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Insektenfühler als Sensoren
Sich die Natur zunutze machen

Insekten nutzen ihre Kopfantennen, um sich zu orientieren. Diese hochsensiblen Sinnesorgane können auch geringste Spuren eines Duftstoffes über große Distanzen wahrnehmen. Forscher an der Universität Gießen wollen Insektenantennen deshalb gezielt als Sensoren verwenden.

Von Magdalena Schmude | 05.12.2013
    "Ich halte hier in meinen Händen einen Antennenchip, schaut aus wie eine Zweieuromünze mit einem Schlitz in der Mitte und zwei Näpfchen und zwischen die Näpfchen wird die Antenne draufgelegt."
    Matthias Schott dreht den schwarzen Plastikchip noch einmal in der Hand, dann legt er ihn zurück auf den Labortisch. Dort liegen außerdem: Schläuche, Drähte, Schraubenzieher und eine Zange. Auch der Rest des Raumes erinnert eher an den Keller eines Hobbybastlers als an ein biotechnologisches Labor. Matthias Schott passt in Jeans und grauem Wollpullover ganz gut hierher. Der Biologe von der Uni Gießen bastelt gerne, wie er selbst sagt.
    Jetzt zeigt er auf ein Plakat, das hinter ihm an der Wand hängt und eine Insektenantenne stark vergrößert zeigt.
    "Auf der Antenne sind lauter so haarige Strukturen. Das sind die Sensillen der Antenne, das sind die eigentlichen Sinnesorgane. Und in diesen Sensillen sind lauter Rezeptoren für gewisse Duftstoffe."
    Begegnet das Insekt - beziehungsweise seine Antenne - diesem Duftstoff, lösen die Sensillen einen Nervenimpuls aus, der an das Insektengehirn weitergeleitet wird. Mit dem Antennenchip, auf dem zwei Elektroden montiert sind, können die Forscher diesen Impuls auffangen, elektrisch verstärken und daraus mit einem Computer unter anderem die Konzentration des Duftstoffes berechnen.
    Die Antenne selbst liegt auf dem Chip in einer Salzlösung, die sie für mehrere Stunden funktionsfähig hält, nachdem sie vom Kopf eines betäubten Insekts abgetrennt wurde. Derzeit arbeitet Matthias Schott mit den Antennen des Traubenwicklers, einem Schädling, der auf Weinreben spezialisiert ist und für massive Ernteausfälle sorgt. Um den Traubenwickler zu bekämpfen, nutzen die Winzer die Vewirrmethode, bei der sie großflächig Sexuallockstoffe des Traubenwickler-Weibchens versprühen und so Männchen auf Partnersuche in die Irre führen. Eine natürliche Methode, die aber nicht in allen Weinbergen funktioniert.
    "In diesen Weinbergen möchte man wissen, warum das so ist. Und dazu muss man wissen, wie viel Pheromonmenge dort vorkommt. Und dazu nehmen wir die Antenne, weil eben mit den anderen Analysemethoden wir die Pheromonmenge nicht bestimmen können, weil die Antenne wesentlich genauer ist."
    Ist die natürliche Pheromonmenge in einem Weinberg bekannt, kann die Verwirrmethode gezielter eingesetzt werden.
    Doch die überlegene Empfindlichkeit der Insektenantenne hat auch Nachteile.
    "Sie reagiert nicht nur auf Duftstoffe aus der Umgebung, sondern auch auf Vibrationen, auf elektromagnetische Felder, auf Temperatur- und Feuchtigkeitsunterschiede."
    All diese Reize lösen ebenfalls elektrische Signale aus, die technisch nicht voneinander zu unterscheiden sind. Während der Messungen werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit um die Antenne herum deshalb konstant gehalten und elektrische Felder abgeschirmt. Das Messgerät, in das die winzige Insektenantenne eingespannt wird, hat dadurch die Maße eines mittelgroßen Reisekoffers. Trotzdem könne man es noch alleine tragen, erzählt Matthias Schott, der damit auch schon in einem Weinberg unterwegs war.
    Neben der reinen Konzentrationsbestimmung eines Duftstoffes sieht er auch andere Anwendungsmöglichkeiten für den Antennen-Sensor.
    "Das kommt immer ein bisschen auf die Fragestellung an. Also dass ich mir beim Traubenwickler anschaue, können die auch wahrnehmen, dass Trauben geschädigt sind. Und es ist auch so, dass die Traubenwickler bestimmte Pilzkrankheiten riechen können, weil sie dann da ihre Eier nicht hinlegen."
    Mit der hochsensiblen Antenne des Schädlings könnte man also frühzeitig erkennen, ob eine Rebe von einer Pilzkrankheit befallen ist.
    Matthias Schott hält ähnliche Anwendungen auch mit den Antennen anderer Insektenarten für denkbar. Wichtig sei dafür lediglich, die Duftstoffe zu kennen, auf die sich eine Insektenart spezialisiert hat, um ihre Fähigkeiten gezielt nutzen zu können.