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Integration auf der Schulbank

In Italien leben rund 1,2 Millionen Muslime, davon sind ungefähr 185.000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter. Das bedeutet auch, dass heute in den italienischen Schulklassen neben den muslimischen Kindern im Durchschnitt drei mal so viele Kinder ausländischer Herkunft sitzen als noch vor 15 Jahren. Darauf hat das Kultusministerium nun reagiert: Mittel- und Oberschüler in Rom erhalten eine zusätzliche Stunde: den interreligiösen Unterricht.

Von Karl Hoffmann | 04.01.2010
    "Ihr seid schmutzig, streitet mit den Nachbarn und zückt gerne das Messer."

    Geballte Vorurteile, aufgearbeitet in einer multiethnischen Schulklasse beim Weihnachtsspiel vor zwei Wochen.

    Mangelnde Integration und Schwierigkeiten beim gegenseitigem Kennenlernen wird zu einem dramatisch wachsenden Problem für die Schulkinder in Italien, einheimischen wie eingewanderten. Noch vor zehn Jahren betrug die Zahl der nicht-italienischen Schulkinder etwa 70.000, heute sind es 700.000, In den Schulen der Großstädte ist ihr Anteil auf bis 15 Prozent angestiegen. Und für den Staatssekretär Alfredo Urso wird es Zeit, dass der Unterrichtsstoff dieser Tatsache Rechnung trägt:

    "Wenn wir den Prozess der Immigration, um den wir nicht herumkommen, mit nüchternen Augen sehen, dann müssen wir einerseits die illegale Immigration bekämpfen, andererseits aber auch das Studium der unterschiedlichen Religionen in den Lehrplan aufnehmen."

    Ein überraschender Vorschlag von einem Angehörigen der Alleanza Nazionale, jener Partei, die das Erbe der Neofaschisten übernommen hatte und bis dato allgemein als fremdenfeindlich galt. Überraschend deshalb auch, dass nun ausgerechnet in Rom, dem Herz der katholischen Christenheit, die "ora interreligiosa", eine wöchentliche Lehrstunde über unterschiedliche Glaubenslehren in Grund und Mittelschulen eingeführt wird. Auch Roms Bürgermeister gehört der Alleanza Nazionale an, die inzwischen zum Regierungsbündnis von Silvio Berlusconi gehört und sich prompt Kritik vom Koalitionspartner Lega Nord ausgesetzt. Meint der Lega Abgeordnete Roberto Cota:

    "Wir müssen unsere Identität verteidigen, statt sie freiwillig aufzugeben. Die Vorstellung von einer multiethnischen Gesellschaft auf Teufel-komm-raus ist eigentlich typisch für die Linken und sie ist das Gegenteil dessen, was wir unseren Wählern versprochen haben."

    Italien soll katholisch erzogen werden, samt Kruzifix im Klassenzimmer und gemeinsamen Schulgebet - das ist die Vorstellung der Lega Nord. Jugendliche Anhänger der Lega Nord bringen es auf die einfache Formel:

    "Wenn sie beten wollen, dann sollen die Ausländer von hier verschwinden. Hier bei uns betet man nur zu Christus. Italien den Italienern, Afrikaner und Juden raus."

    Jedes Kind sollte das heilige Buch der andersgläubigen Kinder zu lesen, erklärt dagegen Amos Luzzatto, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Rom und Befürworter des interreligiösen Unterrichts. Solange die Christen nur das Evangelium, die die Juden ihre Thora und Moslems ausschließlich im Koran lesen gebe es keine wirkliche Integration in der Schule und in der Gesellschaft. Und Edoardo Monichelli, Bischof von Ancona gibt eindeutig auch den Segen der katholischen Kirche, de facto der Abschied von einem Glaubensmonopol, zumindest im italienischen Unterricht:

    "Wir müssen diesen neuen Weg beschreiten, denn wir leben heute in einer Welt, in der sich unterschiedliche Glaubensbekenntnisse verbreiten. Und wenn wir nicht Gott und den Respekt vor dem Nächsten in den Mittelpunkt stellen, kommen wir nicht weiter, sondern öffnen stattdessen Tür und Tor für Missverständnisse, deren Folgen wir gar nicht abschätzen können."