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Integration
"Fußball kann nicht alle Aufgaben erfüllen"

Die Kraft des Fußballs wird gern auch in der Politik beschworen – als verbindendes Element bei sozialen Fragen, als Motor der Integration. Aber hat der Fußball wirklich so viel Kraft? Und wie steht es um die Vorbildfunktion der Nationalmannschaft? Darüber diskutierten im Goethe-Institut in Paris am Rande der EM verschiedene Experten.

18.06.2016
    Borussia Dortmund-Fans mit "Refugees Welcome"-Banner im Stadion
    Politische Botschaft im Fußballstadion: BVB-Fans heißen Flüchtlinge willkommen (imago/sportfoto/Sven Simon)
    Wer in diesen Tagen Spiele der deutschen Mannschaft im Fernsehen anschaut, der kommt an einem kurzen etwa 30-sekündigen Clip des DFB nicht vorbei. In einem fließenden Übergang wird aus dem Gesicht Khediras das von Draxler, aus ihm wiederum Götze und so weiter. "Wir sind Vielfalt" hat der DFB den Clip genannt und will damit zum Ausdruck bringen, dass alle Teil der Mannschaft sind, egal welcher Herkunft. DFB-Präsident Reinhard Grindel wird nicht müde, die Vorbildfunktion der Nationalmannschaft zu betonen. "Viele Jugendliche wissen um den Lebensweg unserer Spieler und deswegen lernen sie daraus, dass man nicht nur als Fußballer, sondern auch als Handwerker, als Freiberufler im Medien- oder im kulturellen Bereich, wenn man seine Talente nutzt, Chancen hat in unserer Zivilgesellschaft zum Aufstieg. Deshalb ist dieser Vorbildcharakter wichtig, weit über den Fußball hinaus."
    Diese Strahlkraft der Nationalmannschaft bestätigen alle Diskussionsteilnehmer im Goethe-Institut, jedoch dürfe man die Ansprüche nicht überfrachten. Das gibt zum Beispiel Martin Endemann zu bedenken, er ist Sprecher des europäischen Fan-Bündnisses Football Supporters Europe. Die Grenzen dieser Vorbildfunktion könne man auch aktuell bei dieser EM feststellen, meint er. "Es gibt sicherlich auch Leute, die zutiefst rassistisch sind und sich dann trotzdem freuen, wenn Shkodran Mustafi als Muslim ein Tor für Deutschland schießt. Das ist natürlich auch die Schizophrenie. Er tut was für Deutschland, also können wir ihn in dem Moment feiern. Aber wenn er jetzt kein Nationalspieler wäre, dann möchten wir ihn nicht gerade als Nachbar haben."
    Nationalgefühl während großer Fußballturniere
    Das liege auch an einem anderen Phänomen, das während Turnieren wie EM oder WM immer mehr auftrete: Die Fans in den einzelnen Ländern empfinden eine neue Art des Zusammenstehens, ein Nationalgefühl, dass auch durch Werbekampagnen der Sponsoren noch verstärkt wird.
    Mounir Zitouni, Redakteur beim Sportmagazin "kicker" und ehemaliger Nationalspieler Tunesiens beobachtet, "dass dann auf eine martialische Art und Weise ausgedrückt wird: Hier bin ich, das bin ich, das macht mich aus. Stereotypen werden auch in der Boulevard-Presse breit getreten. Man will sich eine Identität schaffen, die aber so gar nicht zutrifft, weil die Gesellschaft aus so vielen Menschen besteht, die unterschiedlich sind und trotzdem haben wir alle die Sehnsucht nach Einheit und das kommt eben bei solchen Turnieren zum Ausdruck."
    Kroatische Fußballfans am 12.6 vor dem Anpfiff der EM-Partie in der Gruppe D zwischen der Türkei und Kroatien in Paris. 
    Fußballfans "bekennen sich" während der EM zu ihrer Nation (AFP PHOTO/MIGUEL MEDINA)
    Die französische Nationalmannschaft, die 1998 Weltmeister wurde, wird gerne als Musterbeispiel für die gelungene Einheit angeführt - trotz aller Unterschiedlichkeiten. Dafür steht seitdem das Stichwort "black-blanc-beur". Zitouni führt aus: "Wenn man sich Frankreich anschaut, die Entwicklung, 98 dieser wahnsinnige Weltmeistertitel, wo es schien, dass dann so ein Land so eine Einheit feiert mit all dieser Vielfalt, mit all diesen Spielern, deren Eltern von überall herkamen – da hat man gedacht, dieses Modell funktioniert. Und wenn man jetzt 2016 guckt, dann sieht man doch aufgrund der Wahlen, die in Frankreich stattgefunden haben, dass dieses Modell auch irgendwo Grenzen hat und dass der Fußball seine Grenzen hat."
    Krahn: Fußball kann nicht alle Aufgaben erfüllen
    Eine, die selbst Erfahrungen gemacht hat mit der Kultur in Frankreich, ist Annike Krahn. Bis 2015 spielte die Fußball-Weltmeisterin drei Jahre lang für Paris St. Germain. Sie war noch eine der ersten Nicht-Französinnen im Team. Mit der dann wachsenden Internationalität, berichtet sie, musste man sich zum Beispiel an Mitspielerinnen gewöhnen, die aus religiösen Gründen nur in Unterwäsche duschten oder vor dem Spiel beteten.
    Krahn: "Fußball ist Teil unserer Gesellschaft. Nicht die Gesellschaft ist Teil des Fußballs – natürlich auch ein Stück weit, aber der Fußball ist auch nicht alleine da. Da gibt es ganz viele Bausteine, und der Fußball ist einer davon, der sicher sehr groß ist, der aber auch nicht alle Aufgaben erfüllen kann."
    Verbände helfen Flüchtlingen
    Eine der größten Herausforderungen der Gesellschaft ist die Bewältigung des Flüchtlingszustroms. Hier sei dem Fußball vor allem in Deutschland ein gutes Zeugnis auszustellen, erzählt Martin Endemann von den Football Supporters Europe, der auch die Situation in anderen Staaten kennt: "So gerne ich Verbände und Vereine kritisiere, muss ich sagen, da hat sich sehr viel getan im letzten Jahr."
    Aktionen wie beispielsweise das Programm "Willkommen im Fußball" von der Deutschen Fußball-Liga zählen dazu. Dabei helfen Profi- und Amateurvereine, Flüchtlingen in den Vereinen aufgenommen zu werden. Aber gerade im Amateurbereich gibt es nach wie vor viele Probleme, ergänzt Journalist Mounir Zitouni: "In den unteren Klassen gibt es nach wie vor viele rassistische Vorfälle, es gibt Gewalt. Da muss man Acht geben, dass man die Tatsache, dass in unserer Nationalmannschaft viele Jungs mit Migrationshintergrund spielen, als Grund nimmt und denkt: Alles ist gut. Das ist ein Kampf, den wir alle, den aber vor allem der DFB kämpfen muss."