Freitag, 29. März 2024

Archiv

Institut für Sozialforschung
Die Wiege der "Frankfurter Schule"

Die "Frankfurter Schule", so wurde die kritische linke Theorie genannt, die in den 1960er-Jahren die Soziologie beherrschte und die Studentenbewegung beeinflusste. Ihr Entstehungsort war das Frankfurter Institut für Sozialforschung, gegründet in der Weimarer Republik vor genau 90 Jahren.

Von Rudolf Schmitz | 22.06.2014
    Max Horkheimer, Philosoph, Soziologe, Frankfurter Schule, Institut für Sozialforschung
    Horkheimer war zusammen mit Theodor W. Adorno einer der Begründer der kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Er wurde am 14. Februar 1895 in Stuttgart geboren und ist am 7. Juli 1973 in Nürnberg gestorben. (picture alliance / dpa)
    Die Wiege des legendären Instituts für Sozialforschung stand in Frankfurt am Main. Felix Weil, der Sohn eines reich gewordenen Getreidehändlers, hatte es begründet, am 22. Juni 1924 wurde es in der Aula der Goethe-Universität feierlich eröffnet. Es war die erste Forschungsstätte zur Theorie und Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung an einer deutschen Hochschule. Leo Löwenthal, einer der frühen Mitarbeiter des Instituts, erinnert sich:
    "'26 bin ich dann ins Institut halbtäglich eingetreten und habe meine ersten Arbeiten zur Literatursoziologie geschrieben. Getroffen haben wir uns im Wesentlichen als, wie soll ich sagen, junge linke politisch intellektuelle Figuren der frühen Weimarer Zeit."
    Als 1930 der Philosoph Max Horkheimer die Leitung des Instituts übernahm, entstand das, was später "Kritische Theorie der Frankfurter Schule" genannt wurde. Intellektuelle wie Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Erich Fromm, Siegfried Kracauer, Leo Löwenthal oder Herbert Marcuse prägten die Forschungen des Instituts. Es untersuchte in interdisziplinärer Weise, wieso die kapitalistische Gesellschaft auch für die Arbeiterklasse, das vermeintlich revolutionäre Subjekt, eine so große Integrationskraft besaß. Max Horkheimer formulierte die grundsätzliche Fragestellung:
    "Die Menschen machen auch jetzt noch ihre Geschichte, nur wissen sie es nicht. Sie entscheiden sich auch jetzt noch, aber sie entscheiden sich dazu, mitzumachen."
    Entscheidende Forschungen des Instituts über Autoritätshörigkeit von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen sowie soziale Vorurteile entstanden in Amerika. Nach der Schließung des Instituts durch die Nationalsozialisten im März 1933 wurde es an die Columbia University in New York verlegt. Im Exil schrieben Horkheimer und Adorno mit der "Dialektik der Aufklärung" jenes Buch, das ihre kritische Gesellschaftstheorie entfaltete. Diese kulturpessimistische Studie wurde neben "Minima moralia" und der "Kritik der instrumentellen Vernunft" zur Grundlage einer einflussreichen linken Theorie, als das Institut für Sozialforschung 1951 wieder nach Frankfurt zurückkehrte. An der dortigen Universität etablierte es die Soziologie als autonomes Studienfach und war von großem Einfluss auf die neue Studentengeneration. Immer wieder formulierte Theodor W. Adorno seine grundsätzliche Skepsis gegenüber der kapitalistischen Gesellschaft und stellte fest,
    "dass die überwiegende Mehrheit aller Menschen längst herabgesetzt ist zu bloßen Funktionen innerhalb der ungeheuerlichen gesellschaftlichen Maschinerie, in die wir alle eingespannt sind. Man kann vielleicht es so extrem formulieren, dass man sagt, dass es eigentlich Leben, in dem Sinn, der mit dem Wort 'Leben' für uns alle mitschwingt, nicht mehr gebe".
    Die Studenten von 1968 aber wollten die Gesellschaft nicht nur analysieren, sondern verändern. Doch der propagierte Aktionismus stieß bei Horkheimer und Adorno auf Vorbehalte. Als die linken Studenten im Januar 1969 das Institut besetzten, ließ Adorno es durch die Polizei räumen. Mit Adornos Tod im August 1969 verlor es seine charismatische Ausstrahlung, die Zeit der großen gesellschaftstheoretischen Entwürfe war vorbei. Stattdessen widmete man sich der Industriesoziologie, der Erforschung der Rolle der Frau in der Gesellschaft oder der "Demokratischen Kultur".
    Als im April 2001 Axel Honneth die Leitung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung übernahm, schienen sich kritische Sozialforschung und sozialphilosophische Fragestellungen wieder zu verbinden.
    "Mein Ziel war es, doch wieder stärker an die alte interdisziplinäre Tradition des Hauses anzuschließen. Zu diesem Zweck war es nötig, sich ein übergreifendes Thema zu geben, dieses sollte das Thema der Paradoxien des gegenwärtigen Kapitalismus sein."
    Und diese Paradoxien sorgen noch immer für eine gute Auftragslage.