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Internationaler Strafgerichtshof in der Krise
"Von westlichen Bütteln kann keine Rede sein"

Russland und mehrere afrikanische Staaten wollen sich vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zurückziehen. Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin sieht die Legitimität des Gerichts dennoch nicht in Gefahr. Das Statut sei in weiten Bereichen von der UNO übernommen worden. Die Argumentation Russlands findet sie makaber.

Herta Däubler-Gmelin im Gespräch mit Jasper Barenberg | 21.11.2016
    Herta Däubler-Gmelin (SPD), ehemalige Bundesjustizministerin, in der ARD-Talkreihe Günther Jauch.
    Herta Däubler-Gmelin (SPD), ehemalige Bundesjustizministerin. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Die frühere Bundesjustizminister Herta Däubler-Gmelin hat Russland für den angekündigten Rückzug vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag kritisiert. Der Vorwurf von Präsident Wladimir Putin, dass Gericht sei ein Mittel des Westens, sei makaber, sagte die SPD-Politikerin im Deutschlandfunk. Schließlich sei die Anklägerin afrikanischer Abstammung. Die vorgetragenen Fälle würden von internationalen Richtern aus Japan, Asien, Afrika und Lateinamerika untersucht. Von westlichen Bütteln könne nicht die Rede sein, betonte sie.
    Vor Russland hatten bereits mehrere afrikanische Saaten ihren Rückzug aus Den Haag angekündigt. Sie kritisieren eine postkoloniale Voreingenommenheit gegenüber Politikern des Kontinents. Däubler-Gmelin geht dennoch davon aus, dass das Gericht seine Legitimität behält. Das Statut sei nicht nur von den weltweit 120 Mitgliedern unterschrieben worden, sondern auch in weiten Bereichen von der UNO übernommen worden. Auch der Vorwurf aus Afrika hält in ihren Augen nicht Stand.
    Der Internationale Strafgerichtshof berät derzeit auf seiner Jahrestagung über seine Zukunft. Zwar gehe es bei den bisherigen Untersuchungen hauptsächlich um Fälle aus Afrika, sagte Däubler-Gmelin. Diese Ermittlungen habe aber nicht das Gericht in Den Haag an sich gezogen, sondern sie seien von Mitgliedsstaaten an das Gericht übergeben worden.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Jasper Barenberg: Erst Südafrika, Burundi und Gambia, und jetzt auch noch Russland - dem Internationalen Strafgerichtshof laufen die Mitglieder davon. Vor allem in Afrika verliert das Gericht Unterstützung. Weitere Staaten werden dem Gericht wohl bald den Rücken kehren. Der Vorwurf: Einseitigkeit. Und tatsächlich wurden in Den Haag bisher ausschließlich Afrikaner angeklagt, während Russland das Gerichtsstatut zwar unterzeichnet, aber ohnehin nie ratifiziert hat. Jetzt erklärt Präsident Putin die Richter zu Bütteln des Westens, weil die russische Annektierung der Krim untersucht werden soll. Erleben wir, wie eine ohnehin wankende Einrichtung zu Fall gebracht wird?
    - Am Telefon ist die SPD-Politikerin und frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Schönen guten Morgen.
    Herta Däubler-Gmelin: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Frau Däubler-Gmelin, Sie waren ja die verantwortliche Ministerin, als Deutschland dem Internationalen Strafgerichtshof im Jahr 2000 beigetreten ist. Wie groß ist jetzt der Schaden aus Ihrer Sicht, wenn sich immer mehr Staaten vor allem aus Afrika zurückziehen?
    Däubler-Gmelin: Nun, Sie haben insofern ganz Recht. Ich war nicht nur die verantwortliche Ministerin und wir sind nicht nur beigetreten, sondern die Deutschen und auch ich ganz persönlich waren immer außerordentlich starke Unterstützer der Idee, dass wir einen Strafgerichtshof haben müssten, der unabhängig ist und der ganz klar sagt, es gibt so traurig-schreckliche Horror-Menschheitsverbrechen, dass dies für diejenigen, die das anordnen, also die Präsidenten und auch die anordnenden Militärs, nicht ohne persönliche Verantwortung und Folgen bleiben darf.
    Und damit sind wir natürlich jetzt schon mitten im Problem: Es sind ja nicht nur die Soldaten oder die kleineren Folterer, die sind auch schrecklich genug und das ist auch alles strafbar, sondern es sind auch die Putins dieser Welt und die Präsidenten aus Burundi und anderen Ländern, die solche Verbrechen anordnen oder geschehen lassen.
    Jetzt aber zu Ihrer Frage: Was ist damit? - Schauen Sie, die Idee eines solchen, auf die Persönlichkeit der Mächtigen und deren persönliche Verantwortlichkeit abzielenden Strafgerichtshofs, die gibt es jetzt seit Mitte der 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Damals hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz festgestellt, dass man globale Konventionen und Verträge schließen kann, die Menschenrechte beachten, die Kriegsgefangene nicht quälen und ähnliche Rotkreuz-Konventionen, dass das aber im Wesentlichen auf dem Papier steht, wenn diese persönliche Verantwortlichkeit fehlt.
    Und angesichts dieser langen Zeit wird man, glaube ich, auch wenn jetzt Herr Putin, der noch nie so richtig die Absicht hatte, sich da unterzuordnen, wenn der sagt, er macht das nicht. Zu den Afrikanern komme ich gleich. In Ihrer Ankündigung war drin, er sei ein Büttel des Westens. Das ist deswegen besonders, sagen wir mal, makaber, weil das ja dann häufig einfach unkommentiert in den Medien weitergegeben wird, obwohl wir wissen, die Anklägerin, die jetzt gerade auch an Russland dran ist, ist Afrikanerin
    Und die Fälle, die hier verfolgt werden, die ja nun einfach in Afrika geschehen sind und auch geschehen, die werden von internationalen Richtern aus Japan, Asien, Afrika, Lateinamerika untersucht. Also von westlichen Bütteln kann da keine Rede sein, sondern das ist eben das übliche Machtgehabe.
    Barenberg: Lassen Sie mich noch mal einhaken und vielleicht wenden wir den Blick gerade nach Afrika, weil da gerade einige Staaten ihren Rückzug erklärt haben und weitere ja offenbar folgen werden. Wenn ich Sie richtig verstehe, interpretieren Sie diesen Rückzug als einen Ausweis der Stärke des Gerichts und nicht als einen Ausweis der Schwäche?
    "Das Gericht wirkt"
    Däubler-Gmelin: Ich interpretiere es, dass das Gericht wirkt. Mit Stärke würde ich es nicht bezeichnen, weil wir ja zwar wissen, dass über 120 Staaten der Welt ihm beigetreten sind, also nicht nur das Römische Statut unterschrieben haben, das diese Menschheitsverbrechen in die persönliche Verantwortung der Mächtigen stellt, sondern gesagt haben, wir wollen das auf diese Weise. Aber wir haben natürlich gesehen, dass Russland nie dabei war, leider Gottes Amerika auch nicht, und Herr Trump wird es wohl auch nicht machen. Dann haben wir immer noch das Problem, dass auch China sich sehr zurückhält. Und das Problem ist, dass diese riesigen Länder meinen, sie können sich alles erlauben. Und deren Führer der Auffassung sind, das könnte man so machen.
    Und jetzt zu Afrika kommend: Da werden wir sicher noch häufiger drüber reden. Schauen Sie, wenn Sie Präsidenten haben wie Herrn Zuma, dann können Sie ganz genau feststellen, das sind offensichtlich Präsidenten, die sagen: "Was, ich in persönlicher Verantwortung? Ich kann als Präsident machen was ich will und das lasse ich mir nicht gefallen."
    Barenberg: Aber wieviel Legitimität bleibt übrig, wenn demnächst, wie viele Beobachter sagen, auch Kenia, Namibia, Uganda und die Demokratische Republik Kongo das Römische Statut verlassen beziehungsweise sich aus dem Gericht zurückziehen?
    "Legitimität bleibt auf jeden Fall"
    Däubler-Gmelin: Ja nun, die Legitimität bleibt auf jeden Fall, weil das Römische Statut ist ja nicht nur von denen, die jetzt noch Mitglieder sind, unterschrieben und gezeichnet worden, sondern in weiten Bereichen auch in die Verantwortlichkeit der UNO als Gesamtorganisation übernommen worden. Nicht nur die Generalversammlung, sondern Sie erinnern sich, auch das UNO-Gremium, das ja verbindliches Recht setzt, also der Sicherheitsrat, hat in mehreren Fällen Fälle vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht, unter anderem den des Präsidenten al-Baschir. Leider hat sich dann die UNO-Organisation nicht mehr darum gekümmert, was damit ist. Das zeigt die Schwäche der internationalen Organisation.
    Barenberg: Und zeigt es, Frau Däubler-Gmelin, auch, dass es am Ende doch eine politische Einrichtung ist, wenn der Sicherheitsrat Libyen und den Sudan als Fälle annimmt, in anderen Fällen aber, sagen wir mal Aleppo oder Gaza, nichts unternimmt? Zeigt das nicht, dass dieses Gericht am Ende doch eine politische, eine politisch gelenkte Einrichtung ist, und dass damit ein Stück der Kritik beispielsweise aus Moskau gerechtfertigt ist, es sei kein unabhängiges Organ?
    Däubler-Gmelin: Nein, gerade eben nicht! - Herr Barenberg, wenn Sie jetzt gerade das noch mal vor Ihrem Ohr vorbeiklingen lassen, was Sie gerade gesagt haben? Der UNO-Sicherheitsrat ist ein politisches Gremium.
    Barenberg: Richtig.
    Däubler-Gmelin: Und ob er es nutzen will oder nicht, ob er ein Gericht als Instrument benutzen will, das ist genau die Frage. Russland, China, die USA sind Mitglied des Sicherheitsrates und wenn die dann sagen wollen, wir wollen diesen Gerichtshof benutzen, dann wäre der Vorwurf gegen den Sicherheitsrat zu machen. Und da bin ich voll bei Ihnen. Das Gericht nicht! Einer der großen Streitpunkte mit Russland, mit Amerika und mit China ist, dass es ja eine zweite Art von UNO-Gerichtshöfen gibt. Die sind nun voll abhängig vom Sicherheitsrat. Das sind die sogenannten Tribunale. Das hatten wir für Ruanda, das hatten wir für Jugoslawien, Sie erinnern sich. Und da konnten die Mitglieder des Sicherheitsrates sagen, juristisch gesehen wollen wir dieses und was anderes wollen wir nicht. Das ist Abhängigkeit und das können Sie beim Internationalen Strafgerichtshof nicht, und das ist das, was Herrn Putin stört.
    Aber zu den Afrikanern noch mal zurückkommend. Sie haben völlig Recht: Es gibt bisher die Fälle, die hauptsächlich aus Afrika kommen. Nur muss man dazu wissen und ich bin deswegen auch sehr dankbar, dass Sie sich dieses Themas auch öffentlich annehmen, dass diese Fälle aus Mitgliedsstaaten gekommen sind. Das heißt, nicht etwa das Gericht hat die an sich gezogen, sondern die sind dem Gericht übergeben worden aus Afrika. Und wenn jetzt die Herrscher beispielsweise aus Uganda - Herr Museveni war einer dieser Fälle, der einen Fall nach Den Haag gebracht hat -, wenn die sagen, das wollen wir jetzt nicht mehr, dann zeigt das nicht eine fehlende Legitimität des Gerichts, sondern das zeigt, dass diese Herren eben wieder hinter den Standard zurückfallen, den wir schon mal hatten.
    "Idee des Völkerrechts zurzeit in einer schwächelnden Phase"
    Das heißt, die allgemeine Idee des Völkerrechts ist zurzeit wieder in einer schwächelnden Phase. Allerdings bin ich da nicht so pessimistisch. Diese Herren werden auch - die Herren selber nicht, aber ihre Länder, die jungen Leute dort, die Richterinnen und Richter dort, die werden diese Idee nicht vergessen, sondern auch aufgreifen. Zumal ich komme gerade aus dem Sudan: Wissen Sie, dieses Gerede, wir machen das lieber selber, wir schaffen einen afrikanischen Gerichtshof, und deswegen sagen die ja, es sei keine Rede davon, dass sie jetzt plötzlich Völkermord, Menschheitsverbrechen, Kriegsverbrechen, die ja dazugehören, dass sie diese Verbrechen gutheißen. Aber diesen afrikanischen Gerichtshof schaffen sie halt nicht und das zeigt, worum es wirklich geht: Es geht um Macht, um Macht dieser Herren. Das ist traurig, ändert aber an der Legitimität des Internationalen Strafgerichtshofs nichts.
    Barenberg: ... sagt die SPD-Politikerin und frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Däubler-Gmelin: Danke sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.