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Innere Sicherheit
"Es ist viel Kurzsichtigkeit praktiziert worden"

Norbert Röttgen hat ein systematisches Vorgehen Europas gegen den Terror gefordert. "In der Vergangenheit sind schwere Fehler passiert", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags im Deutschlandfunk. Zur Bekämpfung der Gefahren seien verschiedene Strategien nach innen und außen notwendig.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 19.01.2015
    Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen.
    Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Mit Blick auf die abgesagte Pegida-Demonstration sagte Röttgen: "Die Einschränkung von Freiheit ist zu bedauern. Wir haben eine terroristische Gefahr, die innen- und außenpolitische Komponenten hat, die nicht vorübergehend sein werden."
    Darauf müsse man sich strategisch einstellen. "Die Attentäter von Paris waren bekannt - das zeigt Defizite." Es sei "enorm personalintensiv", Verdächtige zu observieren. Der Westen müsse die Gefahrenabwehr nun systematischer und intensiver angehen, "ohne dass wir mehr Zeit hätten". Für die Bekämpfung des Terrors sei auch der NATO-Partner Türkei wichtig.
    Strategie nach innen und außen gefordert
    Neben der außenpolitischen Frage sei jedoch auch eine "innere Strategie zur Bewahrung von Liberalität" gefragt und auch eine soziale Strategie. Angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit in manchen Ländern müsse man sich der Jugend zuwenden. "Verzweifelung ist ein Nährboden für Terror."
    In der Außenpolitik sei viel Kurzsichtigkeit praktiziert worden. "Es sind ganz sicher schwere Fehler passiert. Der Irakkrieg war ein folgenschwerer Fehler." Es habe oft die Maßgabe gegolten "Der Feind meines Feindes ist mein Freund."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Knapp zwei Wochen sind vergangen seit dem Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris. Überall in Europa wird inzwischen über die Gefahren des Islamismus diskutiert. Das Thema steht heute auch in Brüssel ganz oben auf der Tagesordnung. Dort treffen sich die EU-Außenminister.
    Am Telefon ist jetzt Norbert Röttgen von der CDU, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Röttgen, bevor wir auf das Außenministertreffen blicken, lassen Sie uns kurz über Dresden sprechen und das Demonstrationsverbot, das die Polizei dort für heute verhängt hat. Grund ist eine Terrorwarnung. Es wird also keine Pegida-Demonstration geben. Hat die Islamisierung des Abendlandes also begonnen?
    Röttgen: Nein. Das wäre ja völliger Unsinn. Wenn es eine Terrorwarnung gibt, dann ist das nicht die Islamisierung, sondern dann ist das eine Terrorgruppe möglicherweise, jedenfalls eine konkrete Gefahr und nicht die Islamisierung des ganzen Landes, geschweige denn des Abendlandes. Das hat es auch schon zu anderen Zeiten gegeben. Das ist natürlich bedauerlich, weil es aus Sicherheitsgründen, aus überragenden Sicherheitsgründen zur Einschränkung von Freiheit, individueller und gesellschaftlicher Freiheit kommt. Das ist zu bedauern, aber das hat mit Islamisierung nun wirklich nichts zu tun.
    Armbrüster: Na ja. Man könnte auch sagen, den Islamisten ist es zumindest für einen Tag gelungen, eine große gesellschaftliche Bewegung mundtot zu machen, egal ob man sie nun mag oder nicht.
    Röttgen: An der Aussage finde ich zweierlei falsch. Erstens sehe ich in Pegida nicht eine große gesellschaftliche Bewegung, sondern das ist hier eine Demonstration in Dresden, und zweitens sind es nicht die Islamisten. Ich sage ja, es sind offensichtlich - ich kenne ja nicht die konkreten polizeilichen Informationen, aber es ist eine Terrorwarnung von potenziellen Terroristen, und das ist etwas anderes. Man muss Terrorismus, terroristische Gefahren und das Angst machen vor einer angeblichen Islamisierung doch wirklich unterscheiden.
    Armbrüster: Aber müssen wir uns nicht in Europa möglicherweise häufiger auf solche Terrorwarnungen einstellen, die dann möglicherweise auch ein Demonstrationsverbot nach sich ziehen?
    Röttgen: Wir haben eine neue Terrorerfahrung gemacht in Paris und das, was in Paris passiert ist, das hätte auch in London, in Madrid oder auch in Deutschland passieren können, und das hat Konsequenzen für die Sicherheitslage. Ja, hat es.
    "Die Sache ernster nehmen, systematischer, strategischer angehen"
    Armbrüster: Das heißt, wir müssen uns warm anziehen?
    Röttgen: Ja! Wir haben einen schrecklichen Terroranschlag gemacht, den ich nicht nur für einen Einzelfall halte, sondern wir haben eine terroristische Gefahr, die innen- und außenpolitische Komponenten hat, die nicht vorübergehend sein wird, und auf die müssen wir uns strategisch in Europa und im Westen einstellen.
    Armbrüster: Wir hören nun immer häufiger, Herr Röttgen, dass die Dschihadisten, nach denen da gefahndet wird, Rückkehrer aus den Kriegsgebieten in Syrien und dem Irak sind. Haben wir die in Deutschland und in Europa genügend auf dem Schirm?
    Röttgen: Ich glaube schon, dass wir sie auf dem Schirm haben. Die Attentäter von Paris waren ja bekannt. Das zeigt, es gibt auch Defizite, weil es enorm personalintensiv ist, bekannte gefährliche Terrorverdächtige dann auch zu observieren. Das heißt, wir haben aus der Erfahrung jetzt heraus dringenden Anlass, die Sache ernster zu nehmen, systematischer, strategischer anzugehen, ohne dass wir dafür viel Zeit haben.
    Armbrüster: Wie macht man das denn, das systematischer und intensiver anzugehen?
    Röttgen: Indem wir uns endlich bewusst werden, dass diese, aus außenpolitischen und inneren Zusammenhängen entstehende Terrorgefahr zu einem großen europäischen Projekt werden müssen. Wir müssen uns außenpolitisch - heute ist ja die Tagung der Außenminister - systematisch mit dieser Region beschäftigen, etwa mit dem NATO-Partner Türkei, der nicht abdriften kann. Wir haben andere Länder, die wir noch gar nicht richtig wahrnehmen, wie Libyen, die im Terror versinken. Wir müssen uns als Europäer mit dieser Region beschäftigen in der gesamten Bandbreite von innen- und außenpolitischen Situationen und wir brauchen eine innere Strategie zur Bewahrung von Liberalität. Wir müssen neue rechtsstaatliche Instrumente der Prävention, auch der Ermittlung verfolgen und wir brauchen eine soziale Strategie. Wir müssen uns um die Jugend Europas kümmern. Wenn in einigen Ländern die Jugendarbeitslosigkeit seit Jahren über 40 Prozent liegt, dann ist das auch eine Verzweiflung, eine Botschaft der Gesellschaft in Europa, wir brauchen ganze Generationen von Jugendlichen nicht. Das ist ein Nährboden für Verzweiflung, Frustration und damit auch für Terrorneigungen.
    Armbrüster: Wenn wir jetzt mal noch bei der Terrorismusbekämpfung oder bei der Analyse vielmehr bleiben - es gibt da einige in Brüssel, die schlagen jetzt vor, einen europäischen Geheimdienst zu etablieren, einfach um die Gefahr des Islamismus von einer einzigen Stelle aus wirksam beobachten und verfolgen zu können. Was halten Sie von einer solchen Idee?
    Röttgen: Ich glaube, dass das nicht zielführend ist. Wir brauchen bessere Zusammenarbeit auch zwischen den Geheimdiensten, zwischen den Diensten. Aber jetzt mit einem völlig neuen Instrument, einer völlig neuen Behörde, die ja neue Grundlagen braucht, die eine eigene Kontrolle bräuchte, sozusagen in der jetzigen Situation anzufangen, würde ja die vorhandenen Instrumente der Geheimdienste schwächen, in eine große Umorganisation bringen. Darum, glaube ich, ist das jedenfalls jetzt kein Instrument. Es ist auch ein Instrument, die Geheimdienste, die eng an den Nationalstaaten orientiert sind, sowohl was Tradition wie ihre rechtliche parlamentarische Kontrolle anbelangt. Ich glaube nicht, dass das zielführend ist, kurzfristig sowieso nicht.
    "Der Irak-Krieg 2003 war ein folgenschwerer Fehler"
    Armbrüster: Der Blick, Herr Röttgen, muss natürlich in einer solchen Situation auch über die europäischen Grenzen hinausreichen, und da stellt sich dann immer wieder die gleiche Frage: Hat der Westen den militanten Islam mit kreiert, zum Beispiel mit seiner verfahrenen Politik im Irak und in Afghanistan? Sind westliche Politiker mitverantwortlich für das Aufkommen dieser Strömung?
    Röttgen: Es sind ganz sicher schwere Fehler passiert. Der Irak-Krieg 2003 war ein folgenschwerer Fehler. Es ist immer wieder auch eine Politik praktiziert worden, die darin bestand, der Feind meines Feindes ist mein Freund, ich unterstütze ihn, und dann wurde auch der Feind des Feindes ein Feind. Also es ist oftmals viel Kurzsichtigkeit praktiziert worden. Darum sind auch Fehler gemacht worden. Das hilft aber jetzt auch nichts. Wir haben eine Situation der Bedrohung, die ist systematisch, die ist staatenübergreifend, etwa durch IS in einer Region, die sonst nur von Staatenzerfall und Erosion von staatlicher Autorität geprägt ist. Wir haben die Umbrüche in Nordafrika. Wir haben jetzt eine Situation, um die wir uns jetzt aktiv kümmern müssen. Wir sollten lernen, begangene Fehler nicht zu wiederholen. Aber wir sollten vor allen Dingen einen Fehler, den wir permanent machen, nicht wiederholen, und das ist Wegschauen. Das sind nationalstaatliche Ansätze, ein zu wenig an europäischer Koordination und Geschlossenheit, und vor allen Dingen wir müssen an diesen Themen dran bleiben, auch wenn sie mal nicht für einen Monat im Fernsehen sind.
    Armbrüster: Herr Röttgen, ich will da ein Zitat von Sahra Wagenknecht einmal anschließen. Die hat am Wochenende gesagt, ich zitiere: „Wenn eine vom Westen gesteuerte Drohne eine unschuldige arabische oder afghanische Familie auslöscht, dann ist das ein genauso verabscheuenswürdiges Verbrechen wie die Terroranschläge von Paris, und es sollte uns mit der gleichen Betroffenheit und dem gleichen Entsetzen erfüllen.“ Messen wir da im Westen immer mit zweierlei Maß?
    Röttgen: Ich glaube nicht, dass wir das tun, sondern ich glaube, es ist der Versuch der Unterstellung von Frau Wagenknecht, dass wir es täten. Sie will uns gerade das unterstellen. Das, womit wir konfrontiert sind, ist eine reale terroristische, zum Teil quasi-staatliche Gefahr und Bedrohung, die organisiert ist, die finanziert ist, die von anderen Ländern in anderen Ländern sich austobt, aber auch von anderen Ländern auf Europa abzielt. Dagegen haben wir bislang zu wenig getan. Es geschehen auch Fehler, auch in Konflikten, auch in Instrumenten, die wir einsetzen, ohne jede Frage. Die müssen auch bezeichnet werden. Aber dass die Terrorgefahr, die blind, willkürlich Unschuldige tötet, die sich auf unsere Zivilisation richtet, damit gleichzusetzen ist, das ist, glaube ich, eine Verzerrung, die bewusst von Frau Wagenknecht vorgenommen wird, um hier die Kategorien zu verwirren.
    "Ukraine-Konflikt geht weiter"
    Armbrüster: Herr Röttgen, wir müssen an diesem Montagmorgen auch noch kurz über die Ukraine sprechen. Da hören wir seit dem Wochenende von einer neuen Eskalation der Kämpfe, und zwar auf beiden Seiten. Kann es sein, dass die Kriegsparteien in diesem Konflikt versuchen auszunutzen, dass ihr Konflikt, dass ihr Krieg gerade nicht allzu genau verfolgt wird, weil der Islamismus so sehr im Fokus steht?
    Röttgen: Das glaube ich nicht, sondern es ist zu beobachten, dass nach Ende des orthodoxen Weihnachtsfestes wieder die Konflikte losgehen. Sie sind eben ja auch nie wirklich unterbrochen worden. Eine oder die zentrale Forderung aus dem Minsker Abkommen war ja, dass auch die Grenze durch Russland zugemacht wird, damit keine weitere militärische Ausrüstung und Unterstützung stattfindet. Neben anderen ist diese Zentralforderung von Russland bislang nicht erfüllt worden. Wir haben ein Weitergehen dieses Konfliktes. Der ist nicht eingefroren, sondern er ist heiß. Täglich wird geschossen, wird getötet, und darum wäre es einer der Fehler, von denen Sie eben auch gesprochen haben, wenn wir uns immer ablenken lassen durch das, was gerade medial Nummer eins ist. Leider ist die Welt so komplex geworden, so chaotisch, dass wir gleichzeitig mehrere Plätze der Bedrohung, des Krieges, des Terrors wahrnehmen müssen, und dürfen uns nicht nur auf eins konzentrieren. Wir sind an mehreren Stellen gefordert. Auch darum brauchen wir eine westliche, eine europäische Strategie.
    Armbrüster: Norbert Röttgen war das, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Herr Röttgen, für das Gespräch heute Morgen.
    Röttgen: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.