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Interdisziplinäre Suche
Der Wahrheit auf der Spur

Schon Aristoteles erkannte im 4. vorchristlichen Jahrhundert, dass die Wahrheit niemals für sich alleine steht, sondern immer in einem Bezugsverhältnis existiert. Doch wie lässt sich wahre Liebe, wahre Freundschaft messen? Forscher untersuchen das Phänomen in Mathematik, Psychologie, Geschichte und der Philosophie.

Von Eva Götz-Laufenberg | 14.06.2018
    Ein Demonstrant hält ein Plakat mit der Aufschrift "Truth", Wahrheit hoch, bei dem Protestmarsch in New York in Reaktion auf Donald Trumps "Krieg gegen die Medien" am 25. März 2017
    Ein Demonstrant hält ein Plakat mit der Aufschrift "Truth" (Wahrheit) hoch: Protestmarsch in Reaktion auf Donald Trumps "Krieg gegen die Medien" im März 2017 in New York. (imago/Levine-Roberts)
    Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte:
    Papageno: "Oh Kind, was werden wir nun sprechen?"
    Pamina: "Die Wahrheit, die Wahrheit - wär sie auch Verbrechen."
    Die Wahrheit und wäre sie auch Verbrechen - für die Prinzessin Pamina in Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Die Zauberflöte" ist das Aussprechen der Wahrheit in höchster Not eine Möglichkeit - trotz drohender Strafe ihre Würde dennoch zu behalten. Denn wer die Wahrheit sagt, ist verlässlich, steht auf Seiten der Vernunft und setzt dem Chaos die Ordnung entgegen. Das galt seit der Antike. Professorin Petra Kolmer:
    "Daraus leitet sich ab: Die Wahrheit zu sagen oder Wahrheit zu verkünden, bedeutet eben auch, Recht zu haben. Das ist ein Zusammenhang, der seit den damaligen Zeiten einfach besteht."
    Ungefähr im 8. Jahrhundert vor Christus kam der Wunsch in die Welt, zu erkennen, was wirklich ist. Bis dahin erklärten sich die Menschen in unterschiedlichsten Kulturen ihre eigene Existenz und die seltsamen Dinge, die sie umgaben und denen sie ausgesetzt waren, durch Mythen. Götter und deren Gehilfen waren zuständig für alles, was geschah. Doch plötzlich reichten diese Deutungsmuster nicht mehr aus. Menschen wurden selbstbewusst und begannen, Fragen zu stellen.
    "Es ist das Jahrhundert, in dem die Olympischen Spiele erfunden werden, in dem Rom entsteht, und man will es jetzt wissen, wie die Dinge waren, wie sie jetzt sind und wie sie sein werden. Man will den Überblick gewinnen."
    Wahrheit existiert immer in einem Bezugsverhältnis
    Und dafür musste man unterscheiden lernen: Was ist Trug? Was ist echt? Und welche Gesetzmäßigkeit liegt alledem zugrunde?
    "Die Wahrheit ist ein Sprachausdruck, der einen Zusammenhang meint. Und zwar einen Zusammenhang in der Ordnungs- und Geltungsdimension der Vernunft. Also Wahrheit ist ein Ausdruck für einen Zusammenhang, für einen Zusammenhang, der einen Vernunftanspruch an einen stellt."
    Es war Aristoteles, der im 4. vorchristlichen Jahrhundert erkannte, dass die Wahrheit niemals für sich alleine steht, sondern immer in einem Bezugsverhältnis existiert. Da ist in erster Linie das Verhältnis der menschlichen Rede zur Welt: Das, worüber man spricht, muss auch tatsächlich existieren und man muss es sinnlich anfassen und theoretisch beschreiben können.
    "Ich sage ja nicht einfach 'Baum', sondern ich bilde Sätze über etwas und meine Sätze geben Sachverhalte wieder oder beziehen sich auf Sachverhalte und sind dann wahr, wenn die Sachverhalte Tatsachen sind. Also wenn ich das nachweisen kann. Das heißt, ich rede nicht über einen Baum, sondern über einen Baum, der in bestimmten Verhältnissen steht. In einer Umgebung, zu einer bestimmten Zeit, einer bestimmten Situation, an einem bestimmten Ort."
    Verlässliche Übereinstimmungen
    Ob ich nun Tatsachen dadurch erkenne, dass ich sie anfasse, ertaste, sinnlich berühre, oder ob ich sie durch das Sagen, das Aussagen, Aussprechen verifiziere: Erst im Zusammenhang wird die Wahrheit erkennbar und dieser Zusammenhang muss Stabilität und Verlässlichkeit gewährleisten. Diese Maxime des Aristoteles gilt bis heute, auch wenn in 2000 Jahren Philosophiegeschichte der Begriff der Wahrheit immer mehr ausdifferenziert und im frühen Mittelalter noch durch die christliche Gottesvorstellung erweitert wurde. Aber ob man nun mit Thomas von Aquin die Wahrheit im Entwurf des göttliches Verstandes suchte oder - wie später die protestantischen Nominalisten im festen Glauben an Gottes Übermacht. Spätestens, seitdem die Säkularisierung sich Bann brach und die Moderne begann, wird Wahrheit im Grunde genommen wieder allein durch die verlässliche Übereinstimmung von einer Aussage mit anderen Aussagen gemessen und das Ziel ist immer: Stabilität. Das gilt übrigens auch bei der Frage, die uns alle vielleicht am meisten interessiert: der Frage nach "wahrer Liebe" oder "wahrer Freundschaft".
    "Das sind Verhältnisse, die eben nur unter Menschen vorkommen und dadurch ausgezeichnet sind oder sein sollen, wenn wir den Ausdruck "wahr" hier verwenden, dass wir gehalten sind, ein verlässliches Bezugsverhältnis daraus zu machen. Eigentlich füge ich mit dem Ausdruck "wahr" dem Ausdruck "Liebe" nichts hinzu, aber ich markiere den Vernunftanspruch, der hier besteht in diesem Verhältnis. Nämlich, ein stabiles Verhältnis zu sein."
    Stabilität und Ausgewogenheit
    Einfach nur zu sagen: "Ich liebe dich" oder: "Ich bin dir ein wahrer Freund" mag zwar schön und erfreulich sein. Aber es muss deshalb noch lange nicht der Wahrheit entsprechen. Wie zwei Menschen miteinander umgehen, danach bemisst sich der Wahrheitsgehalt einer Liebe und einer Freundschaft. Petra Kolmer:
    "Der Andere kann alles nur auf sich beziehen und egoistisch sein, und damit ist die Beziehung zerstört, jedenfalls ist kein stabiles Korrespondenzverhältnis da."
    Wenn Liebe oder Freundschaft gelingt, bedeutet das hingegen: "Dass die, die da beteiligt sind, alles dafür tun, dass es sozusagen zentriert zugeht. Dass man nicht alles nur auf sich bezieht, sondern dass es ausgewogen zugeht. Und das bedeutet Stabilität. Und deshalb kann man hier von Wahrheit auch reden."
    Doch - auch das ist eine wahre, durch viel menschliche Erfahrung gereifte Erkenntnis - wir haben die Wahrheit nicht in der Hand. Und besitzen können wir sie schon gar nicht:
    "Wir operieren jeden Tag mit Gewissheiten. Haben Überzeugungen, unsere Meinungen, unseren Glauben, aber nur die wenigsten von uns würden sagen, 'das ist die Wahrheit' oder 'wir sind im Besitz der Wahrheit'. Ich glaube nicht, dass man das sagen könnte."
    Machiavellis Empfehlung: Macht und Lüge
    Friedrich Nietzsche hielt die Wahrheit sogar für den Irrtum, ohne den wir nicht leben können. Und Niccolò Machiavelli setzte der Wahrheit etwas entgegen, was er für zielführender hielt: Die Macht, die man durch gezielte Täuschung, durch Trug, durch Lüge erzielt.
    "So hat es Machiavelli den Herrschern ja empfohlen, dass man wie ein Fuchs sein muss, sich verstellen muss und dann fährt man am besten."
    Und das scheint einigen Herrschern auch heute noch ein geeignetes Prinzip und könnte zum Beispiel auch einen Donald Trump dazu verleiten, mit der Erfindung "alternativer Fakten" seine wahren Absichten zu vertuschen. Kurzfristig könnte er damit sogar Erfolg haben.
    "Aber langfristig eben nicht. Denn an die Wahrheit bindet sich der Aspekt der Verlässlichkeit. Der Verlässlichkeit der Welt, wenn ich ihn auf die Welt anwende, der Verlässlichkeit der Rede, wenn ich ihn auf die Rede anwende. Grade wenn man Macht haben will, kann man an der Wahrheit nicht vorbei gehen. Grade nicht. Es geht nicht darum, Macht oder Wahrheit abzuwägen oder gegeneinander auszuspielen, sondern grade der, der Macht ausüben will, muss sich an diese Werte halten, die die Stabilität ins menschliche Leben bringen."
    Das wird hier sozusagen ignoriert, und die Geschichte hat ja dann gezeigt, wie's ausgeht.
    Die Langfristfolgen sind verheerend.