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Interkulturelle Luft schnuppern

In Essen werden mehr als 5.000 Unternehmen von Migranten geführt: Handwerks- und Imbissbetriebe, Übersetzerbüros, Anwaltskanzleien. Der Verein "Interkulturelle Unternehmer- und Akademiker" fördert den Austausch zwischen ihnen und vermittelt Kontakte.

Von Andrea Groß | 16.11.2010
    Ein Abend in einem Restaurant in Essen. Etwa 20 Personen sitzen an zusammen gerückten Tischen und reden miteinander über Gott und die Welt. Einer von ihnen ist Christian Jäger:

    "Wir unterhalten uns über alles Mögliche, sogar über Weltanschauliches. Und ich mag es vor allen Dingen, dass man hier frei von Weltanschauung und Religion miteinander ins Gespräch kommt, andere Kulturen kennen lernt und vor allen Dingen die Gemeinsamkeiten erkennt. Wir sind, finde ich, ein kleiner Prototyp dessen, was man sich gerne wünschen möchte, für die deutsche Zukunft."

    Christian Jäger ist eines von drei deutschen Mitgliedern des Interkulturellen Unternehmer- und Akademikervereins. Seine koreanische Lebenspartnerin hat ihn mitgenommen zu einem der regelmäßigen Treffen. Und er war begeistert von der Atmosphäre von gegenseitigem Respekt, Anteilnahme und Toleranz, die in der Runde gelebt wird. An diesem Abend sind außerdem dabei: mehrere türkischstämmige Männer und Frauen, ein Venezolaner, eine Marokkanerin, ein Pole.

    Angefangen hatte alles vor fast fünf Jahren, als eine Hand voll türkischer Hochschulabsolventen aus Essen beschloss, ihr bisheriges studentisches Netzwerk nicht nur beizubehalten, sondern noch auszubauen. Einer von ihnen war der heutige Vorsitzende Erdal Osmancelebioglu:

    "Einer der Hauptgedanken war, theoretisches Wissen von Akademikern mit praktischem Wissen von Unternehmern zusammen zu führen. Deswegen Unternehmer- und Akademikerverein. Und interkulturelle Unternehmer und Akademiker - also Menschen mit Migrationshintergrund - haben bestimmte Stärken, die andere Menschen, wie wir glauben, nicht so sehr haben. Also sie haben sehr viele Stärken, die man ausnützen sollte, und in diesem Verein nützen wir diese Stärken aus."

    Ausnutzen, so der selbstständige Bauingenieur, ist dabei keinesfalls zu verwechseln mit missbrauchen. Es ist eher üblich, Sprachkenntnisse und persönliche Tipps anzubieten, als sie einzufordern. 45 zahlende Mitglieder hat der Verein inzwischen. Ärzte sind dabei, Rechtsanwälte, Ingenieure und Kaufleute aus allen Branchen.

    Die monatlichen Treffen finden nicht immer in Restaurants statt. Manchmal steht auch eine Betriebsbesichtigung auf dem Programm. Das muss nicht der Betrieb eines Mitglieds sein, so wie alle Treffen immer auch für Gäste offen sind. Das zentrale Anliegen des Vereins ist es, neue Kontakte und neue Ideen zu vermitteln. Nebenbei wird, so Erdal Osmacelebioglu, regelrechte Standortentwicklung betrieben:

    "Wir wünschen uns, dass sich die wirtschaftliche Situation hier in Essen noch viel verbessert. Und deshalb veranstalten wir fast jedes Jahr Reisen mit der Wirtschaftsförderung zusammen, wo wir für diese Stadt, für diese Region in der Türkei werben."

    Mit der Botschaft, dass das Ruhrgebiet ein gutes Pflaster für Unternehmer mit Migrationshintergrund ist, sollen Brücken für türkische Investoren gebaut werden. Beruflicher Erfolg ist allerdings keine Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Interkulturellen Unternehmer- und Akademikerverein. Ahmet Denizer ist 39 Jahre alt, Bauingenieur und ebenfalls Gründungsmitglied. Er war leitender Angestellter einer Firma, die verkauft wurde. Denizer musste gehen. Der Verein hat ihm geholfen, zwei schwierige Jahre zu überstehen:

    "Da war halt der Verein da, wo ich sagen konnte: bisschen andere Luft schnuppern auch mal, die anderen Leute hören, was die beruflich machen, vielleicht auch mal in eine andere Richtung gehen. Dass man solche Gespräche geführt hat, auch mal andere Ansichten gehört hat. Das war für mich auch so eine positive Richtung."

    Den neuen Job hat Ahmet Denizer dann allerdings ganz alleine gefunden.

    Die Integrationsdebatte vor einigen Wochen hat die Vereinsmitglieder vor allem deshalb getroffen, weil sie von einem SPD-Mitglied losgetreten wurde. Einer Partei, der viele von ihnen nahe stehen. Darüber haben sie bei einem ihrer Treffen gesprochen. Inhaltlich - da kann Mitglied Christian Jäger sich ein leicht überhebliches Lächeln nicht verkneifen - hätte keiner von ihnen dazu etwas zu sagen gehabt:

    "Man könnte sagen, vom Niveau her stehen wir da weit, weit drüber. Das betrifft uns eigentlich wirklich nicht."