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Innere Sicherheit
Was bei der Terrorismusbekämpfung nottut

Den deutschen Sicherheitsbehörden stellt der ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt ein gutes Zeugnis aus. Wobei er in seinem Buch "Wie sicher sind wir? Terrorabwehr in Deutschland" davor warnt, die Risiken durch Terrorismus zu unterschätzen. Der Autor erklärt, was hierzulande zur Anti-Terrorbekämpfung getan wird. Und woran es noch mangelt, an Polizisten beispielsweise.

Von Gerwald Herter | 15.05.2017
    Sie sehen den Sattelschlepper, mit dem der Anschlag verübt wurde, Arbeiter befestigen ihn am 20.12.2016 auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin an einem Abschleppwagen.
    Der Weihnachtsmarkt auf dem Breit­scheidplatz nach dem Anschlag am 19.12.2016. Sie sehen den Sattelschlepper, mit dem der Anschlag verübt wurde. (picture-alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Statt eines breiteren Fazits stellt Holger Schmidt im Schlusskapitel seines Buchs fünf Thesen für die Zukunft auf, und zwar unter der Überschrift: "Was bei der Terrorismusbekämpfung nottut": Eine Gefahr sieht er in der Frage, wie Staat und Gesellschaft auf Terrorismus reagieren. Außerdem fordert Schmidt eine Reform der deutschen Sicherheitsarchitektur, ganz besonders eine Reform des Verfassungsschutzes. Er will mehr Polizei, wie er schreibt "aber nicht nur wegen des Terrors". Außerdem unterstreicht der ARD-Terrorismusexperte, dass die Justiz handlungsfähig bleiben müsse. Und schließlich stellt Holger Schmidt etwas fatalistisch fest, dass - Zitat "nur Katastrophen" Veränderungen in den deutschen Sicherheitsbehörden schaffen. Vorsorglich verlangt er vor allem Augenmaß, wenn es durch Katastrophen zu Veränderungen kommt.
    Sicherheitsbehörden nicht frei von Fehlern
    Das klingt nun nicht so, als könne man sich in Deutschland besonders sicher fühlen. Im Interview tritt Holger Schmidt diesem Eindruck allerdings entgegen:
    "Ich bin der Meinung, dass wir ziemlich sicher sind, weil wir sehr gute Sicherheitsbehörden in Deutschland haben, die allerdings, wie alle Aspekte staatlichen Handelns, auch nicht frei von, vielleicht auch ganz menschlichen Fehlern sind. Deswegen darf man sich auch nicht blind darauf verlassen, muss das Risiko sehen und muss sehen, dass Terroristen immer wieder auch damit spielen wollen, dass wir Angst haben, dass wir eben nicht sicher sind. Und deswegen versuche ich zu erklären, was in Deutschland zur Anti-Terrorbekämpfung getan wird und eben auch für Gelassenheit zu werben, dass wenn mal etwas passiert, dass man deshalb nicht gleich das Ende der Welt herbeiredet."
    So direkt und bündig beantwortet Holger Schmidt die im Buchtitel aufgeworfene Frage "Wie sicher sind wir?" im Buch selbst nicht. Stattdessen liefert er viele Bestandteile der Antwort, die die Leser zusammenfügen können. Er schildert Fallbeispiele, wie etwa den Anschlag am Berliner Breitscheidplatz, er bietet zum Beispiel einen kurzen Abriss über die Geschichte des Islamismus in Deutschland und kommt immer wieder auf die "Sicherheitsarchitektur" und ihre Veränderungen, oft sind es Verbesserungen, aber auch auf Widerstände zu sprechen:
    Der Gefährder
    "Die Geschichte des Terrorismus in Deutschland ist zugleich eine Geschichte der Fehleinschätzungen und Lerneffekte bei den Sicherheitsbehörden." Die Lerneffekte führen dann zu politischen und ermittlungstaktischen Entscheidungen, die auch Nachteile bergen, etwa wenn es um "Gefährder" geht. Eigentlich ein Begriff aus der Polizeiarbeit, aber im Grunde ein Instrument der Terrorabwehr, den Schmidt kenntnisreich und gründlich erklärt:
    "Die Polizei ist bei Gefährdern davon überzeugt, dass es durch sie künftig zu Straftaten kommen kann. Es ist eine Annahme, kritisch betrachtet sogar eine Vorverurteilung aufgrund einer polizeilichen Prognose, gegen die sich die Betroffenen rechtlich nicht wehren können: Weder das Strafrecht noch das Verwaltungsrecht geben den Betroffenen die Möglichkeit, die Einstufung als Gefährder richterlich überprüfen zu lassen, und es gibt auch keinen Auskunftsanspruch darauf, ob man als Gefährder geführt wird."
    Seit den Anschlägen des 11. September 2001 sind einige Strukturen entstanden, die die Vielzahl der deutschen Sicherheitsbehörden dazu bringen sollen, ihre Erkenntnisse auszutauschen und ihr Vorgehen abzustimmen. Schmidt skizziert vor allem das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin, wo neben BKA, LKAs und der Bundespolizei, auch die Geheimdienste, der Zoll und zum Beispiel das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vertreten sind. Hier liegt ein Schwerpunkt von Schmidts Darstellung. Er macht deutlich, dass die Nachteile des in Deutschland immer noch vorherrschenden Sicherheits-Föderalismus selbst durch Einrichtungen wie das Terrorabwehrzentrum nicht aufzuheben sind. Zitat: "Es wäre gut, die deutsche Sicherheitsarchitektur vorbehaltlos auf den Prüfstand zu stellen".
    Anschläge ohne Bekennerschreiben
    Die Ermittlungsfehler bei der Aufklärung der Anschläge des NSU spielen für diese Schlussfolgerung eine besonders wichtige Rolle. Weil Bekennerschreiben fehlten, tappten die Ermittler in eine Falle. Für Schmidt bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehbar, weil sich deutsche Sicherheitsbehörden seit RAF-Zeiten daran gewöhnt hatten, dass terroristische Anschläge stets von Bekennerschreiben begleitet werden. Aber unterm Strich nicht zu entschuldigen. Der Frage, ob sich die deutschen Sicherheitsbehörden vielleicht zu sehr daran gewöhnt hatten, dass Terrorismus von links und nicht von rechts kommt, geht Schmidt nicht nach, obwohl er das Oktoberfest-Attentat 1980 zumindest erwähnt.
    Holger Schmidt versucht häufig die Perspektive der Akteure zu vermitteln und kritisiert bei dieser Gelegenheit immer wieder auch die Medien: "'Helfer der Paris-Attentäter wurde vor der Tat von der Polizei in Ulm kontrolliert' ist eine vermeintlich spektakuläre Schlagzeile. Entscheidend für eine objektive Bewertung ist dabei aber immer, wie viele Informationen zum jeweiligen Zeitpunkt die jeweilige Behörde hatte – oder hätte haben müssen."
    Vielleicht kommt in diesem informativen, verständlichen und alles in allem gut lesbaren Buch, nur eines zu kurz: Holger Schmidts Arbeitsmethoden. Wie geht er mit Quellen in den Sicherheitsbehörden um? Unter den fast 340 Fußnoten hilft da vor allem eine weiter:
    Schmidts Quellen
    "Hintergrundgespräche sind Termine, bei denen Politiker oder Beamte aus Behörden gegenüber einzelnen Journalisten oder kleinen Gruppen ihre Arbeit erläutern und Einschätzungen geben, dabei aber mit den Journalisten vereinbaren, dass diese Informationen 'nur für den Hintergrund' gedacht sind und nicht wörtlich oder mit Bezug auf den Gesprächspartner zitiert werden dürfen".
    Im Gespräch unterstreicht der ARD-Terrorismusexperte, dass er sich der Gefahr bewusst ist, instrumentalisiert zu werden, denn: "Jeder, der mit Ihnen spricht, möchte sie instrumentalisieren. Da darf man sich, glaube ich, einfach überhaupt keine Illusionen darüber machen. Eine Behörde möchte Sie vielleicht instrumentalisieren, dass sie in Ihrer entsprechenden Sicht die Dinge schildern und das kann sogar eine Sicht sein, die dazu geneigt ist, im großen Behördenkonzert, das man in Deutschland hat, die eigene Behörde ganz besonders hervorzuheben."
    Andere Akteure sind aus Holger Schmidts Sicht nicht weniger eigennützig. Gleichgültig, ob Rechtsanwälte oder Politiker. Wenn es um Terrorismusabwehr geht, einem Bereich, wo Geheimhaltung und Vertraulichkeit schon aus ermittlungstaktischen Gründen besonders hoch gehalten werden, sind Informationen aus Sicherheitsbehörden aber besonders wertvoll. Dieses wichtige Buch hätte eine kurze Darstellung auch dieses Spannungsverhältnisses wohl verdient.
    Holger Schmidt: "Wie sicher sind wir? Terrorabwehr in Deutschland. Eine kritische Bilanz"
    Orell Füssli, 288 Seiten, 19,95 Euro.