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Integration
Stuttgarter Opernprojekt mit Flüchtlingen

Bei einem Opernprojekt des Vereins "Zuflucht Kultur" stehen Profimusiker und Flüchltinge auf einer Bühne. Im Laufe der Probenzeit und der gemeinsamen Aufführungen von Mozarts "Idomeneo" entstehen Verbindungen und manchmal verändert das Projekt das Leben der Flüchtlinge nachhaltig.

Von Marie-Dominique Wetzel | 28.03.2016
    Ein roter Theatervorhang
    Integration durch Kultur - das wird in Stuttgart versucht. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Und plötzlich ist Stille. 30 Menschen stehen in einem großen Kreis und lassen ihre Arme baumeln – ausatmen – innehalten.
    Zur fünften Probe des Opernprojekts "Idomeneo" sind eine Handvoll junger Mädchen, zwei Kinder, ein paar ältere Männer mit grauen Haaren, aber vor allem viele junge Männer um die 20 gekommen.
    Die Initiatorin des Opernprojekts, die Mezzosopranistin Cornelia Lanz:
    "Schon bei 'Zaide' haben wir um mehr Frauen gekämpft. Und auch jetzt wieder haben wir versucht, mehr Frauen zu gewinnen, deren Männer dann aber auch wieder gesagt haben: Mmh, lieber nicht, in unserer Kultur macht man das nicht. Also wir führen da auch viele Diskussionen."
    Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan und aus dem Irak, die wenigsten sprechen Englisch. Ausgewählt wurden sie bei einem Casting in einer Turnhalle in Stuttgart, in der zurzeit über 200 geflüchtete Menschen untergebracht sind. Aber heute sind auch viele neue Gesichter dabei. Die Fluktuation ist am Anfang hoch, weiß Bernd Schmitt. Er führt nun schon zum zweiten Mal Regie bei einem Opernprojekt des Vereins "Zuflucht Kultur" und schöpft daraus auch selbst einen Mehrwert:
    "Naja, es ist nicht, wie es halt sonst manchmal in der Oper ist, so ein l’art pour l’art, dass man so ein abstraktes Thema behandelt, so ein allgemein menschliches, sondern das ist jetzt natürlich eine sehr konkrete Situation, mit der wir umgehen können und dürfen. Wir haben einfach die Folie der Idomeneo-Geschichte und sehen die Parallelen und die Unterschiede zu dem, was heute passiert."
    Idomeneo ist nach jahrelangen Kämpfen um Troja zurück auf dem Heimweg nach Kreta, als er in einen schweren Sturm gerät. Er kann den Meeresgott Poseidon besänftigen, indem er verspricht, ihm den ersten Menschen zu opfern, den er in seiner Heimat trifft. Das ist dann ausgerechnet sein Sohn, Idamante.
    "Und in diesem Schwur steckt ja schon die ganze Schizophrenie, sein eigenes Leben über ein anderes Menschenleben zu stellen. Wie kann man so etwas überhaupt tun? Und da sind wir schon mitten in der Diskussion, die wir dauernd führen: Die Syrer lassen wir rein, aber die Afghanen können wieder zurück."
    Profis und Flüchtlinge auf einer Bühne
    Cornelia Lanz selbst singt die Figur des Idamante. Auch die übrigen Gesangsrollen sind alle mit Profis besetzt, ein, zwei kleinere Sprechrollen werden von Flüchtlingen übernommen, die schon ein bisschen Bühnenerfahrung haben. Ansonsten singen sie im Chor mit, fungieren aber größtenteils als Statisten. An diesem Samstagmorgen wird die Eingangsszene zur Ouvertüre geprobt – noch ohne Orchester. In der Mitte der Bühne steht ein sieben Meter langer, schräger Holztisch – später wird er zum Flüchtlingsboot. Auf beiden Seiten der Bühne stehen ein Dutzend Männer und warten darauf, nacheinander in kleinen Grüppchen über den Tisch zu klettern oder unter ihm her zu rennen, zu hasten – zu flüchten.
    Unwillkürlich fragt man sich: Ist es für Menschen, die vielleicht traumatisiert wurden, zumutbar, auf der Bühne ihre Flucht zu spielen? Zumal die jungen Männer die Szene wieder und wieder proben müssen, bis sie den ästhetischen Ansprüchen des Regisseurs genügt. "Wir machen hier keine Sozialarbeit, sondern wir erarbeiten gemeinsam ein künstlerisches Produkt", betont der Regisseur Bernd Schmitt.
    Dennoch sind sich die Initiatoren bewusst, dass sie eine schwierige Gratwanderung machen: Einerseits wollen sie die geflüchteten Menschen als ganz normale Ensemble-Mitglieder behandeln, andererseits wissen alle, dass sie das eben gar nicht sein können.
    Im Hintergrund der Bühne stehen einfache Metallbetten, wie sie die Geflüchteten aus ihren Unterkünften kennen, darauf sollen sie auch während der Opernaufführung sitzen oder liegen – und Kartoffelsuppe essen. Die Idee entstand als ironischer Verweis auf die vielen Diskussionen, die das Produktionsteam über den "richtigen Umgang" mit Flüchtlingen geführt hat:
    "Mir haben Sozialarbeiter gesagt: Die müssen jetzt erst einmal zur Ruhe kommen, die brauchen jetzt erst einmal ein Bett und Essen. Sobald die aber ein Bett und Essen haben, geht es um Inhalte. Sie sind voller Hoffnung und voller Energie hierher gekommen in unser Land und dann sitzen sie zu 22. in einer Turnhalle. Natürlich geht es dann gleich um Inhalt für die Seele."
    Die strahlenden Gesichter der jungen Männer bei den Aufwärmproben scheinen Cornelia Lanz recht zu geben.
    Möglichkeit Kontakte zu knüpfen
    Im Laufe der intensiven Probezeit über mehrere Monate lernt man sich gut kennen. Und am Ende stehen Profimusiker und Flüchtlinge gemeinsam auf der Bühne, ernten den Applaus, gehen auf Tournee quer durch Deutschland. Und danach? Manche Kontakte bleiben bestehen, andere verlieren sich, sagen die Initiatoren. Manchmal aber verändert das Opernprojekt das Leben der Flüchtlinge nachhaltig:
    "Da sind Jobs vermittelt worden, Studienplätze vermittelt worden, da beginnt so ein Netzwerk. Die nutzen dann eben ihre Chance, das sind erwachsene Menschen, denen man irgendwie helfen kann, die aber auch, fragen, reden und selber machen."
    Aufführungstermine
    Mozart: Idomeneo
    8./9. Juli 2016 (Premiere)
    Ludwigsburger Schlossfestspiele
    31. Oktober 2016
    Stadthalle Biberach
    3./4. November 2016
    Europäische Zentralbank Frankfurt, Kulturtage 2016
    Weitere Informationen unter www.zufluchtkultur.de