Samstag, 20. April 2024

Archiv

Interessenvertretung der Gymnasien
"Endlich verständliche Schulstruktur schaffen"

Eine Erklärung der Bundesdirektorenkonferenz (BDK) - die Interessenvertretung der Gymnasien in Deutschland - zeichnet ein düsteres Bild: Die Kultusministerkonferenz schafft es seit Jahrzehnten nicht, das Chaos im Bildungsföderalismus abzuschaffen. BDK-Chef Rainer Stein-Bastuck forderte im DLF ein bundesweites Zentralabitur, um Ungerechtigkeiten zu beenden.

Rainer Stein-Bastuck im Gespräch mit Benedikt Schulz | 29.09.2014
    Abitur-Klausuren werden in Stuttgart im Regierungspräsidium sortiert und für die Zweitkorrektur verteilt.
    Die Abiturprüfungen seien völlig ungerecht, wenn man die Bundesländer vergleicht, meint BDK-Chef Rainer Stein-Bastuck. (picture-alliance/ dpa / Franziska Kraufmann)
    Benedikt Schulz: "Die Kultusministerkonferenz hat versagt." Starke Worte, und sie stammen aus einer Erklärung der Bundesdirektorenkonferenz, die Interessenvertretung der Gymnasien in Deutschland. Versagt – konkret: Die Kultusministerkonferenz schafft es seit Jahrzehnten nicht, das Chaos im Bildungsföderalismus abzuschaffen. Eine Forderung ist ein alter Klassiker der Bildungspolitik, und zwar das bundesweite Zentralabitur. Rainer Stein-Bastuck ist Vorsitzender der BDK – guten Tag, Herr Stein-Bastuck!
    Rainer Stein-Bastuck: Guten Tag, Herr Schulz!
    Schulz: Ich habe mein Abitur in Nordrhein-Westfalen gemacht. Habe ich Glück gehabt, weil das in Bayern schwerer gewesen wäre?
    Stein-Bastuck: Das kann man so sagen. Wenn man sich einmal die Bedingungen, unter denen heute Abiturprüfungen in den Bundesländern abgenommen werden, genauer anschaut. Das beginnt bereits bei der Belegung der Kurse, auf dem Weg zum Abitur, geht hin zu den Abiturprüfungen als solchen, und natürlich bis hin zu den Festsetzungen der Noten.
    Verblüffende Unterschiede in den Bundesländern
    Schulz: Sie fordern ein bundesweites Zentralabitur. Wie stellen Sie sich die Umsetzung genau vor?
    Stein-Bastuck: Die Forderung hat einen direkten Hintergrund, nämlich einmal die KMK zu zwingen, diese unglaublichen und wirklich verblüffenden Unterschiede in den Bundesländern einzuebnen und vergleichbar zu machen. Und die Umsetzung konkret ist dann eine Sache, wenn man es will, ganz einfach auch der KMK. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass nach den Osterferien man drei oder vier Tage sehr wohl finden kann, ohne dass es Probleme gibt bei der Umsetzung. Aber das ist noch Zukunftsmusik.
    Schulz: Okay. Eine Prüfung für alle – eine Prüfung für alle – das klingt auf den ersten Blick natürlich nach mehr Gerechtigkeit, aber, ich sage mal, bei unterschiedlichen Voraussetzungen in den Klassenzimmern jetzt zwischen, ich sage mal, Berlin und München. Führt das dann nicht eher zu einer Ungerechtigkeit?
    Stein-Bastuck: Genau das ist ja unser Ansatz. Weil im Moment, genau jetzt, die Abiturprüfungen völlig ungerecht sind, wenn man die Bundesländer vergleicht. Die Leistungen sind nicht identisch, die Voraussetzungen sind nicht identisch. Es ist für jeden übrigens nachzuvollziehen, wenn ich eine Note, meinetwegen in Geschichte, auf einem Zeugnis sehe, im Abitur eine Note, zwölf Punkte, dass da hintendran sogar ein zweistündiges Fach nur stehen kann, und im anderen Fall, ein fünfstündiger Leistungskurs hinten dran steht, das kann der Betrachter eines Abiturzeugnisses und bei der Berechnung der Gesamtnote niemand erkennen. Also die Voraussetzungen sind unterschiedlich. Das ist eben der Ansatz, dass man eben die Voraussetzungen für alle gleich macht.
    Die Voraussetzungen sind unterschiedlich
    Schulz: Aber man muss ja trotz alledem vorher die Voraussetzungen, wie viele Lehrer es gibt, wie die Schulstruktur in einem Bundesland ist, die Voraussetzungen müssen doch zuvor gleich gemacht werden, bevor die Prüfungen vereinheitlicht werden können, oder?
    Stein-Bastuck: Davon, denke ich, hängt das Ergebnis einer Abiturprüfung nicht ab. Entscheidend ist eben ganz einfach die Umsetzung der Bildungsstandards in den Lehrplänen. Es sind die Stundenumfänge, in denen die Schüler unterrichtet werden in den Abiturprüfungsfächern, die höchst unterschiedlich geregelt sind. Das sind viel wichtigere Dinge. Also, ich sage, Vergleichbarkeit hinsichtlich der Belegverpflichtungen und Einbringung von Kursen in die Abiturprüfungen, diese Möglichkeit ist in der KMK-Richtlinie dazu mit einer Spannbreite aufgespannt, dass jedes Land im Prinzip machen kann, was es will.
    Schulz: Aber nehmen wir mal das Zentralabitur als Qualitätssicherung des Abiturs in Deutschland – so verstehe ich Sie ja.
    Stein-Bastuck: Genau.
    Schulz: Aber schaut man jetzt mal auf Länder, die das Zentral-Abi bereits landesweit haben, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen. Es ist auffällig, dass in den Prüfungen dort der Anteil von abfragbarem Wissen relativ hoch ist. Bleibt da nicht das Abitur als Nachweis von Argumentations- und Kritikfähigkeit, nenne ich das mal, bleibt das nicht eher auf der Strecke?
    Stein-Bastuck: Nun, Sie brauchen beides. Und das ist ja auch der Grund, warum wir sagen – ich gehöre übrigens zu dem Land, nämlich mit dem Saarland, mit der längsten Erfahrung im Zentralabitur nach dem Zweiten Weltkrieg – wie man diese Aufgabenstellungen auch formuliert. Ich sage auch immer, Sie können Kompetenzen abfragen, aber Kompetenzen ohne Wissen gibt es nicht. Sie müssen auch einen Wissensanteil haben, und den muss man auch einmal in einem Kanon festlegen.
    Wissenschaftsstandort Deutschland ist gefährdet
    Schulz: Sie kritisieren jetzt nicht nur die Ungleichheiten im Abitur, sondern ja auch unterschiedliche Regelungen beim Übergang von Grundschule zu Gymnasium, beispielsweise. Allgemein gefragt: Hat denn der Bildungsföderalismus in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft, oder gehört der nicht schon längst abgeschafft?
    Stein-Bastuck: Also, in der Form, wie er jetzt existiert, sehe ich den Standort, nämlich den Standort als Wissenschaftsstandort und Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet. Weil, wenn Sie sich anschauen, wie die Bedingungen sind nicht nur für den Übergang, sondern auch die Organisation, so gibt es ja auch Bundesländer wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, wo die Schüler noch in eine sechsjährige Grundschule gehen. Und dann stellen Sie sich mal einen Schulwechsel nach der Klasse sieben etwa nach Sachsen, Bayern oder ins Saarland vor – für Eltern nicht machbar. Das sind die Dinge, und hier ist dringend, dringend die Forderung der BDK, einmal anzugehen, dass wir schlicht und einfach in den Grundstrukturen eine übereinstimmende und für die Bürgerinnen und Bürger verständliche Schulstruktur schaffen in Deutschland. Und das hat die BDK ja auch gefordert in ihrer Berliner Erklärung von 2010. Wir fordern ein achtjähriges Gymnasium und daneben eine zweite Säule, die auch eine vergleichbare Struktur hat. Kein Zwei-Säulen-Modell, sondern eine zweite, vergleichbare Säule. Denn schauen Sie: Wenn Sie in Deutschland in eine Sekundarschule gehen und gehen in ein anderes Bundesland, sagen, da gibt es auch eine Sekundarschule, dann ist diese Struktur völlig unterschiedlich, und noch nicht einmal beim gleichen Namen können Sie in diese Schule wechseln.
    Schulz: Sagt Rainer Stein-Bastuck. Er ist Vorsitzender der Bundesdirektorenkonferenz. Vielen Dank für das Gespräch!
    Stein-Bastuck: Ja, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.