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Innerkatholische Reformbaustellen

Benachteiligung von Frauen, Priestermangel, unzeitgemäße Sexualmoral: Viele Katholiken sind unzufrieden mit dem Zustand ihrer Kirche. Doch Reformen bleiben bislang aus.

Von Monika Konigorski | 11.03.2013
    Reformorientierte Katholiken sprechen von einem Reformstau in ihrer Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Das endete im Jahr 1965. Die Rufe nach Veränderungen sind auch in der letzten Zeit nicht verstummt.

    Zwei Beispiele aus dem deutschsprachigen Bereich: In einem Memorandum von Theologieprofessoren erhoben 2011 katholische Lehrstuhlinhaber in einer konzertierten Aktion ihre Stimme so deutlich wie nie zuvor. Bereits fünf Jahre zuvor hatten römisch-katholische Priester eine Initiative ins Leben gerufen, die sich auch als "Aufstand" bezeichnen lässt: die österreichische Pfarrerinitiative um Helmut Schüller. Sie nahm in Österreich ihren Ausgang, hat inzwischen aber Ableger in etlichen europäischen Nachbarländern gefunden. Die Initiative brandmarkt auch die psychische und physische Belastung der Priester als unhaltbar.

    Kritik aber wird von offizieller Kirchenseite häufig nicht als Aufforderung zur Selbstreflexikon entgegengenommen. Stattdessen unterstellt man üble Absichten aufseiten der Kritiker. In diesem Zusammenhang sprach kürzlich der Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan, Erzbischof Ludwig Müller, von einer Pogromstimmung gegen Katholiken.

    Den Grund für diese Abwehrhaltung des katholischen Lehramtes sieht der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn durchaus auch in den Erwartungen, die Menschen heute an die Kirche richteten.

    "Von der einen Seite her trägt man an sie die Erwartung heran, dass in einer Gesellschaft, wo sich alles ändert, es wenigstens einen Ort geben muss, in dem das Bleibende, Verlässliche und Beständige antreffbar ist. Das ist sogar eine Grunderwartung an Religion: Sie soll Geborgenheit, Verlässlichkeit, Zugehörigkeit vermitteln, und soll durchaus der Fels sein in einem ansonsten sich permanent verändernden Umfeld."

    Diese Erwartung stärke jene Kräfte, die auf alle Rufe nach Modernisierung zurückhaltend reagierten. Modernisierungskritische Stimmen dagegen würden rezipiert, besonders jene Auffassungen, die die Moderne selbst am Ende sähen.

    "Da erscheint es doch viel sinnvoller, auf Positionen zu vertrauen, die sich bewährt haben, die immer wieder aufgegriffen und bekräftigt wurden, das ist doch viel sinnvoller, als sich unter den Beschleunigungsdruck einer permanenten Selbstveränderung zu setzen. Dagegen haben es dann die Modernisierer schwer, die sagen, man kann dem Evangelium nur gerecht werden, wenn man sich auf der Höhe der Zeit auch organisiert und mit den Mitteln der Zeit vergegenwärtigt und angreifbar macht."

    Doch der Reformstau innerhalb der katholischen Kirche hat auch strukturelle Ursachen. Höhn sieht die Selbstsakralisierung der Kirche und ihrer Würdenträger als ein Beispiel. Auch der Papstrücktritt zeige dies wieder überdeutlich – auch weiterhin lässt sich Joseph Ratzinger als "eure Heiligkeit" anreden.
    Eine weitere Hürde bei der Umsetzung von Reformen: Mentalitätsprobleme im Bereich des kirchlichen Personals. Hans-Joachim Höhn:

    "Wenn man sorgfältig in Gemeinden hineinhört und die Wahrnehmung jener Priesterjahrgänge aufnimmt, die dort artikuliert werden, dann stellt man schon fest, dass dort ein Persönlichkeitstypus neu ins Priesteramt gekommen ist, der sich sehr stark an autoritären Zügen orientiert. Mit einem kooperativen Führungsstil sich sehr schwer tut, der Mühe hat, Ehrenamt anzuerkennen, Kompetenzen zu delegieren, sondern selber eine Leitungskompetenz in einer Hand haben möchte, die in keiner Weise kommunikativ oder auf Partizipation hin angelegt ist."

    Von Bischöfen oder Pfarrern abgesetzte Laiengremien wie Pfarrgemeinderäte oder Kirchenvorstände können ein Lied von dieser Mentalität singen. Die Gremien entstanden im Geiste und nach Vorgabe des Zweiten Vatikanischen Konzils, das das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen herausgearbeitet hatte. Doch auch dort, wo sie nicht ausgebremst werden, verfügen die Gremien nur über begrenzte Entscheidungskompetenzen. Marco Politi, Journalist und Buchautor in Rom, beobachtet den Vatikan und die Kurie seit Jahren. Er erwartet, dass mit einem neuen Papst nach Jahren des Reformstaus endlich Bewegung in die katholische Kirche kommt.

    "Was eigentlich die Reformer hoffen von dem nächsten Papst, ist nicht so sehr, dass jetzt der Kandidat sagt, ich werde dies und das ändern, sondern dass es endlich eine Diskussionsfreiheit über diese Themen gibt, und dass dann der Papst nicht mehr als Einzelherrscher Dinge entscheidet, sondern dass er anfängt, die Bischöfe der Welt in diese Entscheidungen miteinzubeziehen."

    Veränderungen werde es ganz sicher geben, sagt Politi. Auch Kardinäle seien inzwischen der Meinung, dass der Papst als Oberhaupt von 1,1 Milliarden Katholiken nicht mehr alles alleine entscheiden könne. Eine überfällige Reform: der Umbau der Kurie

    "Also einerseits wollen alle – die konservativen, die gemäßigten, die Reformer, eine Reorganisation der Kurie. Die Kurie hat unter Benedikt XVI. nicht gut gearbeitet, denn vor allem der Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone hatte keine Erfahrung. Weder aus dem diplomatischen Dienst noch hatte er Erfahrung, wie man den Apparat der Kurie managen kann. Er war ja auch ein Theoretiker wie Ratzinger, er hatte ja mit ihm als Sekretär in der Glaubenskongregation gearbeitet."

    Korruption in der Kurie, die im Rahmen des Vatileaks-Skandals ans Licht gekommen sei, müsse eingedämmt werden, die Vatikanbank transparenter arbeiten. Für wesentlich hält Politi auch, dass sich die Zusammenarbeit der Kuriengremien mit dem Papst ändere.

    "Papst Benedikt sah überhaupt nicht alle Chefs der verschiedenen Kongregationen regelmäßig, es gab nur zwei, oder dreimal im Jahr eine allgemeine Kabinettssitzung. Also da sind sich alle einig, dass die Kurie als Regierung besser funktionieren muss. Und dass ein Papst viel mehr Input haben muss – nicht nur von seinem Staatssekretär oder zwei, drei Kardinälen, sondern von [den] ganzen Kardinälen, die in der Kurie arbeiten, als Chefs der verschiedenen Abteilungen."

    Der Papst solle sich zudem in Einzelfragen mit den Kardinälen weltweit besser und konkreter abstimmen.

    "Und eine dritte Forderung, die kommt mehr vom reformfreudigen Lager, ist, dass die Bischofssynode nicht mehr gerufen wird, um über allgemeine Themen zu diskutieren wie die Neuevangelisation, sondern gerufen wird, um sich über zwei oder drei ganz bestimmte Punkte zu beraten, damit dann der Papst auch ganz bestimmt weiß, was möchten die Bischöfe in der Welt."

    Der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn setzt für Veränderungen auf die Ortsbischöfe. Er fordert, dass sie sich – in seinen Augen überflüssigerweise – abgegebene Kompetenzen wieder zurückholen.

    "Ich vermag nicht einzusehen, warum man für die Einführung eines deutschen Gebet- und Gesangbuches, ein römisches Okay braucht. Das hätte man gut und gerne auch in eigener Kompetenz bewältigen können. Und das kann man mit vielen weiteren Beispielen belegen, wo nicht nur Rom am römischen Zentralismus selber schuld ist, sondern auch eine gewisse Widerstandslosigkeit in den Ortskirchen auch dazu beigetragen hat. Hier mit etwas mehr Selbstbewusstsein aufzutreten, wäre nicht schlecht."

    Die Notwendigkeit von innerkirchlichen Reformen ist bei allem überdeutlich. In Deutschland zeigten Anfang des Jahres die Ergebnisse der sogenannten Sinus-Milieu Studie unter Katholiken, selbst treueste Katholiken sind mit ihrer Kirche inzwischen unzufrieden. Die innere Entfremdung ist weit fortgeschritten.

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