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Intellektuelle im Wahlkampf
"Man will sich nicht eingestehen, dass man mit den Verhältnissen recht zufrieden ist"

Günter Grass trommelte für Brandt, Udo Lindenberg für Schröder und Joseph Beuys engagierte sich bei den Grünen. Intellektuelle und Politik standen früher in regem Austausch, heute herrscht Funkstille. Intellektuelle verharrten in einer "Weiter-so-Mentalität", sagte der Schriftsteller Joachim Helfer im Dlf.

Joachim Helfer im Corsogespräch mit Susanne Luerweg | 05.09.2017
    Heinrich Böll, Günter Grass und Bundeskanzler Willy Brandt bei der öffentlichen Podiumsdiskussion aus Anlass des 1. Kongresses des Verbandes Deutscher Schriftsteller am 21.11.1970 in der Stuttgarter Liederhalle.
    Heinrich Böll, Günter Grass und Bundeskanzler Willy Brandt bei der öffentlichen Podiumsdiskussion aus Anlass des 1. Kongresses des Verbandes Deutscher Schriftsteller am 21.11.1970 in der Stuttgarter Liederhalle. (dpa / picture alliance)
    Der Schriftsteller Joachim Helfer, Herausgeber des Buches "Wenn ich mir etwas wünschen dürfte", in dem Intellektuelle Wünsche an die Politik formulieren, stellt in Deutschland ein gestörtes Verhältnis zwischen Macht und Geist fest. Seiner Ansicht nach halten sich die Intellektuellen weitgehend aus dem Wahlkampf heraus, weil sie mit den Verhältnissen im Grunde recht zufrieden sind, was sie sich allerdings nicht gerne eingestehen. Außerdem gebe es in Deutschland unter Intellektuellen eine Politikverachtung aus schlechtester romantischer Tradition, die immer in Gefahr sei, auch eine Demokratie- und Republikverachtung zu sein, sagte Joachim Helfer im Deutschlandfunk.
    Susanne Luerweg: George Clooney engagierte sich für Obama und für Clinton, Clint Eastwood stand auf der Seite von Mitt Romney und dann auch von Trump. Kein amerikanischer Wahlkampf ohne Künstler und auch viele Intellektuelle positionieren sich in der Regel lautstark für ihren Kandidaten oder mischen sich zumindest ein. Auch in Deutschland gab es mal eine Zeit, in der sich Denker in die Politik einmischten und der Schulterschluss zwischen Geist und Macht wie selbstverständlich erschien. In diesem Wahlkampf verhalten sich die kreativen Köpfe allerdings auffallend ruhig. Der Autor Joachim Helfer hat jetzt immerhin ein Buch mitherausgegeben, in dem sie sich etwas wünschen dürfen, die intellektuellen Köpfe unserer Zeit.
    Herr Helfer, der Wahlkampf, der ist öde. Das Kanzlerduell, das war auch nicht so richtig spannend. Haben auch die Künstler und Intellektuellen einfach keine Lust, sich zu engagieren, weil die Wahl eh schon gelaufen scheint?
    Wir haben noch länger mit Joachim Helfer gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Joachim Helfer: Vielleicht weil die Wahl gelaufen scheint, vielleicht auch, weil man das Gefühl hat, es geht bei uns nicht um solche Grundsatzentscheidungen wie die zwischen, sagen wir einmal, Hillary Clinton und Donald Trump. Es geht nicht ums Eingemachte, es geht eher um Weichenstellungen der feineren Art. Also die Zeit, als 1969 Willi Brandt angetreten ist, als Grass, als Walser, als Böll sich engagiert haben, da ging es ja um einen echten Kulturwechsel, um eine Neuerfindung der Bundesrepublik. Und darum geht es, glaube ich, im Augenblick nicht. Sondern es geht um die Frage, ob wir einen Modernisierungsschub mal wieder gebrauchen können, in dem das schöne Schlagwort der Gerechtigkeit, was ja nun am Ende des Tages jeder für sich reklamiert in diesem Wahlkampf, mit konkreten Inhalten gefüllt wird.
    "Revolutionärer Überschwang wird für den einzig möglichen politischen Beitrag gehalten"
    Luerweg: Jetzt haben Sie sich in diesem Buch und auch Ihre Mitstreiter sehr eindeutig positioniert. Aber das erreicht jetzt auch nicht so die große breite Masse. Also man hat so ein bisschen das Gefühl: Das Streitgespräch, die Anstifter zur Debatte, die fehlen trotz allem so ein bisschen.
    Helfer: Es geht in Deutschland einfach sehr vielen Leuten sehr gut. Und das bringt - zumindest bei den zwei Dritteln - natürlich eine gewisse Weiter-so-Mentalität hervor. Und dabei wird schnell übersehen, dass es Etliche gibt - Familien, Ältere, Immigranten -, deren berechtigte Ansprüche an Solidarität, an Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft gerade in den letzten zehn, zwölf Jahren auch etwas kurz gekommen sind. Und ich habe manchmal das Gefühl im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, dass man sich nicht eingestehen will, dass man mit den Verhältnissen im Grunde recht zufrieden ist. Und dass dann sehr schnell so ein romantischer deutscher Überschuss an revolutionärem Überschwang für den einzig möglichen politischen Beitrag des Künstlers, des Intellektuellen gehalten wird. Also entweder ist alles so in Ordnung, wie es ist, oder wir müssen die Republik neu erfinden. Und tatsächlich geht es um etwas ganz anderes.
    Der Autor Joachim Helfer
    Der Autor Joachim Helfer (imago/gezett)
    Es werden die Ränder übersehen, es wird aber auch übersehen, was über den historischen Rand des Horizonts auf uns zukommt. Wir können in Europa nicht so weitermachen wie bisher. Das geht nicht. Das eigentliche, ursprüngliche Stammpublikum, das Stammpotenzial der Sozialdemokratie, der Arbeiterparteien in Europa, das fühlt sich - ich glaube auch zu Recht - ein bisschen alleingelassen.
    "Vieles ist von einer pappmascheehaften Werbeagentur-Glätte"
    Luerweg: Und wird dann aufgefangen von Parteien wie der AfD, wo die Sprache eher verfängt. Das ist ja auch immer wieder Thema von wegen: Das ist zu abgehoben, das ist zu weit weg. Wir können das nicht mehr nachvollziehen. Müssten da nicht Intellektuelle reingrätschen und sagen: Kommt da mal wieder zusammen?
    Helfer: Absolut. Und es ist eine Frage der Sprache, Sie haben völlig Recht. Vieles ist auch gerade im sozialdemokratischen, politischen Duktus doch sehr klinisch, gar nicht unbedingt abgehoben, sondern häufig auch von so einer pappmascheehaften Werbeagentur-Glätte. Und es geht aber auch um Inhalte. Ein so schlichtes Thema wie der Mindestlohn, den endlich einmal in Deutschland einzuführen und durchzusetzen, daraus hat - aus meiner Sicht - die Sozialdemokratie viel zu wenig gemacht.
    Luerweg: Wir reden jetzt immer über die Sozialdemokratie. Sie positionieren sich da ja auch sehr eindeutig. Sie haben auch mitgewirkt an der Schrift "150 Jahre SPD". Ist es sinnvoll, dass man als Intellektueller ganz eindeutig Position bezieht für eine Partei? Oder müsste man nicht so ein bisschen sich zurückhalten und einfach einmischen?
    "Es geht um konkrete politische Forderungen"
    Helfer: Natürlich geht es hier nicht um Parteipolitik. Es geht um konkrete politische Forderungen, von denen wir glauben, dass sie in einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung vielleicht etwas eher zu verwirklichen wären. Aber der Wunschzettel richtet sich genauso auch an Angela Merkel, wenn sie denn als Kanzlerin immer bestätigt wird.
    Luerweg: Angela Merkel sieht man jetzt auch nicht so häufig mit Menschen aus der Künstler-Intellektuellen-Szene. Man sieht sie in Bayreuth über den roten Teppich laufen. Aber ansonsten, so ist zumindest der Eindruck, sind es Fußballer oder Schauspieler wie Heiner Lauterbach, die sich für die CDU engagieren. Macht das Sinn - ohne da jetzt irgendjemandem zu nahe treten zu wollen?
    Helfer: Macht es Sinn, in Bayreuth über den roten Teppich zu laufen? Das ist eine Geschmacksfrage. Macht es Sinn für Herrn Lauterbach, sich für Angela Merkel zu engagieren? Wahrscheinlich schon. Sie haben ja vorhin gefragt, ob es für den Intellektuellen sinnvoll ist.
    Luerweg: Genau.
    "Es hat Tradition, gerade das Tagespolitische für ein bisschen unter der eigenen Würde zu halten"
    Helfer: Es ist für den Intellektuellen, für den Künstler, für den Schriftsteller in hohem Maße schädlich, das zu tun. Ich schade mir ungeheuer mit diesem Buch. Das Naserümpfen bei den Kolleginnen und Kollegen in den Feuilleton-Redaktionen ist gar nicht zu übersehen. Aber das gehört mit in eine unselige deutsche Tradition, nämlich das Politische, gerade auch das Tagespolitische, für ein bisschen unter der eigenen Würde zu halten. "Ein politisch Lied, ein garstig Lied", heißt es bei Goethe. Es gibt letztlich eine Politikverachtung nach wie vor, aus schlechtester romantischer Tradition in Deutschland, die immer in Gefahr ist, auch eine Demokratie- und Republikverachtung zu sein. Man tut dem Ansehen der Politik keinen Gefallen, man tut der Republik keinen Gefallen, wenn man Politik und Politiker immer so ein bisschen als - ich sage mal - Müllmänner oder so was betrachtet. Und so reden ja Intellektuelle und gerade Künstler gerne über Politik. Und das ist grundfalsch.
    Luerweg: Die Wahl, die ist am 24. September. Es ist nicht mehr so viel Zeit, bis dahin. Herr Helfer, glauben Sie, dass es noch eine Einmischung geben wird von Seiten der geistigen Elite?
    "Insgesamt gestörtes Verhältnis zwischen Macht und Geist"
    Helfer: Nein. Selbst wenn jetzt in irgendeiner Stelle noch einmal ein ganz großer Name in einem großen Feuilleton einen großen Artikel schriebe, wäre das ja auch noch keine Veränderung des insgesamt gestörten Verhältnisses zwischen Macht und Geist, aber auch zwischen Macht und Öffentlichkeit. Also einer der Vorwürfe, die Martin Schulz - ich glaube, nicht zu Unrecht - gegen Angela Merkel erhebt, ist ja diese Entpolitisierung oder der Entzug des Sauerstoffs aus der politischen Debatte. Und das ist ein Schaden, der in den letzten zehn, fünfzehn Jahren eingetreten ist, den wir jetzt nicht in wenigen Wochen korrigieren werden können.
    Luerweg: Der Schriftsteller Joachim Helfer zur Frage, wo die geistige Elite im Wahlkampf eigentlich abgeblieben ist und über sein Buch, das er mitherausgegeben hat "Wenn ich mir etwas wünschen dürfte", das im Steidl Verlag erschienen ist. Und darin beschreiben unter anderem Schriftsteller wie Ralf Bönt und Tanja Dückers, was sie sich so wünschen würden. Herr Helfer, vielen Dank für das Gespräch.
    Helfer: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.