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Innenstadt und Internet
Wie der Heilbronner Einzelhandel online geht

Immer mehr Städte vernetzen ihren Einzelhandel. Niedergelassene Einzelhändler stellen ihre Produkte online - nicht in erster Linie, um sie zu liefern, sondern um Kunden den gezielten Einkauf im Laden zu ermöglichen. Taugt das Modell, um sich gegen E-Commerce Monopolisten durchzusetzen?

Von Anke Petermann | 06.03.2018
    Oberhemden in einem Geschäft für gehobene Herrenbekleidung hängen auf Kleiderbügeln
    Nur von der Stange verkaufen - das reicht im modernen Einzelhandel nicht mehr (picture alliance / dpa / Heiko Wolfraum)
    Einkaufen in der Innenstadt? Aus- und anpellen in einer engen Umkleidekabine? Nur wenn sie muss, winkt die Mutter von zwei Töchtern ab:
    "Für mich ist es Stress. Ich bin eine Person, die nicht gern in die Stadt geht. Im Internet ist es einfach einfacher. Ich bestelle mir das. Ich bin eine Person, ich ziehe mich nicht gern um, ich probiere nicht gern. Und wenn ich mir das heim bestelle, probiere ich das in Ruhe an und schicke es dann wieder zurück."
    Start-up hilft bei der Vernetzung
    Weil immer mehr, vor allem junge Heilbronner so denken, ging die Kundenfrequenz im Zentrum zurück. Doch mit der Not wuchs die Experimentierfreude der Innenstadt-Händler. Und so entschied vor zwei Jahren der Gewerbeverein namens "Stadt-Initiative Heilbronn", das Rund-um-die-Uhr-Geschäft im Internet nicht mehr allein den Versand-Riesen zu überlassen. Mit atalanda heuerte der Verein eine Firma an, die den Händlern dabei assistiert, ihr Sortiment zumindest in Teilen online zu stellen - gegen Gebühr. Mit dabei Schreibwaren Seel:
    "Vom Aufwand ist es für uns nicht ganz so schlimm, denn wir haben im Hintergrund eine Genossenschaft, die unsere Artikel einpflegt."
    Für den Auftritt auf dem lokalen Marktplatz "Mein Heilbronn Online-Shop" musste Eva Schnepf, Inhaberin des örtlichen Traditionshauses, deshalb nicht jedes Produkt extra fotografieren und beschriften lassen.
    "Ordner, Stifte, alles was zu einem Schreibwarengeschäft als Standard gehört, haben wir schon auf Knopfdruck."
    Für Händler ohne ein professionelles Warenwirtschaftssystem ist das Einstellen der Sortimente, das Versenden und Einpflegen von Bestellungen eine große Herausforderung. Insgesamt 16 machen mit, vier weitere nutzen die Plattform nur als digitales Schaufenster, ohne Bestellfunktion. Für Kunden bedeutet die eher niedrige Teilnahme-Quote, so Roman Heimbold, Mitgründer von atalanda:
    "Man kann jetzt nicht die komplette Verfügbarkeit in der Stadt abprüfen, da arbeiten wir natürlich dran. Wir sind auch im Gespräch mit großen Ketten, aber das ist ein längerer Prozess."
    Aus Städten werden Online-Citys
    Schließlich habe auch Amazon Jahrzehnte gebraucht, um zu expandieren, ruft Heimbold ins Gedächtnis. Mit Seminaren bereitete atalanda Einzelhändler in 13 Städten auf die lokalen Internet-Marktplätze vor, das gab einen Professionalisierungsschub in Marketing und Recht. Pionier war 2014 die Online-City Wuppertal. Weitere Städte überlegen mitzumachen, wie Plochingen im Schwäbischen und Merseburg im südlichen Sachsen-Anhalt. Das Start-up-Unternehmen bläst nicht zum Kampf gegen einen übermächtigen Online-Riesen, stellt Mitgründer Heimbold klar. Sondern:
    "Wir versuchen wirklich, den lokalen Händlern zu helfen, auf die Plattform zu kommen und die lokalen Stärken mit den Online-Stärken zu verbinden. Auch vom Kopf her müssen es die Händler einmal in den Kopf reinbekommen, dass man sagt, der virtuelle Kunde ist genauso so viel wert, wie der Kunde, der in der Filiale steht, und verdient auch genau den gleichen Aufwand. Es gibt Händler, die sich Tag und nach reinhängen, wo sich bei mir schon die Ehepartner bei mir schon beschwert haben, weil die keine Zeit mehr haben. Aber die feiern dann auch Erfolge."
    Gratis-Angebote sollen Kunden locken
    Zunehmend stöbern die Heilbronner online, und wenn sie sicher sind, dass das gesuchte Produkt vorrätig ist, kommen sie zum Testen und Kaufen vorbei, beobachtet die Schreibwaren-Händlerin Eva Schnepf. Dann besteht die Chance, dass sie in ihrem riesigen, aufwendig dekorierten Sortiment Weiteres entdecken.
    "Unter der Frequenzverlust in der Innenstadt haben wir seit Jahren zu leiden. Aber wir haben tatsächlich seit etwa dem Start von atalanda wieder mehr Kunden im Haus. Also wir hatten seit zehn Jahren tröpfelnd immer weniger Kunden und seit anderthalb, zwei Jahren wieder mehr Kunden."
    Dazu überregionale Online-Bestellungen, fast mehr, als ihr lieb ist. Derzeit subventioniert atalanda die Versandkosten, mit dem Gratis-Angebot will man den Fuß in die Tür bekommen. Doch für Händler wie Eva Schnepf ist der Aufwand für den Versand groß, der Umsatzanteil eher gering. Aber auch das vielleicht erst der Anfang einer Entwicklung ins Lukrative.