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Internationale Presseschau
"Eines NATO-Mitglieds nicht würdig"

Die Zeitungen im Ausland kommentieren den Kampf um Kobane - dabei gibt es einige Kritik am türkischen Präsidenten Erdogan. Aber auch die Entführung und mögliche Ermordung von Studenten in Mexiko spielt eine Rolle für ein Blatt aus dem Land steht Mexikos Justizsystem am Pranger.

09.10.2014
    Eine Auswahl von nationalen und internationalen Zeitungen
    Die internationale Presseschau - im Deutschlandfunk (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    In den Kommentaren der ausländischen Zeitungen geht es um die Entführung und mögliche Ermordung zahlreicher Studenten in Mexiko, um den Kampf gegen Ebola und die Probleme der Bundeswehr. Im Mittelpunkt steht aber der Kampf um die syrische Stadt Kobane. Die NEW YORK TIMES kritisiert, dass die Türkei dem Vormarsch der Terrormiliz "Islamischer Staat" nichts entgegensetzt:
    "Präsident Erdogan strebte einmal nach einer Führungsrolle in der muslimischen Welt. In der aktuellen Krise ist er jedoch alles andere als ein Anführer. Türkische Soldaten und Panzer stehen hinter Stacheldrahtzäunen an der Grenze, während wenige hundert Meter entfernt die Stadt Kobane von Islamisten belagert wird. Mit dieser Passivität versucht Erdogan zum einen, die Kurden zu schwächen. Zum anderen will er die USA dazu zwingen, ihm im Kampf gegen den syrischen Präsidenten Assad beizustehen. Erdogans Verhalten ist eines NATO-Mitglieds nicht würdig",
    kommentiert die NEW YORK TIMES.
    EL PAIS aus der spanischen Hauptstadt Madrid warnt:
    "Fällt die Stadt Kobane in die Hände der Terrormiliz 'Islamischer Staat', gefährdet das nicht nur die Sicherheit in der Region. Es käme auch zu einer Krise in den amerikanisch-türkischen Beziehungen. Washington betrachtet die Passivität Ankaras als Mangel an Loyalität. Zudem gefährdet sie den Zusammenhalt der Allianz gegen den Dschihadismus. Präsident Erdogans Haltung ist deshalb falsch. Das Risiko, dass an der Grenze seines Landes ein totalitäres Kalifat entsteht, sollte schwerer wiegen als politische Manöver und Erdogans persönliche Ambitionen",
    schreibt EL PAIS aus Madrid.
    Die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA verteidigt Erdogans Vorgehen:
    „Es ist leicht, Türken in den Krieg gegen das Kalifat zu schicken, während man selbst hinter dem Schreibtisch in Washington, London oder Warschau sitzt. Der Westen, der der Türkei Gleichgültigkeit vorwirft, hat drei Jahre lang zugesehen, wie der syrische Diktator Assad sein Land in einem blutigen Bürgerkrieg versinken ließ und die Dämonen des religiösen Extremismus weckte, aus dem der Islamische Staat entstand. Die Türkei hat in dieser Zeit 1,5 Millionen Syrer bei sich aufgenommen - unter ihnen in den vergangenen Wochen alleine 180.000 Flüchtlinge aus Kobane",
    erinnert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.
    Auch die britische Zeitung GUARDIAN zeigt Verständnis für die Türkei:
    "Die Regierung in Ankara steht im syrischen Bürgerkrieg seit 2011 auf der Seite der Gegner von Präsident Assad. Sie hatte gehofft, dass die USA die Rebellen mit schweren Waffen ausrüsten würde, doch Washington weigerte sich. Auch Luftangriffe gegen das Regime blieben nach dem Einsatz von Giftgas aus. Die türkische Regierung ist deshalb misstrauisch geworden. Erdogan will sicherstellen, dass die Entscheidungen, die er trifft, ihm und der Türkei politisch nutzen. In Anbetracht des humanitären Desasters in Kobane mag das hartherzig wirken. Aber Erdogan verhält sich nicht anders als die politischen Akteure in Damaskus, Teheran, Riad oder Abu Dhabi",
    findet der GUARDIAN aus London.
    Verständliche Wut
    "Ein Bodeneinsatz in Syrien wäre ein jahrelang währender Wahnsinn",
    warnt die Zeitung HÜRRIYET aus der türkischen Metropole Istanbul.
    "Denn die gemäßigte Freie Syrische Armee verliert immer mehr an Einfluss, und die übrige Opposition besteht aus Gruppen, die sich von der Terrormiliz IS wenig unterscheiden. Sie würden sich für den Fall eines Einsatzes türkischer Bodentruppen mit dem IS verbünden."
    Angesichts der Lage in Kobane haben Kurden in der Türkei für den Schutz der kurdisch geprägten Stadt demonstriert. Mehrere Menschen kamen bei Ausschreitungen ums Leben. Dazu schreibt die Zeitung YENI ASIR aus Izmir:
    "Es ist verständlich, dass die Kurden wütend sind. Aber alle sollten in dieser schwierigen Situation Ruhe bewahren. Die Proteste gegen den IS als Deckmantel für Vandalismus zu benutzen, ist inakzeptabel. Was beabsichtigen die Kurden mit der Gewalt auf der Straße? Einen Bürgerkrieg in der Türkei anzuzetteln? Das ist ein schmutziges Spiel. Die Türkei sollte nicht in diese Falle hineintappen und Geduld zeigen. Und am Friedensprozess mit den Kurden festhalten",
    fordert die türkische Zeitung YENI ASIR.
    Justizbehörden am Pranger
    Damit nach Mexiko, wo vor einigen Tagen 43 Studenten entführt wurden. Dazu schreibt die Zeitung LA JORNADA aus Mexiko-Stadt:
    "Vermutlich wurden die Studenten in Iguala durch Polizisten und Mitglieder des organisierten Verbrechens ermordet. Das hat zu Recht einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, bedenkt man das umfassende Versagen der zuständigen Behörden. Noch immer fehlen entscheidende Informationen unter anderem zu den Motiven für das Verbrechen und zu seinem Ablauf. Immerhin liegen Beweise dafür vor, dass einige der Opfer in Dienstfahrzeugen verschleppt wurden. Jetzt muss auf allen Ebenen reagiert werden - um das Vertrauen der Angehörigen in den Rechtsstaat wiederherzustellen, aber auch, weil unser Land und seine Justiz- und Ermittlungsbehörden jetzt international am Pranger stehen."
    Das war LA JORNADA aus Mexiko.
    In der Zeitung EL ESPECTADOR aus Kolumbien ist zu lesen:
    "Der Vorfall ist so ernst, dass Staatspräsident Enrique Peña Nieto die Bundespolizei ausgeschickt hat, die bereits 22 Polizisten festgenommen hat. Ein solches Durchgreifen von oben hat sich in der Vergangenheit im Kampf gegen das organisierte Verbrechen und die Drogenmafia mehrfach bewährt, aber der Bundesstaat Guerrero genoss hierbei bislang keine Priorität. Es ist eine arme Region mit großen sozialen Problemen, und das mag vielleicht erklären, wie es zu dieser verhängnisvollen Allianz zwischen lokalen Politikern und Drogenkartellen kommen konnte",
    analysiert EL ESPECTADOR aus Bogotà.
    Um die Ebola-Epidemie geht es in einem Leitartikel der WASHINGTON POST. Grund ist eine Anweisung der Regierung, Flugpassagiere aus Ebola-Gebieten vor der Einreise in die USA ab sofort schärfer zu kontrollieren.
    "Ebola kann nicht bekämpft werden, indem sich die USA abriegeln",
    titel die WASHINGTON POST.
    "Das Gezeter mancher Republikaner, die Vereinigten Staaten müssten ihre Grenzen für Menschen aus Westafrika schließen, ist fehl am Platz. Der einzige Weg, Ebola zu stoppen, ist Betroffene zu finden, Kontaktpersonen auszumachen und die Erkrankten zu isolieren. Dies muss vor allem in Liberia, Sierra Leone und Guinea passieren, wo die Epidemie ausgebrochen ist. Dort muss Ebola bekämpft werden - nicht an den Grenzen der USA. Niemandem ist damit gedient, wenn ein gesundheitlicher Notstand zu politischer Effekthascherei missbraucht wird",
    unterstreicht die WASHINGTON POST.
    Stark verbesserungswürdig
    Kommen wir zum Schluss noch zu einem deutschen Thema: den Problemen bei der Bundeswehr. Der österreichische STANDARD kommentiert:
    "Neun Monate ist Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Amt, und nun hat sie von Wirtschaftsprüfern schwarz auf weiß bescheinigt bekommen, was man ohnehin ahnte: Das Rüstungsmanagement des Ministeriums ist stark verbesserungswürdig. Das kann man von der Leyen nicht anlasten, schließlich haben sich diese Missstände über Jahre aufgebaut. Aber sie sind jetzt das Problem der Ministerin, die doch so gerne den Eindruck erweckt, es gäbe gar keine Probleme, sondern nur Herausforderungen. Vor von der Leyen liegt eine Herkulesaufgabe. Nicht mehr Kindergärten in Kasernen oder wohnlichere Stuben für die Soldaten werden am Schluss ausschlaggebend sein. Ob Super-Uschi tatsächlich eines Tages Kanzlerin Angela Merkel beerben kann, hängt davon ab, ob sie jetzt die Beschaffungspolitik in ihrem Haus in den Griff bekommt",
    betont DER STANDARD aus Wien.
    Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG findet dagegen, der Streit um Pannen und Mängel der Bundeswehr sei eine Pseudodebatte, denn:
    "Es gibt keinen Hinweis, dass ausgerechnet jetzt ihre Einsatzfähigkeit ernsthaft gefährdet ist. Unklar ist hingegen, für welche Zwecke die Bundeswehr ihr teures Großgerät einsetzen soll. Statt an möglichst vielen Orten ziemlich wenig zu tun, wäre es vermutlich sinnvoll, sich auf einige Einsätze zu konzentrieren. So ist es kaum plausibel, warum Berlin zwar Waffen an die Kurden liefert, sich aber an den Luftangriffen nicht beteiligt. Wichtiger, als die Löcher in Eurofighter-Jets zu zählen, wäre die Debatte, ob die Bundeswehr wieder auf die Stufe robuster Entwicklungshilfe zurückfallen soll."