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Interessen des Allgemeinwohls und Therapienotwendigkeiten zusammenführen

"Wir brauchen eine Sicherungsverwahrung, die anders ausgestaltet ist in ihrer Konzeption als derzeit", sagt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Es solle die Sicherheitsverwahrung nur noch geben, wenn sie bereits im Urteil - zumindest vorbehaltlich - vorgesehen war.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.06.2010
    Tobias Armbrüster: Sparpaket, Gesundheitsreform, Steuerpolitik – es gibt zurzeit so einige große Streitthemen in der schwarz-gelben Koalition. Jetzt könnte eine weitere Belastungsprobe dazu kommen. Zwischen Union und FDP bahnt sich ein Zwist an um die sogenannte Sicherungsverwahrung. Wie soll man umgehen mit Sexualstraftätern etwa, die auch nach der Verbüßung ihrer Haft eine Gefahr für ihre Mitmenschen bleiben? Union und FDP haben dazu gestern zwei unterschiedliche Konzepte vorgelegt, und zwar ohne dass sich die beiden Koalitionspartner vorher abgestimmt haben – ein höchst ungewöhnlicher Vorgang.

    Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit der Bundesjustizministerin. Schönen guten Morgen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Wie finden Sie es denn, dass die Union ihr eigenes Konzept für die Sicherungsverwahrung vorstellt, ohne Sie als zuständige Ministerin vorher zu fragen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben gestern, bevor dieses Konzept vorgestellt worden ist, auch natürlich über die Sicherungsverwahrung in der Koalition unter den Rechtspolitikern geredet. Wir wollten das schon eher tun, ging aber durch die Sparklausur und die vielen anderen Tagungen nicht. Es ist ganz klar, dass natürlich ich als federführende Ministerin hier die Eckpunkte in die Debatte bringe.

    Natürlich muss man auch sehen, dass ja gerade in den Ländern sich die Justizminister auch der Union intensiv damit beschäftigen, und gestern hat ja Herr Busemann, der auch das Konzept für die Union wohl mit erarbeitet hat, ja ausdrücklich die Vorschläge, die ich eingebracht habe, unterstützt. Von daher, denke ich, werden wir jetzt, wenn auch mit teilweise unterschiedlichen Positionen, am gemeinsamen Konzept arbeiten.

    Armbrüster: Aber macht sich die Regierung denn nicht unnötig viel Arbeit, wenn sie zum gleichen Gesetz zwei unterschiedliche Versionen anfertigt?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Die Regierung fertigt ein Konzept an. Dass aber zu diesem Thema eine breite Debatte stattfindet mit vollkommen unterschiedlichen Ansätzen, das ist ja nicht jetzt erst der Fall, sondern schon die ganzen vergangenen Jahre so gewesen, und von daher gibt es hier unterschiedliche Zugangsweisen. Aber ich will doch mal eines deutlich machen. Was alle wollen, die Regierung, aber auch Union und ich denke auch die Opposition, ist: Wir brauchen eine Sicherungsverwahrung, die anders ausgestaltet ist in ihrer Konzeption als derzeit. Egal, welches Konzept man wählt, in jedem Fall muss es Therapie, mehr Betreuung in der Sicherungsverwahrung geben. Das ist eben kein Strafvollzug, sondern das ist eine Möglichkeit, Allgemeinwohlinteressen und aber auch Therapienotwendigkeit des Täters zusammenzuführen.

    Armbrüster: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Konzepte sind nun aber äußerst unterschiedlich. Die Union will die Sicherungsverwahrung vor allem nachträglich anordnen lassen. Was ist daran Ihrer Meinung nach so verkehrt?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, dass wir gerade weg müssen davon, dass Sicherungsverwahrung nicht mehr unmittelbar auch zu tun hat mit der Strafverurteilung, mit dem Strafverfahren, sondern dass wir mit dem Konzept der Union uns ja loslösen in so eine Art auch Gefahr von präventiver Sicherungsunterbringung. Es wird ja auch ein anderer Begriff gewählt. Sicherungsverwahrung heißt ja, weiter eingesperrt bleiben, trotz Verbüßung des Strafvollzuges, und das darf nicht unsicher sein. Da darf man nicht in allerletzter Sekunde im Strafvollzug entscheiden, ohne vorher sich darüber Gedanken zu machen. Und diese Anknüpfung an auch gerade die Straftaten des Täters, des dann verurteilten, muss von Anfang an deutlich werden. Deshalb will ich genau das in das Strafverfahren einbringen.

    Armbrüster: Wie wollen Sie sich denn dann mit der Union einigen, wenn Sie sagen, vor allem zu Beginn gleich die Sicherungsverwahrung festlegen, die Union dagegen sagt, erst am Ende der Haft die Verwahrung festlegen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Dass es hier in der Union auch sehr wohl Unterstützung ja gibt für meinen Vorschlag, hat ja gestern die Vorstellung des Konzeptes gezeigt, auch was Herr Busemann aus Niedersachsen, der zuständige Justizminister, dazu geäußert hat, und von daher werden wir jetzt auf der Grundlage dieses Konzeptes hier beraten. Ich denke, dass der Ansatz, den die Bundesregierung wählt, auch die FDP-Fraktion wählt, unser System wirklich so rechtsstaatlich berechenbar, nachvollziehbar auszugestalten, ein guter Ansatz ist, aber wir werden die Elemente, bessere Sicherungsverwahrung mit Therapieangeboten, natürlich in jedem Fall im Konzept haben. Das geht gar nicht anders und das könnte ja ein Weg sein.

    Armbrüster: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Bundesjustizministerin. Vielen Dank für dieses Gespräch.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Bitte schön.