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Interdisziplinäre Tagung
Konjunkturen der Ironie

"Ironie ist eine Beleidigung in Form eines Kompliments" - so fasste der englische Essayist Whipple vor rund 150 Jahren kurz und knapp den Begriff der Ironie. Viel ausführlicher als im Aphorismus wurde Ironie auf einer Tagung an der Universität Jena behandelt.

Von Christian Forberg | 25.09.2014
    "Ironie ist das Körnchen Salz, das das Aufgetischte überhaupt erst genießbar macht." Ein solcher Aphorismus kann nur von einem Feinschmecker der Sprache stammen. Und tatsächlich - Goethe war's, der sicher mehr Ironie serviert hat, als er zu kosten bekam. Nein, Ironie ist nicht jedermanns Sache, erst Recht, wenn er zu hören bekommt:
    "Du bist mir ja ein feiner Freund!"
    Die Sprachforscherin Helga Kotthoff ist Professorin an der Uni Freiburg und gestaltete den einleitenden Teil der Jenaer Tagung: Ironie als Redeweise.
    "Du bist mir ja ein feiner Freund!" Das sage ich ja nur zu jemandem, der mir in einem Zusammenhang überhaupt nicht geholfen hat, wo ein Freund normalerweise geholfen hätte. Insofern ist das als Ironie fest geprägt.
    ... weil es anders gemeint als gesagt war, allerdings in abgeschwächter Form. Helga Kotthoff bezeichnet Ironie als eine sehr dichte Form der Kommunikation, und nennt ein weiteres Beispiel:
    "Stellen wir uns zwei junge Frauen vor; die geraten vor ein Schaufenster, in dem sind seltsame altmodische Taschen. Und die eine ruft dann im Duktus ihrer Tante: "Das ist ja reizend!" Die beiden lachen; sie verständigt sich mit ihrer Freundin darüber: "Wir finden dieses Taschen ganz furchtbar."
    Ironie kann man Falschverstehen
    Stellen wir uns jedoch andererseits vor, die Freundin durchschaut die Ironie nicht oder fände die Taschen wirklich reizend. Die Ironie wäre verpufft; statt des Lachens bräche womöglich ein Streit aus.
    Dieses Falschverstehen bewegte einen Gelehrten bereits um 1800: Friedrich Schlegel, Kulturphilosoph und Schriftsteller, der damals in Jena lebte und mit der Romantik auch den Begriff der Ironie einführte. In welcher Weise erklärt Jochen Bär, Sprachwissenschaftler und Professor an der Uni Vechta.
    "Es geht bei Schlegel bei diesem Ironiekonzept um die Notwendigkeit und gleichzeitig Unmöglichkeit, die Wahrheit über eine Sache zu sagen. Er sagt: Die Wahrheit ist so komplex, dass man sie nie ganz fassen und aussprechen kann. Gleichwohl müssen wir das aber tun, denn sonst können wir gar nicht kommunizieren, und dann bleiben wir vereinzelte Wesen, die sich miteinander nicht austauschen können. Also müssen wir beides auf einmal tun."
    Ironie als Forschungsvorhaben
    Ironie ist jedoch nur ein winziger Ausschnitt aus dem Forschungsvorhaben, das Jochen Bär wohl noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird, nämlich zentrale Begriffe der klassisch-romantischen Kunstperiode zwischen 1760 und 1840 auf ihre Bedeutung hin zu analysieren.
    "Sie finden das Wort Ironie bei Lessing und an anderen Stellen der Aufklärung. Besonders signifikant und theoretisch interessant wird es tatsächlich erst vor 1800 mit der deutschen Frühromantik, insbesondere mit Friedrich Schlegel. Und darauf bezieht sich dann - sei es positiv oder sei es kritisierend - der gesamte weitere Diskurs..."
    Der allerdings tendierte in der Spätromantik zu philosophischer Nüchternheit.
    Was aber hat die erste neuzeitliche Ironie-Konjunktur mit der in den 1990er Jahren ausgebrochenen, mit der „Spaßgesellschaft" zu tun? Das war eine der Fragen, die auch Tagungsgastgeber Dirk von Petersdorff bewegte. Es gebe durchaus Zusammenhänge, meint der Professor für Neuere deutsche Literatur an der Uni Jena.
    "Die Romantiker befinden sich um 1800 in einer Gesellschaft, wo sie merken: Es ist hier möglich, ganz verschiedene Lebensweisen zu führen, und wir können nicht mehr ganz einfach sagen, welche ist wahr, und mein Nachbar kann ganz verschiedene Basisüberzeugungen haben als ich selber. Es ist nach 1789 so ein Pluralisierungsschub. Und 1989 ist mit Sicherheit noch einmal ein Pluralisierungsschub, wo man erst langsam merkt in der Gesellschaft der Bundesrepublik, dass wir seitdem immer stärker gezwungen sind, Heterogenität zu akzeptieren."
    Ironischer Mehrwert
    och das fällt schwer, stellte Professor Dirk Kemper fest. Der Germanist und Direktor des Moskauer Instituts für russisch-deutsche Literatur- und Kulturbeziehungen sprach vom "ironischen Mehrwert", der mit Schlegel und anderen das einstige Geistesleben öffnete. In unserer pluralistischen, libertären Gesellschaft dagegen gebe es eine ironische Grundhaltung, die Anatol France vor einem Jahrhundert gemeint haben mag, als er Ironie als „letzte Phase der Enttäuschung" bezeichnete.
    "Wenn Ironie heißt, dass nichts mehr gültig ist, dass ich mich dann auch innerlich an nichts mehr binden kann, weil es eben keine Gültigkeit hat, bleibe ich letztlich ein sehr armes und auch manipulierbares Wesen. Das ist mein Unbehagen gegenüber dem verführerischen Begriff "ironischer Lebensstil": Wir probieren mal das und mal das, und alles bleibt in der Schwebe."
    Einher gehe das mit der Intoleranz gegenüber anderen Lebensstilen. Das sei einst anders gewesen.
    Das heißt, diese Konstellation um 1800, die sich sehr gut darauf eingestellt hat, dass es sehr verschiedene Wege geben kann, wie man mit der Welt umgehen kann, bietet ein viel besseres Toleranzmodell als unsere etwas reduzierte, auf bestimmte Argumentationsformen festgelegte Weise. Man kann schlecht auftreten und sagen: In anderen Weltzugangsweisen, wie es z. Bsp. der Islam darstellt, liegt eine Weltzugangsweise mit ganz eigenen Rechten, die wir auch respektieren müssen, und die dann auch Grenzen definieren gegenüber dem, was wir für allgemeingültig halten.
    Ironie als Reflexionsform
    Professor Heinz Bude, als Soziologe an der Uni Kassel und am Hamburger Institut für Sozialforschung tätig, legte einen historischen Pfad zur Gründung der Bundesrepublik, um Ironie als eine Art "Vorsorgereflexion" zu. Es habe im Nachkriegs-Westen weder eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus noch eine wirkliche Vision für ein besseres Deutschland gegeben.
    "Das heißt, die Ironie ist eigentlich in der Geschichte der Bundesrepublik eine Reflexionsform, um wieder zu Leben zu kommen und, wenn Sie so wollen, einer Aufstiegsgesellschaft in einer mitlaufenden Reflexion einen Raum zu geben, dass sie quasi wieder einen Aufstieg aus der Deckung hinkriegen kann."
    Viel habe sich daran auch nicht geändert, als der Teil Deutschlands, der eine Vision hatte, gescheitert war. Sicher, es gab nach 1989 das "Wir sind ein Volk", es gab die "blühenden Landschaften", zumindest als Vision. Heute scheint für die Regierung Merkel ein "Fliegen auf Sicht" alternativlos und ohne Vision.
    Dies ist insofern Ironie, als die Idee "Wir fliegen alle nur auf Sicht" der Versuch des Weg-Findens in einem Rahmen ist, von dem zugegeben wird, dass man daran nicht viel machen kann. Eine ganz andere Idee wäre eine Idee von Politik, die sagt: Wir gehen auf den Rahmen zu und wollen den Rahmen ändern, und nicht nur einfach unseren Weg.
    Was aber mit Konjunkturen der Ironie wenig zu tun habe, meint Eckhard Schumacher, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Uni Greifswald. Die hätten nur wenige Jahre gedauert.
    "Zwei, drei Jahre, nachdem Friedrich Schlegel seine emphatischen Überlegungen zur Ironie der Ironie formuliert hat - 1803, 1804 liest man: Es ist eine Zeit des Krieges; was jetzt auf der Tagesordnung steht, ist der Ernst. Das finden wir Ende der 90er Jahre, eine Zeit, die mit Stichworten wie Spaßgesellschaft, durchgehende Ironisierung benannt ist; finden wir Ende der 90er bei Künstlern, bei Pop-Musikern, bei Autoren, die sagen: Es ist genug, Irony is over, bye, bye! Und dann kommt zwei-drei Jahre später das Ereignis 9/11, wo dann plötzlich die breite Öffentlichkeit mitteilt: Jetzt ist Schluss mit Ironie."
    Ob sie angesichts der momentanen Kriegsängste so schnell wieder eine Renaissance erleben wird, erscheint wenig wahrscheinlich.