jaumann und seine Kollegen mit diesen Proben klären wollen, sind so bedeutend, dass die Forscher nicht erst auf den Bau des Monddorfes warten möchten. Auch mithilfe automatischer Sonden ließe sich das gewünschte Material zur Erde holen.
Ralf Jaumann: "Insofern wird es sicher in den nächsten zehn Jahren passieren, dass man dieser Geschichte nachgeht, einfach um herauszubekommen, wo der Mond letztlich herkommt. Das ist eine zentrale Frage. Das hat nicht nur mit dem Mond zu tun. Wenn sie den Mond und die Erde anschauen, dann ist das ein gemeinsames Gespann. Sie gehören eng zusammen geologisch, sie gehören auch eng zusammen, was die Entstehung des Lebens betrifft."

Ein Lebenshelfer – ohne eigenens Leben

"Die alten Weisen und Sternkundigen meinten, die dunklen Flecken im Monde, seien Meere; die neueren erklären sie für Landschaften, die mit Vegetation überdeckt sind. Ob die Ozeane selbst komplett verschwunden sind, ist eine andere Frage."
Historisch bedingt heißen die dunklen Gebiete immer noch Mondmeere. Franz Gruithuisen wähnte dort zumindest Sümpfe und üppiges Pflanzenwachstum. Das Leben auf dem Mond war Wunschdenken – der Begleiter der Erde ist eine starre, inaktive, tote Welt. Doch ohne den engen Begleiter unseres Planeten gäbe es wohl kaum das vielfältige Leben auf der Erde.
Denn dank des Mondes gibt es Ebbe und Flut – zweimal am Tag gibt das Wasser an den Küsten Meeresboden frei und überspült ihn wieder. Vor Milliarden Jahren war der Mond der Erde noch ein ganzes Stück näher. Damals waren die Gezeiten deutlich stärker.
Ralf Jaumann: "Das waren nicht wie jetzt einige zehn Kilometer, sondern ein paar hundert Kilometer, wo das Wasser immer vor- und zurückging. Wenn man dann aber ins Wattenmeer schaut, dann sieht man, dass dort das Leben ideale Bedingungen findet. Das heißt also, die Bereiche, in denen die Bedingungen für das Leben absolut ideal waren, waren vor drei Milliarden Jahren viel, viel günstiger durch den näheren Mond durch die stärkere Bewegung der Wassermassen als das heute der Fall ist."
Der Mond hat dem Leben noch auf andere Weise auf die Sprünge geholfen. Unser Begleiter läuft nicht genau um das Zentrum der Erde herum – vielmehr drehen sich Erde und Mond um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Der liegt noch im Innern der Erdkugel, knapp 2000 Kilometer unter der Oberfläche. Auf diese Weise hat der Mond die Erdachse stabilisiert und so verhindert, dass es durch stärkeres Taumeln unseres Planeten zu starken Klimaänderungen gekommen ist.
Der Mond ist für das Raumschiff Erde eine Art Ausleger, wie ihn Boote mancher Südseevölker haben – das Gespann Erde-Mond kommt so gut durch die kosmischen Stürme.

Die Mondkrater - Einschläge statt Ausbrüche

"Ich sehe drei Vulkane an verschiedenen Theilen des Neumondes. Zwei derselben sind entweder beinahe am Erlöschen oder erst im Begriff auszubrechen; der dritte zeigt eine Eruption von Feuer oder leuchtender Materie."
Selbst der große Astronom Friedrich Wilhelm Herschel, als Entdecker des Planeten Uranus in die Astronomiegeschichte eingegangen, meinte Ende des 18. Jahrhunderts Vulkane auf dem Mond gesehen zu haben. Es muss eine optische Täuschung gewesen sein. Der Mond ist seit mindestens einer Milliarde Jahre erstarrt, seine Krater sind die Narben gewaltiger Einschläge, sagt Ralf Jaumann:
"Auf der südlichen Hälfte des Mondes gibt es das Tychobecken. ... 90 Kilometer Durchmesser, in der Mitte sind 3000 Meter hohe Berge, die Ränder sind 4000 Meter hoch, das ist sozusagen der Alpenrand. Und das ist innerhalb von 30 Minuten entstanden. Das hat schon in der Vorstellung der Wissenschaftler sehr, sehr viel verändert, auch über die Prozesse, die auf der Erde ablaufen können. Ohne das hätten wir auch nicht herausbekommen, was mit den Dinosauriern passiert ist, einfach weil die Idee, dass so ein Einschlag so katastrophale Wirkungen haben kann, bis dahin eigentlich gar nicht in den Köpfen war."
Der Komponist und Astronom Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822) 
Der Komponist und Astronom Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822) © picture alliance / Heritage Images
Der Mond hat weder Wind noch Regen, keine Plattentektonik und keine vulkanische Aktivität. Er hat alle Spuren der zahllosen Einschläge konserviert – und zeigt nun wie in einer Dauerbelichtung, was auch der Erde passiert sein muss, auch wenn die Spuren auf unserem Planeten immer wieder schnell verwischt sind. Dass die Erde nicht durch das kosmische Idyll zieht, sondern immer wieder schweren Treffern ausgesetzt war und auch künftig noch ist, wurde erst durch die Erforschung des Mondes klar.

Wasser in Form von gefrorenem Eis

Allerdings zeigt sich auch, dass nicht alle Einschläge verheerend waren – denn auch wenn es Meere auf dem Mond nur dem Namen nachgibt, so ist er keineswegs komplett staubtrocken.
Ralf Jaumann: "Die NASA hat mit den Missionen, die sie in letzter Zeit durchgeführt hat, auch festgestellt, dass es wirklich Wasser an den Polgebieten gibt, also Wasser in Form von gefrorenem Eis. Das liegt natürlich unter einer Dreckschicht. Dieses Eis ist auch wieder interessant, weil es wahrscheinlich von Kometen kommt, die den Mond getroffen haben. An die Pole kommt kein Sonnenlicht hin, das sind Kältefallen, zumindest die Löcher, also die Einschlagkrater an den Polen."
Was immer im Laufe der Jahrmilliarden in die gewaltigen Krater an den Polen gestürzt ist, blieb dort tief gefroren liegen. Die Forscher bräuchten also nicht zu einem Kometen oder Asteroiden zu fliegen, um Wasserproben im All zu nehmen – eine Reise zum Mond reicht auch. Das Material dort oben könnte klären, woher das Wasser hier unten auf der Erde stammt.
Klar ist nur, dass die junge Erde so heiß war, dass alles Wasser verdampft sein muss. Offenbar ist es später buchstäblich vom Himmel gefallen – ob das Wasser tatsächlich vom Einschlag zahlreicher Asteroiden oder Kometen stammt, könnten Wissenschaftler anhand der Proben des Mondeises klären.

Ein Moon Village im ewigen Sonnenschein

"Die Bewohner des Mondes sehen also die Sonne knapp 15 unserer Tage über und ebenso lange unter dem Horizonte. Vielleicht entgehen die Seleniten der so lange dauernden drückenden Sonnenhitze, in dem sie im Innern des Mondes leben und das Licht der Sonne scheuen, wie bei uns Maulwürfe und Regenwürmer."
Ein große Vollmond, vor dem sich ein Passagierflugzeug abhebt. 
Auf Sonnentage folgt bitterkalte, dunkle Nacht - darauf sollten sich künftige Mondbesucher einstellen.© AFP / Adrian Dennis
Künftige Mondfahrer sollen sich nicht in staubigen Höhlen verkriechen – im Gegenteil, sie brauchen die Sonne. Fast überall auf dem Mond folgen auf zwei Wochen intensiver Sonnenstrahlung zwei Wochen bitterkalter, dunkler Nacht. Doch die Mondpole trifft das Sonnenlicht nur streifend – mit bemerkenswerten Folgen erklärt Ralf Jaumann:
"Wenn ich dort einen hohen Berg habe, wird der immer beschienen, ganz egal, ob ich 14 Tage Tag oder Nacht habe. Diese hohen Berge gibt es, weil es auch die tiefen Einschlagkrater gibt. Die haben Ränder. Diese Ränder sind 3000 bis 4000 Meter hoch. Dort scheint immer die Sonne. Das ist genau die Gegend, wo man hin will. Da muss man sich nur hinsetzen und Sonnenkollektoren aufstellen. Dann ist das Problem gelöst."
Auf den Gipfeln des "ewigen Lichts", wie die Forscher diese Bergspitzen nennen, wäre die Stromversorgung kein Problem und es würde auch nicht zu kalt – idealer Standort für ein Moon Village.
Ralf Jaumann: "Das ist das, worüber derzeit alle nachdenken, dort zu landen, dort Proben zu nehmen und zu untersuchen. Ein großes Ziel dabei ist, zu sehen, was man mit diesem Mondstaub und dem Zeug, was auf dem Mond herum liegt, machen kann, um ein Monddorf zu bauen. Welche Ressourcen stecken da drin? Was kann man davon verwenden, um auf dem Mond dauerhaft sich festzusetzen? Und möglicherweise auch: Was kann man davon gebrauchen, was wir auf der Erde haben wollen, was uns hier weiterhelfen würde?"
Im Mondgestein dürften Wassermoleküle gebunden sein, vielleicht gibt es wertvolle Rohstoffe. Doch ob es sich wirklich lohnt, wie manche Optimisten meinen, bestimmte Stoffe vom Mond auf die Erde zu holen, ist angesichts der enormen Transportkosten eher fraglich.
In jedem Fall lässt sich dort – kosmisch gesehen nur einen Katzensprung von der Erde entfernt – alles ausprobieren, was bei Expeditionen weiter hinaus notwendig ist, betont Europas Raumfahrtchef Jan Wörner:
"Der Mond hat Wasser. Das ist ein Testbett für die Zukunft: Wie kann man das Wasser aus den Gesteinsmassen lösen und daraus Wasserstoff gewinnen und Sauerstoff. Der Mond kann ein Sprungbrett sein für die Reisen weiter in unser Sonnensystem zum Mars oder wohin auch immer hin."

Komplizierte Vertragslage und Logistik

Die Internationale Raumstation hatte man einst mit Staatsverträgen hoch offiziell auf den Weg gebracht. Diese Konstruktion erwies sich als sehr kompliziert und wenig flexibel – so ist etwa ein Beitritt einer anderen Nation nahezu unmöglich. Bis heute ist China bei der ISS außen vor.
Eine Siedlung auf dem Mond darf keine ISS-2 werden. So eine Einrichtung müsse allmählich wachsen und sich entwickeln, mahnt der frühere Astronaut Ernst Messerschmid:
"Bei jeder Mission von Menschen zum Mond müssen Dinge zurückbleiben, die nachfolgende Missionen nutzen können. Fahrzeuge, Behausungen, Technologien zum Überleben. Nur dann werden wir eines Tages eine Mondstation ähnlich auffassen wie wir heute Antarktisstationen auffassen, wo man auch nicht immer leben will und muss, sondern einfach als Außenstelle der Menschheit, einerseits für Forschung, aber auch zur Ausweitung von menschlichen Erfahrungen."

Himmlischer Standort für ein Teleskop

So wie die Stationen im Südpolargebiet der Erde heute längst nicht nur für die Polar- und Klimaforschung genutzt werden, wäre auch der Mond für viele andere Zwecke interessant. Herausragende Bedeutung hätte er auch für die Astronomie.
Heino Falcke von der Universität Nijmegen etwa hofft auf ein riesiges Radioteleskop. Schon vor etlichen Jahren wurde detailliert untersucht, wie sich mit möglichst wenig Aufwand ein möglichst gutes Instrument auf dem Mond errichten ließe. So ein Mond-Teleskop böte einen einzigartig klaren Blick in die Tiefen des Kosmos, sagt Falcke:
"Auf der Erde haben wir natürlich sehr viele Störungen. Die kommen durch jeden Motor, durch Transformatoren, durch Handys und alles andere. Das sehen wir tatsächlich sogar bis zum Mond. Deswegen müssen wir hinter den Mond gehen, denn da ist es komplett radioleise."
Malerisch gelegen: Das Onsala Space Teleskop der Universität Göteborg 
Teleskop der Universität Göteborg: Ein Standort auf dem Mond böte ideale Möglichkeiten.© OSO/Lundqvist
Der Mond zeigt der Erde immer dieselbe Seite. Deshalb gilt die Rückseite des Mondes Radioastronomen schon seit Langem als buchstäblich himmlischer Standort für ein Teleskop. Womöglich könnte ein Radioteleskop auf dem Trabanten der Kern eines künftigen Monddorfes werden. Vielleicht helfen die Astronomen den Raumfahrern auf die Sprünge.
Heino Falcke: "Was man dort hinsetzt, ist ja nicht nur ein Radioteleskop. Man setzt da eine ganze Infrastruktur hin. Eine Struktur, die kommunizieren kann mit der Erde mit hohen Datenraten, die Computer hat, die Stromversorgung bietet, an die ich sehr viel andere Dinge anschließen könnte, wenn ich da noch einmal hinfliegen will."

So nah und doch so fremd

"Wie beschaffen nun der Mond auch sein mag. Eines ist ganz gewiss, dass er ein äußerst hübsches und wohlthätiges Anhängsel für unsere Erde bildet. Wenn die Sonne hinabsteigt, zündet Luna ihre Lampe am azurnen Gewölbe des Himmels an und ergießt ihre milden Strahlen über die Landschaften der Erde."
Eine Rückkehr zum Mond – oder klarer: ein wirklich wissenschaftliches und nicht vor allem politisch motiviertes Mond-Programm – würde viele Forschungsbereiche voranbringen. Doch ist auch das Moon Village alles andere als ein Selbstläufer.
Versuche, den Mond wieder auf die Agenda zu setzen, gab es viele. Vor gut 13 Jahren hat der damalige US-Präsident George Bush eine Rückkehr mit Menschen zum Mond für 2020 angekündigt – das ist schon lange nicht mehr zu schaffen.
Ralf Jaumann: "Ich nehme an, dass wir in den nächsten zehn Jahren wieder verstärkt zum Mond zurückgehen werden. Wir werden viel robotisch machen, denn der Mond ist sehr nah dran. Da lässt sich ein Rover in Echtzeit steuern, das ist viel günstiger als auf dem Mars. Und ich denke, über kurz oder lang, vielleicht in 20 Jahren, sind auch Menschen wieder auf dem Mond."
Wie lange es dauern wird, bis der 13. Mensch auf dem Mond spazieren wird, welcher Nationalität er ist und ob er auf Stippvisite ist oder ins lunare Dorf einzieht, kann auch ESA-Chef Jan Wörner nicht genau sagen. Und dennoch ist sich der gelernte Bauingenieur sicher, an welchem Tag sein Haus im Moon Village eingeweiht wird:
"Das wird natürlich an einem Montag sein."
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