Freitag, 19. April 2024

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Internet-Kinderpornografie
"Wir suchen nur das, was uns interessiert"

Gegen den inzwischen zurückgetretenen Bundesvorsitzenden der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, Georg Hupfauer, wird wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie ermittelt. Er selbst hat bereits eingeräumt, im Internet danach gesucht zu haben. Zufallsfunde gebe es online nicht mehr, sagte der Sexualpsychologe Christoph J. Ahlers im Deutschlandfunk.

06.03.2014
    Friedbert Meurer: Der Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, Georg Hupfauer, hat gestern seinen Rücktritt erklärt. Der Grund: Die Staatsanwaltschaft Aachen ermittelt gegen Hupfauer wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie. Er habe auf Internet-Seiten mit Kinderpornografie gesurft, ließ der katholische Verbandsvertreter wissen. Details sind noch nicht bekannt. Aber damit sind es alleine in Deutschland jetzt schon zwei vergleichsweise prominente Fälle.
    Christoph Josef Ahlers ist klinischer Sexualpsychologe in Berlin. Er leitet dort die Praxis für Paarberatung und Sexualtherapie am Institut für Sexualpsychologie. Guten Morgen, Herr Ahlers.
    Christoph J. Ahlers: Guten Morgen.
    Meurer: Wie verbreitet ist unter uns Männern die Neigung, sich Nacktbilder von Kindern anzuschauen oder sogar mehr tun zu wollen?
    Ahlers: Darüber haben wir keine wissenschaftlich fundierten Zahlen. Wir wissen nur näherungsweise, um wie viele Personen es sich handelt bei der Frage, ist jemand pädophil, also sexuell auf den vorpubertären Kinderkörper ansprechbar. Da müssen wir davon ausgehen, dass plus/minus ein Prozent der männlichen Gesamtbevölkerung von dieser Sexualpräferenz betroffen ist. Und wie viele Personen darüber hinaus Bildinhalte im Internet konsumieren, bei denen Kinder in sexueller Art und Weise dargestellt werden, darüber sind keine absoluten Zahlen verfügbar.
    Meurer: Also man kann nicht so weit gehen, da gibt es eine düstere Seite in unserer männlichen Seele?
    "Schon gezielt danach suchen"
    Ahlers: Mit der Formulierung kann ich zunächst mal so nichts anfangen, zumindest wenn sie sich bezieht auf das Konsumverhalten von sexuellen Missbrauchsdarstellungen im Internet. Das würde ich nicht denken, dass das eine düstere Seite ist, die in allen Männern steckt sozusagen. Es ist so, wenn man im Internet nach Bildinhalten sucht, in denen tatsächlich Kinder in sexuell aufreizender Art und Weise dargestellt werden, dann muss man schon gezielt danach suchen. Es verhält sich nicht mehr so – früher war das ein bisschen anders, aber jetzt nicht mehr so -, dass man bei dem Konsum von Standardpornografie, sage ich jetzt mal, wo Erwachsene in sexuell aufreizender Art und Weise dargestellt werden, quasi versehentlich aufseiten gerät, in denen regelrechte Kinderpornografie angeboten wird. Es ist schon so, dass danach gesucht werden muss, und wie wir alle suchen wir nur das, was uns auch interessiert. Der Zufallsfund, der dann dazu führt, dass ich diese Dinge auch betrachte, der ist sicherlich die Ausnahme im Verhältnis zur zielgerichteten Suche.
    Meurer: Bei Ihren Beratungen, Herr Ahlers, bei Ihrer Therapiearbeit verwenden Sie eine Ampel. Die Ampel gibt es in grün, in orange und in rot. Für was stehen bei Ihnen diese drei Farben?
    Präventionsprojekt Dunkelfeld
    Ahlers: Es handelt sich um ein Instrument, das wir im Rahmen der präventiven Therapie für Personen einsetzen, die befürchten, Täter zu werden, und das ist ein Therapieinstrument, das aus dem Präventionsprojekt Dunkelfeld stammt. Dort bieten wir den Patienten diese Ampel an, damit sie lernen können, ihr eigenes Konsumverhalten zu analysieren. Die grüne Lichtfarbe der Ampel steht für harmlose, unschädliche und damit auch unproblematische Bildinhalte. Das sind zum Beispiel Wäschebilder-Kataloge, Werbekataloge, Urlaubsbilder, Badehosen-Bilder, meinetwegen auch FKK-Strandbilder, Bildinhalte, bei denen die Herstellung nicht darauf gerichtet war, sexuelles Interesse zu wecken oder sexuelle Stimulation zu erzeugen, Bilder, die ohnedies existieren, nicht nur im Internet, auch in unseren Briefkästen, in allgemeinen Medien, aber für deren Herstellung eben kein Kind Schaden nimmt. Darum sind diese Bildinhalte grün.
    Dann kommt die gelbe Farbe. Die gelbe Farbe heißt Achtung, jetzt ist der Übergang zum Problemverhalten da. Hier werden Personen – jetzt sprechen wir hier in der Weise mal von Kindern – leicht bis unbekleidet in eindeutig sexuell aufreizenden Körperhaltungen dargestellt, ohne dass dabei eine Fokussierung auf Genitalien und sexuelle Handlungen vorgenommen wird.
    Meurer: Das wären dann Bilder, sagten Sie mir im Vorgespräch, die man Sebastian Edathy zuschreibt?
    "Schwelle zum Bereich rot"
    Ahlers: Ich habe die Bilder nicht gesehen, die in diesem Fall zugeordnet werden. Wenn es zutrifft, was darüber berichtet wird, wäre das diese Kategorie. Das heißt, gelb: Jetzt wird es problematisch. Wer gelbe Bilder konsumiert, der befindet sich bereits auf der Schwelle zum Bereich rot. Und rot ist das, was umgangssprachlich als Kinderpornografie dargestellt wird. Hier handelt es sich um Dokumentationen von sexuellem Kindesmissbrauch, weil Kinder durch die Fokussierung auf Genitalien und sexuelle Handlungen in pornografischer Weise dargestellt werden, und da lernen die Patienten im Präventionsprojekt Dunkelfeld, wer solche Bilder konsumiert, begeht mittelbaren sexuellen Kindesmissbrauch.
    Meurer: Deswegen mittelbar: Den Männern ist dann gar nicht mal unmittelbar klar, dass dieser Konsum – ob es die korrekte strafrechtliche Formulierung ist, weiß ich nicht – Beihilfe ist, dass man mit dazu beiträgt, dass es sexuellen Missbrauch gibt. – Wie bringen Sie Männer denn dazu, vom roten Bereich wegzugehen in den gelben oder grünen?
    Ahlers: Es ist genau wie Sie sagen: Den meisten ist ihr eigenes Konsumverhalten, bevor sie in die Therapie kommen, nicht bewusst. Sie realisieren nicht genau, was sie tun, sondern durch die Verfügbarkeit solcher Bildinhalte im Internet begeben sie sich dahin, konsumieren und realisieren gar nicht, was das bedeutet.
    Meurer: Besteht bei denen die Gefahr, dass sie das dann auch in die Realität umsetzen wollen?
    Missbrauchsabbildungen unterscheiden sich von unmittelbaren körperlichen Taten
    Ahlers: Diese direkte Analogie kann man daraus nicht ableiten. Wir wissen, dass die Nutzung von Missbrauchsabbildungen im Internet sich unterscheidet von der Begehung unmittelbarer Taten, bei denen dann körperlich übergegriffen wird.
    Meurer: Wenn Sie Ihre Patienten auf die Zusammenhänge aufmerksam machen, gehen dann viele schon dazu über zu sagen, okay, dann jetzt nur noch gelbes Material, grünes Material?
    Ahlers: Die Patienten, die wir im Präventionsnetzwerk "kein Täter werden" haben, die sind in der Tat eigenmotiviert und sagen, mir ist jetzt erst klar, was mein eigenes Konsumverhalten bedeutet hat, dass ich durch meine Nachfrage einen Markt stimuliert habe, und ich will selber im grünen Bereich bleiben und vor allen Dingen wahrnehmen können, wenn ich in den gelben Bereich wechsele. Die entwickeln ein Eigenbewusstsein, ein Problembewusstsein dafür und wollen das tatsächlich selber schaffen, und genau dabei soll ihnen diese Ampel helfen.
    Meurer: Vielleicht werden Sie jetzt als Sexualpsychologe, als klinischer Sexualpsychologe wieder sagen, mit der Frage können Sie nichts anfangen. Ist es moralisch dann vertretbar, Bilder der Kategorie grün zu sehen und daraus Lust zu gewinnen?
    Ethische Pflicht für ihre Verhaltenssteuerung
    Ahlers: Die moralische Würdigung von Verhaltensweisen obliegt tatsächlich anderen Fachbereichen. Wir fokussieren auf die Frage, entsteht hier Opferschaft, geht es um fremdgefährdendes Verhalten. In der Sekunde, in der durch die Herstellung eines Bildes kein Kind geschädigt wird, niemand Opfer wird, entsteht faktisch kein Schaden. Das ist für uns das Leitkriterium. Ob es eine moralische Verhaltensweise ist, das müssen die Fachbereiche klären, die sich mit Moral beschäftigen. Wir beschäftigen uns mit allenfalls ethischen Aspekten. Das bedeutet, wir nehmen die Personen nicht moralisch, wir bewerten sie nicht moralisch für ihre Bedürfnisse und Fantasien, sondern wir nehmen sie ethisch in die Pflicht für ihre Verhaltenssteuerung.
    Meurer: Der klinische Sexualpsychologe Christoph Josef Ahlers heute Morgen im Deutschlandfunk zum neuen Fall, der gestern bekannt geworden ist. Der Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung ist zurückgetreten, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Besitzes von Kinderpornografie. Herr Ahlers, schönen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben. Auf Wiederhören!
    Ahlers: Ich danke Ihnen, auf Wiederhören.
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