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Muslime und das Altern in Deutschland

In Deutschland leben laut allgemeinen Schätzungen rund vier Millionen Muslime. Wohlfahrtsangebote für Ältere wie Seelsorge, Altenheimplätze oder Bestattungen, die islamische Regeln berücksichtigen, fehlen. Einige Pioniere nutzen die Marktlücke und versuchen, spezifische Angebote zu schaffen.

Von Moritz Küpper | 28.03.2016
    Ein muslimischer Senior sitzt im Gemeinschaftsraum des multikulturellen DRK-Seniorenzentrums in Duisburg, neben ihm zwei männliche Angehörige.
    Mangelware: Einrichtungen wie dieses multikulturelle Seniorenzentrum in Duisburg, das sich auf pflegebedürftige Migranten eingestellt hat. (imago / epd)
    Es ist ein früher Abend an der Moschee in Köln-Ehrenfeld. Eine Besuchergruppe aus knapp 30 Menschen hat sich zusammengefunden, möchte das große Gebäude mit dem Minarett in 55 Metern Höhe besichtigen.
    Eigentlich sollte die Zentralmoschee der DITIB, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, bereits im Mai 2012 eröffnet werden. Doch noch immer gibt es Streitigkeiten wegen Baumängeln. Die Moschee, ein Symbol des Ankommens, nicht nur in der Kölner Gesellschaft, sie ist von Bauzäunen umhüllt – kann aber dennoch besichtigt werden kann:
    "Schön zusammenrutschen, Sie sind ja eine recht kleine Gruppe."
    Ayse Aydin, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der DITIB in Köln, hat die Besucher – unter ihnen niemand muslimischen Glaubens – die nackten Betontreppen hochgeführt. Auf einem ersten Plateau angekommen, schildert sie den Bauverlauf, zeigt, was in welchen Abschnitten einmal unterkommen soll: die Gebetsräume, ein Café, aber auch weitere Flächen und Gebäude, die Bibliothek, die Jugendarbeit, und Weiteres:
    "Dazu gehören Arbeiten, ein ganz neues Betätigungsfeld in den Moscheen beispielsweise oder für die Muslime in Deutschland ist das Gebiet Seniorenarbeit. Wissen Sie warum?"
    Aydin schaut in die Runde. Schweigen.
    "Weil wir bis vor fünf, zehn Jahren hatten wir keine Senioren, die meisten Muslime, die meisten Gemeinde-Mitglieder sind als junge Erwachsene gekommen, sodass wir erst in den letzten fünf, zehn Jahren den Bedarf an Gemeindearbeit für Senioren überhaupt hatten. Das zeichnet auch ein bisschen nach, dass man sich an den Bedarf der Gemeinde, an den Entwicklungen der Gemeinde orientiert und entsprechende Dienstleistungen entwickelt."
    In Köln wird es wohl noch ein wenig dauern, bis das Gebäude offiziell eröffnet wird, die Räume komplett genutzt werden können. Dennoch: Das Thema Altern wartet nicht. Vielmehr gibt es einen großen Nachholbedarf:
    "Nach all den Jahren, wo die Muslime schon hier sind, ist hier noch nicht so viel passiert."
    Michael Kiefer sitzt in seinem Büro im Düsseldorfer Süden.
    "Das heißt, man braucht Ressourcen, man braucht geeignete Strukturen, man braucht professionell ausgebildete Fachkräfte, die in der vollen Bandbreite der Wohlfahrt anfangen zu arbeiten. Das reicht ja bekanntlich von der Spielgruppe bis hin zur Palliativ-Medizin und Betreuung am Ende des Lebens."
    Kiefer ist ein groß gewachsener, schwerer Mann mit Vollbart. Er hat eine halbe Stelle in der Jugendhilfe, die übrige Zeit arbeitet er am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück, baut dort den Studiengang für muslimische soziale Arbeit auf, und hat – zusammen mit dem dort lehrenden Professor Rauf Ceylan – ein gerade erschienenes Buch geschrieben: "Muslimische Wohlfahrtspflege in Deutschland. Eine historische und systematische Einführung". Für Kiefer ist der Nachholbedarf in diesem Segment enorm:
    "Weil viele Menschen den ausdrücklichen Wunsch haben, dass die Versorgung beispielsweise der alten Menschen so durchgeführt wird, dass gewisse religiöse Gebote, gewisse religiöse Riten eingehalten werden."
    Gut vier Millionen Muslime leben in Deutschland
    Nach allgemeinen Schätzungen leben gut vier Millionen Muslime in Deutschland, was einem Anteil von etwa fünf Prozent der Bevölkerung entspricht. Nicht zuletzt aufgrund der Flüchtlingsbewegung im vergangenen Jahr ist aber davon auszugehen, dass diese Zahl mittlerweile höher liegt. Exakte Statistiken sind schwer zu ermitteln, unbestritten jedoch scheint, dass der Bedarf an Wohlfahrtsangeboten deutlich steigt. Bereits im Mai vergangenen Jahres – also vor dem großen Flüchtlingszuzug – schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" von 820.000 Ausländern in Deutschland, die älter als 65 Jahre sind. Eingebürgerte Einwanderer nicht mitgezählt. Und diese Generation ehemaliger Gastarbeiter, überwiegend muslimischen Glaubens, die in der Vergangenheit vor allem schwere Arbeiten in Schicht und Akkord oder unter Tage geleistet hat, leidet heute besonders häufig an chronischen Krankheiten. Diese Menschen brauchen Pflege, aber dabei, so Islamforscher Kiefer, geht es auch um Kleinigkeiten:
    "Das fängt an bei Dingen, die scheinbar nicht wichtig sind: Also, dass man Halal-Essen hat. Also geschächtetes Fleisch. Dinge, die für Muslime tatsächlich statthaft sind. Es geht weiter damit, dass so gepflegt wird, dass gewisse moralische und ethische Gesichtspunkte berücksichtig werden. Es umfasst aber auch, nehmen wir mal das Thema Demenz, dass man seinen gewohnten Alltag so fortsetzt, wie man das auch all die Jahre getan hat."
    Als weitere Punkte zählt Kiefer auf:
    "Dass also zum Beispiel die Möglichkeit zum fünffachen Gebet auch in einer Alten-Einrichtung da ist. Oder, ein anderer Punkt ist, der Besuch des Freitagsgebetes. In katholischen und evangelischen Altenheimen ist es üblich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner beispielsweise am Sonntagsgottesdienst teilnehmen können. Die werden dorthin gefahren. Und bei den Muslimen gibt es etwas Derartiges im Moment noch nicht."
    Das erste islamische Bankhaus in Deutschland
    Und so entstehen – verteilt über die ganze Bundesrepublik – einzelne Initiativen, die sich mit dem Thema Altern und Muslime beschäftigen. Es ist schwer, hier einen Überblick zu bekommen. Viele Anfragen des Deutschlandfunks liefen ins Leere, manche Stellen wollten sich nicht äußern. Insgesamt jedoch zeigt sich, wie groß der Bedarf ist – aber auch, wie schwierig die Umsetzung. Sei es in Dortmund, wo ein Versuch startete, einen Verband zur "Sterbebegleitung und Sterbehilfe muslimischer Patienten im deutschen Gesundheitssystem" zu gründen; sei es in Wuppertal, wo der wohl erste Friedhof in muslimischer Trägerschaft in Deutschland entstehen soll – oder in Frankfurt, wo im vergangenen Jahr das erste islamische Bankhaus hierzulande eröffnet wurde. Denn: Altern bedeutet nicht nur Pflege, Begleitung und Sterben, sondern auch: finanzielle Vorsorge.
    "Das ist der Raum des Generalbevollmächtigen."
    Ein Hochhaus in Frankfurt am Main, 16. Stock. Ferhat Aslanoglu führt durch die Gänge.
    "Hier, vielleicht etwas ungewöhnlich für eine Bank: unser Gebetsraum."
    Aslanoglu arbeitet als Head of Marketing der KT Bank, der Kuvyet Türk Bank, die im Juni vergangenen Jahres ihre Zentrale in Frankfurt eröffnete. Außer in Frankfurt gibt es Filialen in Mannheim und Stuttgart, doch das grün-gelbe Logo mit der Palme soll bald in weiteren deutschen Großstädten zu sehen sein.
    "Wir sind hier als Pionier unterwegs. Nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Euro-Zone."
    Die KT-Bank bietet das sogenannte Islamic-Banking an:
    "Islamic-Banking ist das Führen von Bankgeschäften, die im Einklang mit den universal-ethischen Werten des Islam sind, im Einklang stehen."
    Konkret bedeutet dies: Zins zu zahlen oder zu kassieren, ist verboten. Hinzu kommen ein Spekulationsverbot und auch das Verbot von Glücksspiel. Investitionen in Geschäfte, die in Zusammenhang mit Alkohol, Prostitution oder Rüstung stehen, sind ebenfalls verboten. Für die klassische Altersvorsorge, wie sie in Deutschland verbreitet ist, bedeutet dies eine große Herausforderung. Viele Optionen bleiben da nicht mehr, weiß auch Aslanoglu:
    "Ganz viele haben hier Immobilien gekauft oder planen noch, Immobilien zu kaufen. Das ist zum einen als Eigennutzung, aber auch zur Altersvorsorge gedacht und wir bieten hier eine Islam-konforme Immobilienfinanzierung an. Das heißt: Die Kunden können hier ihre Immobilie finanzieren über uns."
    Angesichts des Zinsverbots erhebt die Bank einen anderen Aufschlag, erhält eine Gebühr über eine erhöhte Ratenzahlung:
    "Die Bank gründet aber in dem Fall eine GbR mit dem Kunden zusammen und kauft dann das Objekt. Und mit jeder Zahlung, die der Kunde an die Bank macht, mit jeder Ratenzahlung, gehen die Anteile in der GbR über an den Kunden, sodass er irgendwann mal eben vollständiger Eigentümer ist."
    Eine Umfrage des Deutschen Instituts für Altersvorsorge aus dem Jahr 2014 zeigt den Bedarf: Demnach planten 25 Prozent der türkischen Bevölkerung in Deutschland, für die Altersvorsorge eine Immobilie in der Türkei zu erwerben, aber fast ebenso viele, nämlich 21 Prozent, wollten ein Haus oder eine Wohnung in Deutschland kaufen. Auch die KT Bank merkt diese Nachfrage:
    "Also, ein Großteil unserer Anfragen sind Immobilien-Finanzierungen, weil eben viele Muslime bisher in Mietwohnungen oder zur Miete wohnen, weil sie eben keine islam-konforme Finanzierung bisher machen konnten."
    Neben dem Immobilienweg bleibt für gläubige Muslime noch eine zweite Möglichkeit:
    "Wir sind gerade dabei, ein islam-konformes Versicherungsprodukt aufzulegen. Sobald das dann steht, wäre das dann eine zweite Möglichkeit, eine Zusatz-Altersvorsorge zu treffen für die Muslime."
    Für viele muslimische Familien ist die Versorung der Alten noch Familiensache
    In Sachen finanzieller Absicherung gibt es also eine privatwirtschaftliche Initiative. Das Kernthema Wohlfahrt wird von Verbänden und Gemeinden aufgegriffen – auch von der deutschen Islam-Konferenz, dem Zusammenschluss der einzelnen Verbände. Schwierigkeiten bereiten hier nicht nur die unterschiedlichen Bedürfnisse, sondern auch die verschiedenen Auffassungen davon, was muslimische Wohlfahrt leisten kann und darf. Das bestätigt Abdullah Uwe Wagishauser. Er ist Bundesvorsitzender der Ahmadiyya Muslim-Gemeinschaft in Deutschland, kurz AMJ. In Hessen bekam sie als erste muslimische Gemeinde 2013 den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zugesprochen. Für Wagishauser und die AMJ ist etwa die Versorgung der Alten noch immer Familiensache:
    "Wir haben einzelne Fälle auch, wo wir um Hilfe gebeten worden sind. Da haben wir dann auch Maßnahmen eingeleitet. Also, wir vermitteln dann Plätze für Alleinstehende. Aber in der Regel muss man sagen, dass die Familien dann schon noch die Hauptarbeit übernehmen und sich das auch nicht verändert, so wie wir das erkennen können."
    Auch Wagishausers 96-jährige Mutter lebt bei ihm zu Hause. Für ihn liegt dies in seinem Glauben begründet:
    "Also, es gibt ganz viele Verse im heiligen Koran, die die Versorgung der Eltern eben auch den Gläubigen ans Herz legt. Also, ganz konkret in der Sure 4.37, da heißt es: Güte den Eltern, den Verwandten, den Weisen und den Bedürftigen, den Nachbarn, dem Anverwandten, dem Nachbarn, der ein Fremder ist, wahrlich, Allah liebt nicht die Stolzen und die Prahlen. Also, es gibt mehrere Verse, die den Gläubigen ans Herz legt, sich um ihre eigenen Eltern zu kümmern, die sie ja auch aufgezogen haben, als sie hilfebedürftig waren, als sie klein waren."
    Doch in der breiten Masse der muslimischen Bevölkerung in Deutschland, vor allem innerhalb der türkischen Community, hat Islamforscher Michael Kiefer einen anderen Trend festgestellt:
    "Auch bei den muslimischen Familien ist es so, dass sich Veränderungen ergeben dadurch, dass die jungen Leute nicht mehr zu Hause leben, sie ziehen aus, sie ziehen weiter und die Alten bleiben zurück, um es mal so zu formulieren und müssen irgendwann gepflegt werden. Und diese Pflege kann nicht immer bereit gestellt werden von Angehörigen."
    Für viele Muslime ist die Pflege von Angehörigen noch immer eine Ehrensache, die Eltern ins Pflegeheim abzugeben, gilt als Schande. Doch selbst wenn diese emotionale Hürde überwunden werden kann, bleibt eine praktische Frage: Wohin? Zwar gibt es mittlerweile einzelne Abteilungen in Alten- und Pflegeheimen, wie beispielsweise in Hamburg oder Duisburg, die sich speziell an Menschen mit muslimischem Glauben richten, doch Islamforscher Kiefer kennt kein einziges Altenheim in muslimischer Trägerschaft:
    "Das hat viele Gründe: Zunächst einmal müssen wir sehen, dass der Betrieb eines Altenheims sehr voraussetzungsreich ist. Es sind enorme Investitionen notwendig, um ein 100- oder 150-Bettenhaus betreiben zu können; sicherlich Kosten von vier, fünf oder gar sechs Millionen Euro notwendig."
    Das herrschende Vakuum, es wird vor allem von einzelnen Initiativen ausgefüllt, beziehungsweise werden die christlichen oder säkularen Einrichtungen ergänzt.
    "Seelsorge selbst ist zum Beispiel eine religiöse Tätigkeit. Da kann man zum Beispiel von der Caritas nicht erwarten, dass sie einen muslimischen Seelsorger zu einem Seniorenheim oder Krankenhaus oder Gefängnis, so wie wir das machen, hinschicken. Das ist halt religionsbedingt."
    Sozialnetzwerk europäischer Sufis
    Serdar Simsek sitzt in der Europa-Zentrale von Shems in Köln. Shems, das steht für Sozialnetzwerk europäischer Sufis und ist ein Angebot der Seelsorge. Entstanden ist das Ganze Anfang der 90er-Jahre durch engagierte Einzelpersonen, die Muslime in deutschen Gefängnissen besuchten:
    "Zu diesen Anfangszeiten war es so, dass das Thema Seniorenheime für Muslime nicht wichtig war. Weil zu der Zeit war es halt üblich, dass die ältere Generation, dass die wieder in ihre Heimatländer wieder zurückkehrten."
    Doch mit den Jahren änderte sich dies: Shems ist seit 2012 ein europäisches Netzwerk - unter der Führung von Simsek. Es organisiert alleine in Deutschland regelmäßige Besuche in etwa 40 Altenpflegeheimen.
    "Wir haben einen Leitfaden ausgearbeitet, wie zum Beispiel so ein Seniorenheim-Besuch gestaltet werden kann, auf was man achten muss."
    Privates Engagement auf dem Weg in feste Strukturen: Simseks Initiative, sie scheint ein wenig prototypisch für die Entwicklungen der muslimischen Wohlfahrt in Deutschland – und kein Einzelfall.
    "Es geht nicht nur um das Thema Sterbehilfe, Sterbebegleitung."
    Dortmund, im vergangenen Sommer. Im Haus der Auslandsgesellschaft, einem Bau aus den 70er-Jahren nahe dem Hauptbahnhof, haben sich knapp 100 Menschen versammelt und hören Organisator Mimoun Azizi zu. Auch wenn die Mikrofon-Anlage Probleme macht.
    "Wenn Sie sich mal umhören, werden sie feststellen, dass sich kaum eine Organisation wirklich darum kümmert. Das ist eine Tatsache."
    Versuch, einen muslimaffinen Wohlfahrtsverband aufzubauen
    Mehr als fünf Stunden lang werden an diesem Nachmittag Beispiele aus der Sterbebegleitung und Sterbehilfe diskutiert. Es kommen Ärzte, Krankenschwestern und Angehörige zu Wort. Azizi, der als Arzt am Universitätsklinikum Mainz arbeitet, hat festgestellt, dass bei Fragen der Sterbehilfe die Muslime in Deutschland keine Unterstützung von etablierten Verbänden bekommen. Nun will er einen eigenen gründen:
    "Dieser Verband soll dazu dienen, die Problematik, die sich insbesondere in der muslimischen Gemeinde in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend manifestiert, pragmatisch anzugehen und Lösungen anzubieten."
    Sprich: Ohne Rücksicht auf Nationalitäten oder Ausprägungen des Islams. Der Gesprächsbedarf ist groß – alleine beim Thema Sterbehilfe:
    "Wie gehe ich damit um? Wie kann ich das mit meiner Religion vereinbaren? Darf ich das? Darf ich das nicht? Soll ich ihr die Sachen vielleicht in die Nähe stellen, dass sie selber drankommt und sich selber suizidiert? Ist das ein Suizid? Schicke ich sie, wenn ich sie suizidiere, nicht ins Paradies? Diesen Fragen muss ich mich stellen."
    Azizi wirkt entschlossen.
    "Wir haben zwar die Expertise, aber wir haben keine Einigkeit und wir haben von den Verbänden keine Unterstützung und keine Hilfe. Daraus resultierend haben wir uns entschlossen, einen eigenen Verband zu gründen, der sich dieser Themen annimmt und konkrete Leitlinien für Muslime erarbeitet. Eine Art Kompromiss, das ist mir durchaus bewusst. Wir wollen ja auch nicht den Islam verdrängen, sondern wir wollen einfach für diese betroffenen Menschen eine menschenwürdige Lösung finden."
    Heute, gut acht Monate nach dem Dortmunder Treffen, zeigt sich Azizi ein wenig ernüchtert: Der Aufbau eines muslimaffinen Wohlfahrtsverbandes gestalte sich äußerst schwierig, schreibt er per E-Mail. Manchmal erscheine es nahezu unmöglich, zum Beispiel türkischstämmige Deutsche zu überzeugen mit arabischstämmigen Deutschen zusammenzuarbeiten, gleiches gelte bei sunnitischem und schiitischem Glauben. Nun versucht Azizi, mit Kirchen und weiteren Vereinen eine Lösung zu finden. In den nächsten Wochen gibt es hierzu Treffen in Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Berlin und München.
    Ein muslimischer Friedhof
    Samir Bouaissa läuft an einem Zaun entlang, einen Abhang herunter.
    "Also, das ist der jüdische Friedhof, der ist auch relativ neu und da drunter, also direkt hinter dem Zaun, direkt hinter dem Mäuerchen, was sie sehen, das ist das Grundstück, was dann der muslimische werden würde."
    Bouaissa, CDU-Ratsherr in Wuppertal, ist Sprecher des Interessenverbands Wuppertaler Moscheen. Er zeigt auf eine Fläche, auf der teilweise noch Bäume stehen. Ein Grundstück von 20.000 Quadratmetern, das die evangelische Gemeinde dem Verband verkauft.
    "Das wichtigste daran ist einmal die Ausrichtung nach Mekka, also, dass der Blick der Toten Richtung Mekka ausgerichtet ist. Das ist hier Südost."
    Man wolle eine schlichte Grabausstattung haben, so Bouaissa, eine große Rasenfläche, auf dem die einzelnen Grabstellen erkennbar, aber durchaus identisch wären. Grundlage für seine Bemühungen war eine Umfrage in den Gemeinden. Bislang hätten vor allem die türkische und marokkanische Community ihre Angehörigen in der alten Heimat beerdigt. Aus Mangel an Alternativen, hieß es:
    "Ja, wenn wir hier einen Friedhof hätten, der muslimisch getragen würde und wo uns garantiert würde, dass nach muslimischen Riten bestattet wird, dann könnten wir uns schon vorstellen, hier bestattet zu werden. Das kam mehrheitlich aus der zweiten und dritten Generation, aber vereinzelt auch aus der ersten Generation. Man hat hier seine Heimat gefunden, lebt hier, muss aber immer noch für den Tod planen, dass man irgendwo anders bestattet wird."
    Zwar gibt es in Deutschland auch Flächen, auf den Muslime beerdigt werden können, doch das Areal in Wuppertal wäre, so Bouaissa, der erste Friedhof, der von Muslimen selbst betrieben würde - mit etwas Glück schon ab Jahresende.
    Altersvorsorge, die Pflege der Eltern und Großeltern, Sterbebegleitung und -hilfe, die Beerdigung und die Grabpflege. Es sind diese Themen, die viele Muslime in Deutschland aktuell umtreiben, viele Initiativen, die sich bilden, Erfolg haben oder scheitern. Die aktuelle Flüchtlingsentwicklung wird den Bedarf an muslimischer Wohlfahrt, an Altersvorsorge sicherlich noch erhöhen. Für Islamwissenschaftler Kiefer steht jedoch fest:
    "Bei allen Befürchtungen, die derzeit im Raume stehen, was das Ausmaß der Fluchtbewegung betrifft und der damit verbundenen Effekte, die negativ zu beurteilen sind, die sehe ich ja auch, ist das Thema auch ohne Flucht gegeben. Denn: Wir sind in der dritten Generation der Einwanderung. Und die erste Generation der Einwanderer, die ist jetzt nun mal 80, 85, was sollen wir denn mit denen machen? Die allermeisten werden nicht in die Heimat zurückkehren. Sie können gar nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, weil eben genau die Zelte abgebrochen sind und die Kinder hier leben und die Enkel hier leben und der Lebensmittelpunkt irreversibel in Deutschland liegt. Im Übrigen haben die allermeisten die deutsche Staatsangehörigkeit. Das sind zwar Zuwanderer, aber Mitbürger."
    Integration, das macht diese Rundreise deutlich, sie ist eine Aufgabe für das gesamte Leben – vom Beginn bis zum Ende. Doch: Die Strukturen hierfür – sie stehen noch am Anfang.