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Integration
Zwei ungleiche Brüder aus Syrien

Abdulkader Al Omar lebt seit fast einem Jahr in Leipzig und Magdeburg. Der 20-jährige Syrer ist geflohen, weil er in Assads Armee dienen sollte. In Deutschland fühlt er sich nicht wohl, das Deutschlernen fällt ihm schwer. Ganz anders sein älterer Bruder: Er ist mental und sprachlich in Deutschland angekommen und hat Pläne für die Zukunft.

Von Bastian Wierzioch | 07.09.2016
    Asylantrag für die Bundesrepublik Deutschland mit einem Stempel mit der Aufschrift "Bewilligt"
    Nicht für jeden Flüchtling bringt die Anerkennung auch eine neue Lebensperspektive. (Imago / Christian Ohde)
    25. Oktober 2015. In Leipzig vor einer Notunterkunft für Flüchtlinge. Studenten haben auf einer mit gelbem Herbstlaub bedeckten Wiese ein großes weißes Zelt, Bierbänke und ein Trampolin aufgebaut. Eine Willkommensparty. Es gibt Live-Musik und ein üppiges Picknick.
    Untergebracht sind die Flüchtlinge in einer riesigen Universitäts-Turnhalle. 67 x 39 Meter groß. Darin haben Mitarbeiter der Johanniter Unfallhilfe gut 400 grüne Feldbetten aufgestellt. Fast alle sind belegt. Die Flüchtlinge, die darauf schlafen, kommen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Eritrea oder Somalia.
    Einer, der mit der Musik und dem Picknick überhaupt nichts anfangen kann, ist der 20-jährige Syrer Abdulkader Al Omar, eigentlich ein hübscher Kerl. Große braune Augen. Lange Wimpern. Sommersprossen. Doch an diesem diesigen Herbsttag in Leipzig wirken sein dunkler Teint aschfahl und seine Augen müde. Abdulkader erzählt:
    Im August 2015 sei er in Passau der Bundespolizei in die Arme gelaufen. Danach wäre er zügig nach Leipzig gebracht worden. Das Leben in der Turnhalle findet der junge Mann schrecklich.
    "Ich lebe hier in diesem Camp seit zwei Monaten und sieben Tagen. Ich habe keine Aufenthaltsgenehmigung, und ich weiß nicht, wann ich in eine andere Unterkunft verlegt werde. Nur die medizinische Untersuchung gab es schon. Jeder Tag hier in diesem Camp ist schlecht. Ich schlafe auf dem Boden, weil ich Rückenschmerzen habe. Ich möchte eine Schule besuchen, und in einer eigenen Wohnung leben. Das gilt nicht nur für mich, auch die Familien hier sollten in Wohnungen leben schon allein wegen der Kinder."
    Die Flucht dauerte einen Monat
    Knapp ein Jahr lang, bis August 2016, wird der Reporter Abdulkader Al Omar immer wieder treffen, zu Behörden-Terminen begleiten und interviewen. Im selben Zeitraum dominiert die Debatte über Flüchtlinge, ihre Integration, aber auch die mögliche Terrorgefahr aus ihren Reihen Politik und Gesellschaft. Der 20-Jährige stammt aus Deir ez-Zor, einer Großstadt im Osten Syriens, um die die Freie Syrische Armee, die Regierungstruppen Bashar al-Assads sowie die Terrormiliz Islamischer Staat seit Jahren erbittert kämpfen.
    Abdulkaders Eltern und sechs seiner Geschwister sind ebenfalls geflohen aus Deir ez-Zor und leben jetzt im vergleichsweise sicheren Damaskus. Die Flucht des 20-Jährigen aus Syrien über die Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich dauerte einen Monat lang. Über das Mittelmehr gelangte er in einem überfüllten, nur fünf Meter langen Schlauchboot. 1.200 Dollar kostete ihn die Überfahrt.
    "Es ist schrecklich und wirklich gefährlich. Man fährt nicht nur die 20 Kilometer von Küste zu Küste und das war's dann. Nein, die Wellen waren richtig hoch. Und in Serbien gibt es überall Mafiosi. In Ungarn ist das auch so. Dort haben uns solche Leute reingelegt. Von jedem von uns haben sie 40 Dollar genommen, und gesagt, dass sie uns nach Budapest fahren. Aber nach wenigen Kilometern warfen sie uns wieder auf die Straße. Und um schließlich nach Deutschland zu kommen mussten wir auch noch durch einen Fluss schwimmen."
    Der Dolmetscher, der den Reporter unterstützt, signalisiert, dass Abdulkader kein besonders elegantes Arabisch spricht. Die Schulbildung des jungen Syrers ist dürftig. Einen Beruf hat er nicht gelernt. In der Leipziger Notunterkunft wartet Abdulkader nun ungeduldig auf einen Termin in der Chemnitzer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Dort kann er seinen Asylantrag stellen. Nichts ist ihm wichtiger, denn nur mit einer Aufenthaltsgenehmigung, kann er sein derzeit größtes Ziel verwirklichen. Abdulkader möchte nach Magdeburg ziehen, denn dort lebt bereits seit knapp zwei Jahren sein großer Bruder Abdulatif Al Omar.
    Zwischenstation im Gewerbegebiet
    30. November 2015. Im Gewerbegebiet Dölzig bei Leipzig - direkt neben der A 9. Viele Gebäude stehen leer. In einem Straßengraben liegt ein umgeknicktes grünes Schild mit der Aufschrift Hotel Magnet. Seit ein paar Tagen lebt Abdulkader Al Omar in dem schmucklosen, vierstöckigen Gebäude. In den folgenden Monaten wird der Reporter noch oft beobachten, dass der junge Mann großen Wert auf sein Äußeres legt. Und so sitzt er auch jetzt im weißen Hemd auf der Couch in seinem Zwei-Zimmer-Appartement. Ausgestattet mit einem Doppelstockbett und einer Küchenzeile.
    "Das Hotel ist gut, sehr gut sogar. Ich bekomme auch Geld, 325 Euro im Monat. Aber ich brauche unbedingt eine Aufenthaltsgenehmigung und ich möchte eine Schule besuchen, weil ich Deutsch lernen muss, weil ich ja auf eine Universität gehen will."
    Was der jungen Syrer über seinen Alltag in Dölzig erzählt, klingt ziemlich langweilig. Er joggt ein bisschen, spielt Fußball und im Fernsehen schaut er sich Actionfilme und Autorennen an, kauft im Discounter Brot, Milch, Eier und Reis, kocht und schläft.
    Abdulkader legt einen Brief, den ihm das Landratsamt Nordsachen geschickt hat, auf den Couchtisch. Auf dem Dokument steht "Zur Vorlage bei einer Kontrolle" und außerdem, dass Abdulkader verheiratet ist. Asma heißt seine Ehefrau. Zwei Monate bevor er Syrien verließ, hatte er die damals 16-jährige geheiratet.
    "Sie lebt in Deir ez-Zor. Es ist dort sehr gefährlich, weil die Terrormiliz Islamischer Staat große Probleme macht. Deswegen brauche ich ja den Termin in Chemnitz, damit ich meine Familie hierher holen kann."
    16. Dezember 2015. Vorweihnachtszeit in Leipzig. Das dritte Treffen mit Abdulkader Al Omar findet in einem Fast-Food-Restaurant statt. Draußen vor der Tür glitzern und funkeln Christbäume und Lichterketten. Weihnachten? Der sunnitische Moslem zuckt nur mit den Schultern.
    "Hallo, guten Tag! Einen Kaffee, bitte mit Milch, ja. Zum hier trinken? Ja. Dankeschön!"
    Perspektive durch Deutschkurs, Sorge um die Ehefrau
    Am Tag des Treffens hat Abdulkader zum ersten Mal seit der Reporter ihn kennt gute Laune. Seit einer Woche besucht der junge Mann einen Deutschkurs in der Leipziger Innenstadt. Der Unterricht scheint ihm Schwung zu geben.
    "Der Kurs ist super. Wir werden Tag für Tag besser. Jeden Tag bekommen wir neue Informationen. Die Lehrerin bringt uns Zahlen, Verben und Personalpronomen bei. Außerdem kann ich jetzt auf Deutsch danach fragen, woher jemand kommt und wie alt jemand ist."
    Sein Alltag im Gewerbegebiet, erzählt Abdulkader, sei zwar immer noch langweilig, aber erträglich. Als er nach Asma, seiner jungen Ehefrau gefragt wird, verfinstert sich seine Mine.
    "Seit drei Tagen habe ich keinen Kontakt mehr zu ihr. Die Sicherheitslage in Syrien ist gefährlich. Natürlich mache ich mir Sorgen. Mein Asylverfahren muss beschleunigt werden. Dann kann ich die Familie hierher nach Deutschland holen."
    Stundenlanges Warten in der Chemnitzer Behörde
    16. Februar 2016. Vor einem kleinen Pförtner-Häuschen warten in einer langen Schlage viele arabische Männer, Frauen und Kinder. Sie alle haben einen Termin in der Chemnitzer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.
    "Ihren Ausweis bräuchte ich da bloß mal bitte."
    Im Inneren der Behörde, im Wartebereich steht auch Abdulkader Al Omar, der sich für seinen seit Monaten wichtigsten Termin extra schick gemacht hat. Er trägt schwarze enge Jeans und eine dünne, weinrote Stoff-Jacke. Anspannung liegt in der Luft.
    "Bashir Mohammad!"
    Die meisten Blicke fixieren den jungen Bundeswehrsoldaten, der einen Flüchtling nach dem anderen in die Amtszimmer ruft. Abdulkader wartet geduldig und lächelt - über Stunden.
    Endlich in der Amtsstube, wo Tonaufnahmen für Radio-Reportagen nicht erlaubt sind, zeigt Abdulkader seinen syrischen Reisepass sowie einen Wehrpass der Armee von Bashar al-Assad. Mit dem Übersetzer der Behörde versteht er sich auf Anhieb, denn der ältere, rundliche Herr mit dem durchdringenden Blick stammt wie Abdulkader aus Deir ez-Zor. Doch schon bald werden der Flüchtling und der Behördenmitarbeiter immer stiller.
    Der Übersetzer nämlich hat sein Smartphone aus der Hosentasche gezogen und zeigt aktuelle Fotos von der gemeinsamen Heimatstadt. Auf allen Bildern: zerstörte Häuser, Ruinen, Chaos. Andächtig füllt Abdulkader den 12-teiligen Fragebogen aus. Als Syrer muss er kein Gespräch mit den so genannten Entscheidern vom Flüchtlings-Bundesamt führen – so wie es zum Beispiel für Asylsuchende aus Afghanistan Pflicht ist. Über seinen Fall wird nur auf Grundlage der Akte entschieden, die hier in Chemnitz über ihn angelegt wird.
    Die Situation in Syrien macht Angst
    Geschafft! Endlich hat Abdulkader Al Omar seinen Asylantrag gestellt. Doch sein Optimismus ist wie weggeblasen. Nachdenklich steht er zwischen anderen Flüchtlingen auf dem Hof der Behörde. Die Fotos aus dem Smartphone des Übersetzers beschäftigen ihn.
    "Ich habe mir ja überlegt, hier in Deutschland Fuß zu fassen. Das möchte ich. Aber jetzt habe ich Sorge, dass es ein Jahr lang dauert mit der Aufenthaltsgenehmigung. Ich denke aber auch an Syrien. Die Situation dort macht mir Angst. Assad begeht überall Verbrechen. In Syrien gibt es überall Probleme. Ich glaube schon, dass ich den Aufenthaltstitel bekomme. Aber das wird lange dauern."
    Abdulkader liegt falsch. Nur sieben Wochen später bekommt er seine Aufenthaltsgenehmigung – befristet für drei Jahre.
    "Hier kann nicht jeder losziehen und Wohnungen suchen. Der ist hier im Hotel wunderbar untergebracht."
    Wie geht es weiter als anerkannter Flüchtling?
    14. April 2016. Herr Haag von der Ausländerbehörde des Landratsamtes Nordsachsen hält in der Flüchtlingsunterkunft Hotel Magnet, im Büro der Heimleiterin, seine wöchentliche Sprechstunde ab.
    "Der ist anerkannter Flüchtling? Dann muss er sich eine Wohnung suchen. Und dann heißt das auch, willkommen in Deutschland! Und dann muss der sich selber in die Spur begeben. Yo, alles klar! Tschö!"
    Gleich nach dem Telefonat des Sachbearbeiters setzt sich der anerkannte Flüchtling Abdulkader Al Omar an den provisorischen Schreibtisch von Herrn Haag. Der erklärt ihm, dass sein Status jetzt vergleichbar sei mit dem eines deutschstämmigen Hartz IV-Empfängers. Abdulkader könne Arbeitslosengeld II beantragen und seinen Wohnsitz überall in Deutschland frei wählen. Der Syrer nickt und hat doch noch eine Frage.
    "Sie haben mir zwei Zettel gegeben für das Jobcenter, und ich habe Ihnen gesagt, dass ich zu meinem Bruder nach Magdeburg ziehen möchte. Sie hatten mir gesagt, dass das okay ist. Ich habe aber bis jetzt nur den Brief mit der Aufenthaltsgenehmigung bekommen und noch keinen offiziellen Flüchtlings-Ausweis. Darf ich trotzdem jetzt schon nach Magdeburg gehen?"
    Herr Haag erklärt, dass Abdulkader noch am selben Tag nach Magdeburg ziehen könne. Die Ausländerbehörde dort stelle ihm dann den Flüchtlingsausweis aus. Glücklich sieht Abdulkader nach dem Gespräch mit dem Sachbearbeiter aus. Voller Tatkraft blickt der junge Syrer in die Zukunft:
    "Jetzt mit der Aufenthaltsgenehmigung fühle ich mich, als ob ich ein Deutscher wäre."
    Nicht mehr ganz so locker und gelöst wirkt der 20-Jährige allerdings als er tiefer gehende Fragen nach seinen Fortschritten beim Deutsch lernen beantworten soll. Dem Reporter ist aufgefallen, dass Abdulkaders Sprachkenntnisse in dem knappen halben Jahr, in dem sich die beiden kennen, nicht besser geworden sind. Dabei liegen immerhin 300 Unterrichtsstunden hinter ihm.
    "Ich konnte nicht richtig lernen wegen des psychischen Stresses, weil ich ja so lange auf meine Aufenthaltsgenehmigung gewartet habe. Erst wenn man sie bekommt, hat man Kraft um weiter zu machen."
    Leben beim großen Bruder in Magdeburg
    20. Juni 2016. In einem unsanierten Plattenbau in Magdeburg. Seit drei Wochen wohnt Abdulkader in der Zweizimmer-Wohnung seines großen Bruders. Der fleckige Teppich wellt sich. Putz blättert von der Wand. Im Gengensatz dazu hat Abdulkaders Bruder Abdulatif sein Leben anscheinend voll im Griff. Der 25-Jährige mit dem gestutzten Vollbart und der blütenweißen Trainingsjacke lebt schon seit knapp zwei Jahren in Deutschland. Zuvor studierte er im syrischen Aleppo.
    "Damals habe ich nie gedacht, dass ich nach Deutschland kommen werde. Wir sind keine armen Leute. Deswegen haben wir das nicht gedacht, wir haben das nicht gebraucht."
    Abdulatifs jüngerer Bruder bringt süßen Johannisbeersirup aus der Küche und setzt sich mit auf das Sofa im Wohnzimmer. Er hat sich inzwischen im Magdeburger Jobcenter angemeldet. Rund 400 Euro zahlt ihm die Behörde monatlich. Arbeitsangebote muss er im Moment allerdings nicht annehmen, weil er inzwischen mit seinem zweiten Sprachkurs begonnen hat. 500 weitere Unterrichtsstunden liegen vor ihm. Doch seine Trägheit beim Lernen wird immer offensichtlicher. In die Deutschbücher schaut er selten. Den älteren Bruder ärgert das.
    "Er hat einfach nix gemacht. Wir haben gestern darüber gesprochen. Ich habe gesagt, kannst du auch zu Hause lernen."
    Frust und wenig Motivation
    In der Tat könnte Abdulkader viel weiter sein mit seiner Integration in Deutschland. Das wird schnell klar auf Abdulatifs Couch. Der junge Mann aber findet immer neue Ausreden: Im Moment sei das anstrengende Fasten im Ramadan schuld. Und überhaupt: In Magdeburg fühle er sich ja sowieso nicht wohl.
    "Nicht gefällt in Magdeburg. Magdeburg ist eine Stadt in der man fundamental diskriminiert wird. Die Leute sind nicht freundlich. Sie unterhalten sich nicht mit Ausländern. Im Supermarkt oder in der Straßenbahn schauen mich viele böse an. Ich glaube, die Leute sind so zu uns, weil wir Flüchtlinge sind. Ständig geben sie uns das Gefühl, dass wir das Land verlassen müssen, und sie uns hassen."
    Fast täglich werden in diesen Monaten Asylbewerberheime angegriffen
    Abdulatif runzelt skeptisch die Stirn und widerspricht. Er kenne viele Magdeburger, die Flüchtlingen freundlich begegneten. Und die bösen Blicke ignoriere er.
    "Ja, also ich kann das umgehen, ich kann einfach weg schauen oder übersehen oder so."

    Und dennoch: Fast täglich werden in diesen Monaten in ganz Deutschland Asylbewerberheime angegriffen, und nicht nur das Internet ist voller Hass-Kommentare und Hetze gegen Flüchtlinge. Zumindest Abdulatif, der Ältere, beschäftigt sich mit den Nein-Zum-Heim-Gruppen bei Facebook, den AfD-Positionen zur Flüchtlingspolitik, der Hetze gegen Ausländer bei den bundesweiten Pegida-Demonstrationen.
    "Es gibt viele, die die Ausländer hassen, und es gibt auch im Allgemeinen diesen Frust gegen die Ausländer. Und ich werde sagen, jeder kann denken, was er will. Also, wir sollen das auch akzeptieren, dass es auch eine andere Meinung gibt."
    Der jüngere Bruder hingegen interessiert sich kaum für das, was um ihn herum in Deutschland passiert. Lieber erzählt er, dass er inzwischen beim Auswärtigen Amt einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt habe. Asma, seine junge Ehefrau, habe es inzwischen bis an die Grenze zur Türkei geschafft.

    "Sie plant gerade den Grenzübertritt in die Türkei. Wenn sie dort wäre, wäre die Chance für die Familienzusammenführung größer. Im Moment hat sie aber Schwierigkeiten über die Grenze zu kommen, weil die türkischen Polizisten auf die syrischen Flüchtlinge schießen. Sie wollen nicht, dass die Syrer in die Türkei kommen."
    Unterwegs zu einem syrischen Restaurant in der Magdeburger Innenstadt. Auf den Straßen flanieren unzählige junge Frauen in extrem knappen Shorts und engen, bauchfreien T-Shirts. Wie wirkt die westliche Freizügigkeit auf die beiden Moslems? Der Jüngere duckt sich vor der Frage des Reporters verschämt-kichernd weg. Sein älterer Bruder hingegen gibt sich souverän:
    "Ja, also wenn ich ein Mädchen sehe, soll der Respekt gegenseitig sein. Damit wir einfach leben können. Miteinander, meine ich."
    Wehrdienst in Syrien überleben die wenigsten
    Im Restaurant Al Rahman. Schnell verzieht sich Abdulkader in ein Geschäft nebenan. Im Ramadan erträgt er die köstlichen Gerüche im Lokal nicht. Was der Reporter schon während der zurück liegenden Treffen mit Abdulkader vermutete, bestätigt sich jetzt. Die Motivation des Jüngeren, sich in Deutschland zu integrieren, ist gering. Warum aber ist Abdulkader überhaupt hierher gekommen, wo doch sechs seiner Geschwister relativ sicher in Damaskus leben?
    Der ältere Bruder lehnt sich gelassen in seinem Bistro-Stuhl zurück, blickt dem Reporter offen und ehrlich ins Gesicht und gibt zu, dass der wichtigste Fluchtgrund seines Bruders der Militärdienst war. Wer nämlich in Syrien zwischen 18 und 24 Jahre alt ist - so wie Abdulkader - müsse eigentlich in der Armee Assads dienen. Diesen Wehrdienst überleben die wenigsten.
    11. August 2016. Auf einem Magdeburger Fußballplatz. Hier kicken die beiden Brüder regelmäßig. Es ist das letzte Interview mit den Al Omars. Abdulkader, der vor knapp einem Jahr nach Deutschland geflohen ist, bereitet es sichtlich großes Unbehagen, erneut nach seinen Fortschritten beim Deutschlernen gefragt zu werden.
    "Ja, wir haben angefangen, jetzt etwas zu lernen. Aber wir brauchen mehr Kontakt mit den Deutschen. Hier in Magdeburg kommt man mit den Menschen sehr schwer in Kontakt, um sich mit ihnen auf Deutsch zu unterhalten."
    "Also ehrlich gesagt, er muss mehr lernen, er muss einfach vielleicht im Internet was hören und was nachahmen, auch wenn er vielleicht keinen Kontakt mit den Deutschen knüpfen kann. Weil ich zehnmal gesagt habe, dass er lernen soll und er macht das nicht gut."
    Unterschiedliche Brüder mit unterschiedlichen Zukunftsplänen
    Für ihre Zukunft haben die beiden unterschiedlichen Brüder auch deutlich unterschiedliche Pläne. Abdulatif hat seine Deutschprüfung der Kategorie C1 bestanden, das annähernd höchste Kurs-Niveau, das ein Flüchtling erreichen kann. Im kommenden Jahr wird er ziemlich sicher ein Sport-Studium beginnen. Um seine Integration braucht sich niemand Sorgen machen. Längst ist er auch mental in Deutschland angekommen und respektiert die Werte einer freien Gesellschaft.
    Und sein Bruder? Die Prognose für Abdulkader fällt eher schlecht aus. Der junge Syrer scheint selbst zu spüren, dass Deutschland für ihn voraussichtlich keine Heimat werden wird - obwohl die staatlichen Stellen in seinem Fall so gut wie alles richtig gemacht haben. Doch Abdulkader Al Omar steht sich nicht nur beim Deutschlernen selbst im Weg.

    "Ich möchte ja schon in Deutschland eine Ausbildung machen, vielleicht eine Arbeit finden, und meine Frau, die immer noch in der Türkei ist, hierher holen. Aber vor allem hoffe ich, dass es in Syrien keine Probleme mehr gibt, so wie früher. Ich werde nach Syrien zurückkehren, sobald die Sicherheitslage dort stabil ist.