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Integration
Vielfalt im Klassenzimmer

Ob in Kanada, Norwegen oder der Türkei - multikulturelle Klassen sind mittlerweile die Regel. Wie die Lehrer darauf reagieren können, hängt oft von der politischen Agenda ab. Um die Unterschiede zu sehen, muss man allerdings nur in die Klassenzimmer schauen.

Von Anke-Martina Witt | 22.02.2014
    Die Lehrerin Hava Kolbasi (l) unterrichtet am Dienstag (19.02.2008) an der Katharina-Henoth Gesamtschule in Köln in einer 11. Klasse türkischstämmige Schüler in ihrer Muttersprache. An der Schule wird Türkisch im Unterricht als zweite Fremdsprache angeboten.
    Auch wenn sich der Schulunterricht von Land zu Land unterscheidet - auf Zuwanderung müssen alle Lehrer reagieren. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Als klassisches Einwanderungsland gehört in Kanada der Umgang mit kultureller Vielfalt zum Alltag. In einigen Schulen in Toronto seien Kinder mit Migrationshintergrund in der Mehrheit, sagt David Montemurro von der Universität Toronto. Teilweise würden auf dem Schulhof bis zu 70 verschiedene Sprachen gesprochen. Daher käme kein Lehramts-Student um das Thema interkulturelle Bildung herum:
    "Ich denke, es durchdringt die ganze Ausbildung. Von Anfang an, in ihrer Bewerbung für das Studium sollen sie schreiben, wie sie auf die Vielfalt in ihrem Klassenzimmer reagieren werden. Leute, die Lehrer werden wollen, wissen also sofort, dass das eines der wichtigsten Themen sein wird. In jedem einzelnen Kurs, den sie belegen, werden sie darüber nachdenken, was das für die Vielfalt im Klassenzimmer bedeutet."
    Auch durch ihre Praktika in den Schulen sei den Studierenden schnell klar, dass sie sich auf die unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründe ihrer Schüler einstellen müssen, wenn sie in ihrem Beruf erfolgreich sein wollen. Viele angehende Lehrer bildeten sich deshalb auch noch in Englisch als Zweitsprache weiter:
    "Jeder einzelne Lehrer versteht, dass er auch ein Englischlehrer sein wird, egal, ob er eigentlich Physik oder Mathe unterrichtet. Sie werden immer auch darüber nachdenken, wie sie das Fach auf Englisch unterrichten."
    Während in Deutschland händeringend Lehrer mit Migrationshintergrund gesucht werden, ist auch das in Kanada Normalität. 30 bis 40 Prozent seiner Lehramts-Studierenden hätten in den vergangenen Jahren einen Migrationshintergrund gehabt, berichtet Montemurro.
    Norwegen mit Nachholbedarf
    Norwegen hat dagegen auf diesem Feld noch Nachholbedarf, sagt Heidi Biseth vom Buskerud and Vestfold University College, in der Nähe von Oslo:
    "Wir haben Lehrer mit Migrations – oder Minderheitenhintergrund, aber das ist nicht repräsentativ, wenn man es mit dem Anteil in der Gesellschaft vergleicht. Wir müssen daran arbeiten, wie wir mehr Lehrer werben."
    Die Wahrnehmung von heterogenen Klassen habe sich in den vergangenen Jahren aber auch in Norwegen verändert – weg vom Problem, hin zur Chance. Das spiegele sich auch in der Lehrerausbildung wieder:
    "Wir versuchen, die Studenten in ihrer Wahrnehmung von Vielfalt herauszufordern. Was ist eigentlich Vielfalt. Denn normalerweise wird es immer auf Zuwanderer bezogen. In der Lehrerausbildung versuchen wir also, Zuwanderer nur als einen Teil der Vielfalt im Klassenzimmer zu begreifen."
    Trotzdem sollten Studierende sich verstärkt sowohl mit der eigenen als auch mit fremden Kulturen auseinandersetzen:
    "Ich glaube es ist sehr wichtig, dass Lehramts-Studierende etwas über andere Kulturen lernen und dass sie für andere Kulturen sensibilisiert werden. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Punkt in der Lehrerausbildung und etwas, dass wir ausbauen müssen. Das ist wichtiger, als oberflächlich Vielfalt zu feiern. Wir haben die verschiedenen Flaggen und wir haben exotisches Essen und dann sind wir eine große glückliche Familie. Wir müssen tiefer gehen. Wir müssen Werte und verschiedene Wertesysteme diskutieren, etc."
    Probleme in der Türkei
    In der Türkei ist die interkulturelle Lehrerausbildung hingegen kein Thema auf der politischen Agenda, kritisiert Ciğdem Bozdağ, von der Sabancı Universität Istanbul. Obwohl die Gesellschaft sehr vielfältig ist, würden die Studierenden nicht darauf vorbereitet, wie sie etwa mit Kurden oder Aleviten in ihren Klassen umgehen sollen. Das verdeutlicht auch ein viel diskutierter Film über einen türkischen Lehrer an einer kurdischen Schule:
    "Und alle diese kleinen Schüler, die fünf oder sechs waren, konnten nicht ein Wort Türkisch sprechen. Und er unterrichtete so, dass er Türkisch als die Hauptsprache ansah und sie den Schülern aufdrücken wollte. Er wollte sie zwingen, Türkisch - und nicht Kurdisch - zu sprechen. Aber er konnte mit den Schülern gar nicht richtig kommunizieren, weil sie ihn nicht verstanden haben. Dies ist nur ein Beispiel, was passieren kann. Ich glaube, es gibt viele Lehrer, die Schüler mit verschiedenen Hintergründen in ihrer Klasse haben und nicht wissen, wie sie mit dem Problem umgehen sollen."
    Mittlerweile gebe es aber einige Studien zu dem Thema; die Wissenschaft beginne, sich damit zu beschäftigen.