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Internationale Syrienpolitik
"Es gibt wirklich im Moment einen zerfallenden Staat"

Dass militärisches Einwirken von außen nicht automatisch zu Frieden und Stabilität in einem Land führe, habe man bereits in Afghanistan und im Irak gesehen, sagte der Politologe Jochen Hippler im Deutschlandfunk. Aber auch diplomatische Mittel seien im Falle Syriens nicht geeignet, um eine Basisordnung im Land wieder herzustellen. "Es gibt keine verhandlungsfähige Opposition."

Jochen Hippler im Gespräch mit Gerd Breker | 19.11.2015
    Der Politikwissenschaftler Jochen Hippler
    Der Politikwissenschaftler Jochen Hippler (dpa / Alina Novopashina)
    Gerd Breker: Wenn der Schrecken für positive Bewegung sorgt - 224 russische Menschen sterben bei einem Bombenanschlag auf ein Flugzeug, 129 Menschen sterben bei Anschlägen in Paris, in beiden Fällen rühmt sich der Islamische Staat, der Urheber der feigen Morde zu sein. Frankreich und Russland verstärken daraufhin ihre Luftangriffe auf Stellungen des IS in Syrien und Präsident Putin nennt die Franzosen Verbündete. Russland brachte gestern im UN-Sicherheitsrat einen überarbeiteten Resolutionsentwurf für den Kampf gegen den IS ein.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Jochen Hippler, Politologe und Friedensforscher an der Universität Duisburg. Guten Tag, Herr Hippler!
    Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Breker.
    Breker: Inzwischen gibt es ja so was wie eine enge militärische Abstimmung zwischen Frankreich und Russland. Putin hat die Franzosen Verbündete genannt. Das betrifft die Sachen der Luftangriffe in Syrien. Wie weit ist denn der Weg zu einer diplomatischen Zusammenarbeit, zu einer diplomatischen Abstimmung?
    Hippler: Die Abstimmung zwischen den beiden hat begonnen. Es gibt Hinweise darauf, dass hier auch die neuen russischen Texte in den neuen französischen Antrag eingearbeitet werden sollen, teilweise, soweit man eine Übereinstimmung treffen kann. Und, was noch wichtiger ist: Es gibt eine Abstimmung im multilateralen Rahmen - denken Sie an die Konferenz in Wien, wo eben nicht nur Russland und Frankreich, sondern auch noch die USA, andere Länder einschließlich Iran und Saudi-Arabien zusammengesessen haben. Das ist auf der politischen Ebene sicher die entscheidende Ebene im Moment.
    Breker: Die Amerikaner sind derweil noch außen vor. Sie stören sich vor allen Dingen an Präsident Assad. Macht das denn Sinn, Assad als Hindernis für eine diplomatische Lösung zu benutzen?
    Hippler: Das Tragische im Moment, bezogen auf Syrien, ist, dass beide Positionen in gewissem Sinne Sinn ergeben, aber beide nicht funktionieren. Eine politische Lösung in Syrien mit Assad ist sehr schwer vorzustellen, weil der größte Teil der Gesellschaft gegen ihn kämpft, aufsteht, oder ein sehr großer zumindest. Und umgekehrt ist die Forderung nach einem Rücktritt von Assad als Voraussetzung etwas anderes und relativ absurd, weil man nicht angeben kann, wer eigentlich an die Stelle treten kann. Die Opposition ist ja so zersplittert, nicht nur zwischen IS und den anderen Aufständischen, nicht nur zwischen Kurden und Arabern, nicht nur zwischen verschiedenen islamischen, islamistischen Strömungen und so weiter. Das heißt, da ist im Moment nicht erkennbar, wer eigentlich an die Stelle von Assad treten sollte, und deshalb ist seinen Rücktritt zu fordern nicht falsch, weil es ist nun halt auch ein Verbrecher, aber nicht wirklich zukunftsweisend.
    "Man kann aber auch mit militärischen Mitteln relativ wenig machen"
    Breker: Man muss sich ja vor Augen halten, Herr Hippler, dass Syrien gar nicht mehr das Land ist, der Staat ist, den wir vor dem Bürgerkrieg kannten. Es sind unterschiedliche Gebiete. Sie haben die Kurden erwähnt, Sie haben die Rebellen erwähnt, Assad und seine Truppen, den IS, es sind Truppen aus dem Ausland da. Wie kann das überhaupt gehen zu einer diplomatischen Lösung?
    Hippler: Das ist das Problem. Der syrische Staat existiert als eigentlicher Staat nicht. Es ist ein gescheiterter Staat inzwischen. Und das führt dann dazu, dass im Lande die Voraussetzungen für eine Friedenslösung überhaupt nicht existieren. Solange in dieser syrischen Gesellschaft nicht ein Grundkonsens, eine Bereitschaft zum Friedensschluss da ist, kann man von außen auch wenig unterstützen, um so einen Friedensschluss zu haben. Das heißt, wir sind tatsächlich in einer Situation, in der wir wichtige Grundvoraussetzungen für den Frieden nicht haben. Es gibt keine verhandlungsfähige Opposition, weil sie so zersplittert und verfeindet ist. Es gibt keine glaubwürdige Regierung. Es gibt wirklich im Moment einen zerfallenden Staat und da kann man von außen tatsächlich durch diplomatische Mittel relativ wenig machen. Man kann aber auch mit militärischen Mitteln relativ wenig machen, weil man sonst nur eine Miliz mehr wäre in dem Konflikt. Das hat man ja in Afghanistan und im Irak gesehen, dass nur durch militärische Mittel nicht unbedingt Frieden und Stabilität erzeugt werden konnte.
    Breker: Nun hören wir hier im Westen im Lichte der Terrorgefahr, die vom IS ausgeht, man müsse den IS militärisch besiegen. Luftangriffe gibt es schon. Würden denn Bodentruppen gegen den IS etwas ausrichten können, die den IS besiegen? Wer spricht denn überhaupt in Syrien für die Sunniten?
    Hippler: Das Problem ist tatsächlich, dass der IS nicht so stark geworden ist, weil er militärisch so ein großer Faktor wäre. Es sind ja immer noch kaum mehr als 30.000 Kämpfer unter Waffen für zwei Länder. Das ist nicht so unglaublich überwältigend. Sondern der IS ist deswegen so eine wichtige Macht geworden, weil er in ein politisches Vakuum reinstoßen konnte, weil die Regierung sowohl im Irak als auch in Syrien von großen Teilen der Bevölkerung und besonders auch von den arabischen Sunniten nicht akzeptiert wird. Das heißt, wenn es gelingen sollte, in den beiden Ländern halbwegs legitime Regierungssysteme zu haben, die auch von Sunniten akzeptiert werden können, dann wären militärische Schläge, dann wäre ein militärisches Zurückdrängen in der Luft oder auch gerade am Boden durchaus erfolgsversprechend. Solange aber diese Voraussetzung nicht besteht, dass die beiden Regierungen nicht akzeptiert werden können, mit relativ guten Gründen in beiden Staaten durch die Sunniten, solange scheinen mir Luftangriffe zwar Zeit zu gewinnen, aber ich sehe da nicht, wie die Zeit genutzt würde. Da scheint mir eher das Problem tatsächlich das Politische zu sein.
    Breker: Herr Hippler, bei uns heißt es häufiger, dass der IS deshalb Terror nach Europa bringt, weil er militärisch im Irak und in Syrien in Bedrängnis geraten ist. Teilen Sie diese Einschätzung?
    Mit Anschlägen in Europa wolle der IS auch weitere Freiwillige gewinnen
    Hippler: Nur mit Abstrichen. Tatsächlich gibt es ein paar Frontabschnitte, in Sindschar zum Beispiel im Nordwesten des Irak, wo sie Positionen verloren haben, wo sie Rückschläge einstecken mussten, aber das ist für diese Art von Krieg, die nicht so konventionelle Kriege sind wie der Erste Weltkrieg oder der Zweite Weltkrieg, das ist nicht wirklich zentral. Teilweise geht es jetzt dem IS darum, den intervenierenden Mächten, Frankreich, den USA, anderen, einfach Kosten zuzufügen und zu zeigen, dass dieser Einsatz nicht zum Nulltarif zu haben ist, und teilweise sind solche Anschläge auch wichtig, um in Europa und in Nordafrika weitere freiwillige Kämpfer zu gewinnen. Das ist so eine Art dramatische, brutale PR-Operation. Denken Sie daran, dass ein Drittel bis die Hälfte der IS-Kämpfer inzwischen Ausländer sind und eben nicht aus dem Irak stammen, und diese ausländischen Kämpfer zu motivieren, dafür sind solche Anschläge tatsächlich häufig stimulierend.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Jochen Hippler. Er ist Politologe und Friedensforscher an der Universität Duisburg. Herr Hippler, ich danke für dieses Gespräch.
    Hippler: Sehr gern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.