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Insekten als Lebensmittel
Im Landeanflug auf den EU-Markt

Heuschrecken und Mehlwürmer statt Chips und Flips? Seit Anfang des Jahres fallen Insekten unter die EU-Verordnung für neuartige Lebensmittel. Die europäische Lebensmittelbehörde rechnet mit mindestens zehn Zulassungs-Anträgen in diesem Jahr. In den Niederlanden gibt es die Tierchen schon im Supermarkt.

Von Volker Mrasek | 04.04.2018
    Seiya Takahashi tries to eat a canape with a fried locust during a Christmas event in Tokyo on December 24, 2016. About 35 people took part in the Christmas event, which was organised by a group which enjoys cooking insects and worms. / AFP PHOTO / Toru YAMANAKA
    Schnittchen mit Heuschrecke: Jeder siebte Deutsche hat laut einer Umfrage schon einmal Insekten probiert, sieben Prozent sehen darin eine echte kulinarische Alternative. (AFP)
    Jeder siebte Deutsche hat sie schon einmal probiert und sich dazu durchgerungen, Insekten zu essen. Das ergab eine Verbraucherumfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung, BfR. Der Biochemiker Mark Lohmann führte sie mit durch. Und ist offenbar selbst auf den Geschmack gekommen:
    "Eine Heuschrecke, würde ich sagen, schmeckt wie Chips. Man kann sie dann auch in verschiedene Saucen dippen. Das ist wirklich ein Geschmackserlebnis. Auch Mehlwürmer kann man empfehlen."
    Deshalb kann sich Lohmann auch gut vorstellen, "dass man also abends vor dem Fernseher dann Heuschrecken in so einem Schälchen hat und sich ab und zu einmal eine nimmt."
    Schöne neue Ernährungswelt! In anderen Weltregionen stehen Insekten schon lange auf dem Speiseplan und sind dort eine geschätzte Protein- und Vitaminquelle. Doch auch in Europa haben sie inzwischen einen Fuß in der Tür - oder besser gesagt: einen Fühler!
    Der Markt war schneller als die EU-Kommission
    Der niederländische Tropenbiologe Arnold van Huis, Herausgeber einer neuen Fachzeitschrift über Insekten als Lebens- und Futtermittel:
    "In den Niederlanden kann man sie schon seit 2015 im Supermarkt kaufen. Es ist eine Reihe ganz neuer Firmen entstanden. Sie verarbeiten Insekten zum Beispiel zu Proteinriegeln oder in Nudeln und Brot."
    Der Markt war damit schneller als die EU-Kommission. Inzwischen hat Brüssel aber entschieden: Essbare Insekten sind in Europa als neuartige Lebensmittel aufzufassen. Deshalb fallen sie seit dem 1. Januar unter die Novel-Food-Verordnung der EU. Hersteller brauchen ab sofort eine Zulassung durch die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Wer Insekten schon jetzt vermarktet, muss sich nachträglich darum bemühen.
    Er rechne mit mindestens zehn Anträgen in diesem Jahr, sagt Wolfgang Gelbmann. Der österreichische Veterinärmediziner ist für die Bewertung neuartiger Lebensmittel bei der EFSA zuständig:
    "Unter der Voraussetzung, dass unsere Experten sie begutachtet haben und dann auch die Zulassung erfolgt durch die Mitgliedsländer, kann man davon ausgehen, dass sie so sicher sind wie andere Lebensmittel, die bereits am Markt sind."
    Laut Gelbmann wird seine Behörde nicht nur wissen wollen, welche Insekten die Antragsteller verwenden und in welcher Form und Menge sie im Lebensmittel vorliegen.
    Bei Insekten wird der Darm vor Verarbeitung nicht entfernt
    Von Bedeutung sei auch, welches Futter die Tiere erhalten:
    "Man kann's grob vereinfachen, indem man sagt: Was man den Tieren füttert, das werden wir wahrscheinlich auch auf den Teller bekommen in der ein oder anderen Form."
    Das hat man auch schon bei Rindern und Hühnern gesehen, wo verseuchte Futtermittel zum BSE- und zum Dioxin-Skandal führten. Bei Insekten könnten sich zum Beispiel giftige Schwermetalle als kritisch herausstellen:
    "Gerade bei Cadmium ist das bekannt, dass manche Insekten Schwermetalle anreichern können. Aber das ist handhabbar, indem man eben schaut, dass die Futtermittel selber gewisse Mengen nicht überschreiten."
    Natürlich sollen Insekten auch keine Krankheitserreger übertragen, wenn wir sie essen - Salmonellen etwa oder Fäkalkeime. Allerdings gibt es hier ein Problem: Bei Insekten werde der Darm vor der Verarbeitung nicht entfernt, wie der Tierarzt sagt. Das sei zu aufwändig:
    "Man versucht, das biologische Risiko des Darminhalts zu reduzieren einerseits, indem man die Insekten vor der Tötung nicht mehr füttert. Ein Tag, zwei Tage vielleicht. Und dann durch die weitere Verarbeitung: Durch thermische Methoden kann man natürlich dann das Restrisiko noch einmal reduzieren oder sogar eliminieren."
    Krebstier-Allergiker könnten auch auf Insekten reagieren
    Schwierig wird es dagegen, Allergien durch essbare Insekten zu vermeiden. Sie enthalten nämlich ganz ähnliche Proteine wie Krebstiere. Und viele Garnelen-Allergiker reagieren auch empfindlich auf Insekten, wie Studien erst kürzlich zeigten:
    "Wenn Insekten auf den Markt kommen, wird es sicher früher oder später auch allergische Reaktionen geben, die man wahrscheinlich so handhaben wird wie bereits bekannte Allergene in unseren Lebensmitteln."
    Sprich: Die EFSA wird vermutlich entsprechende Hinweise auf den Verpackungen verlangen, wie man sie auch von Erdnüssen, Eiern und anderen Allergie-Auslösern in Lebensmitteln kennt.
    Auch in Deutschland sind neuerdings Insekten auf dem Markt. Eine Supermarkt-Kette verkauft seit wenigen Wochen in einem ihrer Läden Nudeln mit gemahlenen Mehlwürmern. Auf solche verarbeiteten Produkte werde es auch hinauslaufen, sagt Mark Lohmann vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Denn vor Insekten, die man im Ganzen verspeist, ekelten sich einfach zu viele Verbraucher:
    "Liegen die Insekten aber verarbeitet vor, das heißt erkennt man gar nicht mehr die Fühlerchen, die Beinchen, dann reduziert sich auch die Ekel-Barriere und die Akzeptanz wird sicherlich ansteigen."
    Sieben Prozent können sich Insekten als Alternative vorstellen
    Allerdings: In den Umfragen konnten sich nur sieben Prozent aller Deutschen Insekten als echte Alternative zu gewohnten Lebensmitteln vorstellen. Etwa als Ersatz für Protein-liefernde Fleischprodukte, deren Herstellung viel mehr Landfläche, Futtermittel und Wasser beansprucht.
    In welchem Ausmaß Mehlwürmer, Heuschrecken und Grillen am Ende Einzug in unsere Ernährung halten, ist also noch völlig offen.