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Internationale Bachakademie
Musikfest zwischen Passion und Bach.Lab

Vor vier Jahren wurde Hans-Christoph Rademann künstlerischer Leiter beim Musikfest der Internationalen Bachakademie in Stuttgart. Seitdem arbeitet er an einem historisch informierten und eigenen Bach-Klang.

Von Ines Stricker | 11.09.2017
    Ein seltenes Manuskript des Komponisten Johann Sebastian Bach (1685-1750) - hier zu sehen in der Niederlassung des Auktionshauses Christie's in Hamburg. Das Werk soll am 13. Juli in London mit einem Schätzwert von 1,9 bis 2,5 Millionen Euro versteigert werden.
    Wie kann Bach heute klingen? (picture alliance / dpa)
    Händel: "Belshazzar"
    Musikalisch triumphal, mit dem Sturz des babylonischen Tyrannen Belsazar, endete das Musikfest Stuttgart im Beethovensaal der Liederhalle. Hans-Christoph Rademann leitete die Gaechinger Cantorey in Händels dramatischem Oratorium.
    Der Abend war für ihn auch ein persönlicher Triumph. Mit seiner Gaechinger Cantorey und hervorragenden Solisten führte er in dem bejubelten Abschlusskonzert geradezu idealtypisch das lichte und bewegliche neue Klangideal der Internationalen Bachakademie vor, mit schlanker Stimmgebung und auf historischen Instrumenten. Auch die nächste Musikergeneration wird nun in diesem Sinn ausgebildet und in das Musikfest integriert, so Hans-Christoph Rademann.
    "Wir wollen unsere Anschauungen von Musik, die wir entwickelt haben in vielen Jahren Erfahrung, an die jungen Musiker weitergeben und vielleicht ihnen das Gefühl vermitteln, dass, was hier in Stuttgart gemacht wird, ihnen so ein gewisser Leitfaden sein kann auf ihrem Weg als Musiker."
    Bach: Johannespassion
    Anstrengend, aber fruchtbar
    Das jedes Mal neu gebildete Junge Stuttgarter Bach Ensemble – kurz JSB Ensemble, in Anlehnung an Johann Sebastian Bach – trat in verschiedenen Konzerten beim Musikfest zusammen mit Solisten aus den Gesangsmeisterkursen der Musikfest-Akademie auf; unter anderem unter Leitung von Hans-Christoph Rademann in Bachs Johannespassion mit ihrer zentralen Aussage, dass der Glaube die Menschen innerlich frei macht. Zuvor wurden die jungen Musikerinnen und Musiker von Spezialisten der historisch informierten Musizierpraxis in die Feinheiten barocker Interpretation eingewiesen – eine anstrengende, aber fruchtbare Arbeit, fanden etwa der argentinische Chorsänger Juan Manuel Vizan und die ungarische Geigerin Julia Magyar, die wie die anderen Kursteilnehmer auch auf einem modernen Instrument spielte.
    "Je näher man der Sprache kommt, desto besser versteht man die Musik. In Argentinien ist es nicht so üblich, auf diese Art an Musik heranzugehen."
    "Die Herausforderung ist, dass die Sänger halt oft sehr fein singen, es ist schwierig, dass wir mit diesen starken Instrumenten trotzdem diese Klangwelt von den Barockinstrumenten erreichen."
    Bach: Kantate "Wie müssen durch viel Trübsal"
    Auch in der beim Musikfest zentralen Reihe "Sichten auf Bach" in der Stuttgarter Stiftskirche war das JSB-Ensemble zu hören. Dazu hatte Hans-Christoph Rademann Helmuth Rilling als Dirigenten eingeladen, den Gründer und langjährigen ehemaligen Leiter der Internationalen Bachakademie. Zwar war der Stil des mittlerweile 84-jährigen Rilling nie historisch informiert, er dirigierte auch diesmal weniger motorisch und mit flächigerer Klanggebung. Aber das Verhältnis zwischen ihm und dem neuen Künstlerischen Leiter ist von gegenseitiger Achtung geprägt.
    "Ich habe ja nun lange Zeit mit der Bachakademie und in der Bachakademie gearbeitet, und die Arbeit dort wird in einer sehr sinnvollen Weise weitergeführt; ich seh‘ da eigentlich grundsätzlich keinen Unterschied. Die jungen Leute, die kommen, wollen gut musizieren und wollen stilistisch richtig liegen. Das ist das Wichtigste."
    Freiheit auch in musikalischer Hinsicht
    Zum Bach-Programm kamen beim Musikfest, Stichwort Freiheit, auch neue Impulse, sowohl in Sachen Musik wie auch in Sachen Location. Henning Bey, seit 2015 Chefdramaturg der Internationalen Bachakademie, hatte die Idee, erstmals auch das ehemalige Industrieareal Wizemann zu bespielen, sonst eher ein Klubtreff. Hier, in dem großen Saal unter leicht angerosteten Scheinwerferschienen, spielten zwei sehr gegensätzliche Ensembles: das Freiburger Barock Consort und das ensemble recherche, das auf Zeitgenössisches spezialisiert ist. Gemeinsamer Ausgangspunkt: "In nomine"-Melodien aus der lateinischen Messe, die im 17. Jahrhundert oft in einem freien Stil, dem stylus phantasticus interpretiert wurden, so Henning Bey.
    "Das gibt es dadurch, dass das ensemble recherche der Auftraggeber einer, sag ich mal, Loseblatt-Sammlung ist, die sich ständig erweitert, mit ‚In nomine broken consort book‘ heißt es, wo also moderne Komponisten über dieses ‚In nomine‘-Thema Werke für recherche geschrieben haben und auch noch immer schreiben, und da das Freiburger Barock Consort dann anzuspannen und zu sagen: Und ihr spielt bitte dann Musik aus dem 17. Jahrhundert, In-nomine-Sachen oder auch Purcell-Stücke, das befruchtet sich hervorragend, das passt ganz genau zusammen."
    Emilio Pomárico: Fantasia über "In nomine" 2001
    Eine mehrjährige Tradition beim Musikfest der Internationalen Bachakademie hat das BACH.LAB, die experimentelle Schiene, bei der Bachs Musik auf nicht-klassische Weise interpretiert wird. Am vergangenen Samstagabend beispielsweise kam das junge Luxemburger Jazztrio Dock in absolute direkt von seiner Japan-Tournee ins Stuttgarter Theaterhaus. Im Reisegepäck hatten der klassisch ausgebildete Pianist Jean-Philippe Koch und seine Kollegen an Bass und Schlagzeug neben eigenen Stücken auch Bachs Italienisches Konzert in einer eigenen Bearbeitung.
    "Ich habe da Abschnitte genommen und die verarbeitet, das heißt, die Melodie zuerst, und dann habe ich da damit ein Arrangement gemacht mit Akkorden, das heißt, Bass folgt eigentlich auch ein bisschen auf das Klavier, wie es in der Originalversion ist. Es ist eine Mischung von geschriebenen Melodien von Bach mit Improvisation mit Klavier, Drums und Bass."
    Bach/Dock in absolute: Italienisches Konzert
    Mit ihrem breitgefächerten Ansatz rund um die Markenkerne Johann Sebastian Bach und Gaechinger Cantorey entfaltet das Musikfest der Internationalen Bachakademie Stuttgart eine hohe künstlerische Strahlkraft. Hans-Christoph Rademanns Plan, in Stuttgart ein eigenes Zentrum der Bach-Pflege zu etablieren, könnte aufgehen.