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Inselkrank

Die Schriftstellerin Claretta Cerio hat eine große Liebe: Capri. In ihrem neuen Buch: "Mein Capri" erinnert sie sich an ihre Zeit auf der Insel und verfolgt die Spuren der deutschen und internationalen Intellektuellen, die die Insel im Laufe der Zeit besucht haben.

Von Katja Lückert | 04.01.2011
    Inseln verlangen eine gewisse Entschiedenheit; auf einer Insel ist man entweder ganz oder gar nicht. Das mag ein Grund für die intellektuelle Attraktivität von Eilanden sein. In der Literatur schlägt sich die Begeisterung jedenfalls üppig nieder. Wenn aber jemand gleich zwei Inseln seine Heimat nennt, die überdies 2000 Kilometer auseinander liegen, dann kann die Beschäftigung damit zum Lebensinhalt werden.

    Claretta Cerio, auf Capri geboren, auf Sylt aufgewachsen und bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit ihrer inzwischen verwitweten Mutter nach Capri zurückgekehrt, ist eine deutsche Italienerin, beziehungsweise italienische Deutsche, die immer wieder über Capri schreibt. Sie kennt die elf Quadratkilometer große Felseninsel im Tyrrhenischen Meer wie kaum jemand sonst: Nicht nur die Schönheit der Landschaft und des Meeres, sondern auch die Gesellschaftsgeschichte einer Epoche, als Capri ein mondäner Rückzugsort für Prominente aus Kultur und Wirtschaft war.

    Ihr Großvater, der Münchner Maler August Weber, hatte um 1880 auf Capri eine Pension gegründet, die sich zu einem Zentrum des dortigen Kulturlebens entwickelte. Damals wurde es in Künstler- und Intellektuellenkreisen gerade schick, nach Capri zu reisen. Claude Debussy, Oscar Wilde, Maxim Gorki, Lenin, aber auch Bertolt Brecht und Ingeborg Bachmann: Sie alle haben die Insel im Golf von Neapel für eine kurze Zeit zu ihrem Zufluchtsort gemacht. Schon die Entdeckung der Blauen Grotte durch den deutschen Dichter August Kopisch im Jahr 1826 hatte einen bis heute nicht abreißenden Touristenandrang auf Capri ausgelöst.

    "Erstmal der Süden, das Südweh, das so ziemlich in allen Deutschen steckt, seit der Romantik oder noch früher, dann das Unverdorbene, das man sich noch vorgestellt hat."

    An die kleine Künstlerpension ihres Großvaters an der Marina Piccola erinnert heute nur noch der Name des am selben Ort stehenden Luxushotels 'Ambassador Weber'. Vieles von dem, was Claretta Cerio in diesem Buch beschreibt, existiert bloß als Erinnerung, aber es wird durch ihre Worte ungemein lebendig – bis hin zu zahllosen Ausfahrten auf dem Wasser, die nicht immer eine reine Freude für sie waren.

    "Ich habe hinsichtlich der Seekrankheit viel Erfahrung, nur zu oft habe ich bei 'mare di sotto' den Golf überquert - und doch wird mir manchmal schon bei dem bloßen Anblick eines naturgetreu gemalten Seestücks schlecht."

    Als Philologie-Studentin - in den frühen 50er-Jahren hatte sie mit dem Phänomen des 'mare di sotto', des 'Meers von unten', also der aufgewühlten See, so manches Mal zu tun, wenn sie täglich mit der Fähre von Capri nach Neapel übersetzte, um zur Universität zu gelangen – besonders im Herbst, wenn heftige Stürme um die Insel fegen. Immerhin war es ein Glücksfall gewesen, dass es diese capresische Heimat für die nach Deutschland ausgewanderte Familie noch gab.

    "Meine Mutter sagte, der Krieg dauert nicht lange und dann waren es sechs Jahre und wir hatten in Deutschland überhaupt nichts mehr und inzwischen waren wir vier Kinder meiner Mutter; die ja verwitwet war, waren wir Italiener geworden. Was hätten wir gemacht? Meine Tante hatte eben auf Capri diese Pension und sie hat uns aufgenommen. Wir haben bei ihr gelebt. So hat sich unser Leben dort entwickelt."

    In den 50er-Jahren heiratete Claretta den wesentlich älteren Schriftsteller, Architekten und damaligen Bürgermeister von Capri, Edwin Cerio. Er war vor dem Ersten Weltkrieg Schiffbauingenieur bei Krupp in Kiel gewesen, sprach sechs Sprachen und baute später einige der schönsten Häuser auf Capri, die an die maurische Tradition erinnerten. Als Bürgermeister setzte er sich für den Naturschutz ein und wandte sich gegen die Bauwut und den Massentourismus auf der Insel. Außerdem schrieb er Romane und Essays über Capri und seine Bewohner – ein Multitalent, dessen Berühmtheit bis heute anhält: Selbst in diesem Sommer des Jahres 2010 prangte sein Konterfei auf dem Titel der deutschen Kulturzeitschrift: 'Die Möwe von Capri'.

    "Unser Capri" hat Claretta Cerio ein Kapitel überschrieben – und tatsächlich ist das Buch, wie viele ihrer Texte über Capri auch eine Hommage an ihren verstorbenen Mann. Mit ihm unternahm sie – das war wohl das deutsche Erbe – immer wieder ausgedehnte Wanderungen über die Insel, vorbei am Haus seines Freundes, des Schriftstellers Curzio Malaparte, das er "una casa come me" getauft hatte, nach Anacapri oder entlang der Via Krupp, einem Serpentinenweg, den der deutsche Industrielle Friedrich Alfred Krupp um die Jahrhundertwende in die felsige Südküste der Insel hatte schlagen lassen, als schnellere Verbindung von seinem Hotel zur Marina Piccola.

    Auf Capri gibt es wohl kaum eine Ecke, an der nicht ein berühmter Mensch seine Spuren hinterlassen hätte und Claretta Cerio lernte viele von ihnen persönlich kennen. Pablo Neruda, Stefan Andres und Roger Peyrefitte erwähnt sie nur am Rande. Kein Wort jedoch von der ungeliebten Tochter von Thomas Mann Monika, die über dreißig Jahre mit einem Fischer auf der Insel gelebt hat – fast unmöglich, dass sich ihre Wege nicht gekreuzt haben sollten.

    "Ich könnte von diesen Begegnungen erzählen, kleine Anekdoten anführen, wie sie aus dem Zusammensein mit interessanten Menschen oft erfolgen, und lasse es doch bleiben, denn erstens gibt es über illustre Personen ohnehin genug Berichte, und zweitens möchte ich nicht des name dropping verdächtigt werden."

    Dabei besteht das ganze Buch natürlich aus nichts anderem, als aus lauter kleinen Geschichten über berühmte und weniger berühmte Leute, die auf der Insel ihr temporäres Quartier nahmen. Eine der amüsantesten beschreibt die Gewohnheit des langjährigen Pensionsgast Dr. Katz, der seine Mahlzeiten gern mit einem deutschen Dessert abzurunden pflegte. Sein Ruf nach einem Pfannkuchen wurde vom sorrentinischen Kellner mit "Il fan cul del Dottor Cazz!" in die Küche übertragen – was dort enormes Gelächter hervorrief, weil die Bestellung für italienische Ohren soviel hieß wie: "In den Arsch von Doktor Schwanz!"

    Ein Leben auf Capri, das sei vor allem 'Canzoni, maccheroni, faraglioni', also Lieder, Nudeln und Felsen, hatte August Weber geschrieben, seine Enkelin beweist, dass es noch viel mehr zu entdecken gibt. "Mein Capri" ist ein Buch für Capri-Liebhaber, die die meisten Geschichten über Capri und seine illustren Gäste schon kennen – aber eben noch nicht alle.

    Claretta Cerio: "Mein Capri". Mare Verlag, Mare Verlag, Hamburg, 2010, 190 Seiten, 18 Euro