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Darknet und Kriminalität
"Es gibt keinen rechtsfreien Raum im Internet"

Es sei vor allem ein Problem der fehlenden Ausstattung, dass die Sicherheitsbehörden im sogenannten Darknet Gesetzesverstöße nicht in gleichem Maße aufdeckten wie in der analogen Welt, sagte Jan Philipp Albrecht, Europaabgeordneter der Grünen, im Deutschlandfunk. Die Balance zwischen Sicherheitsinteressen und der Privatsphäre müsse dabei gewahrt bleiben.

Jan Philipp Albrecht im Gespräch mit Rainer Brandes | 27.07.2016
    Der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht
    Der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht. (picture alliance/dpa)
    Rainer Brandes: Darüber spreche ich jetzt mit Jan Philipp Albrecht. Er ist Europaabgeordneter für die Grünen und eines seiner Spezialthemen ist die Sicherheitspolitik im Netz. Guten Abend.
    Jan Philipp Albrecht: Guten Abend!
    Brandes: Datenschützer und Netzaktivisten, die loben ja das Darknet als Raum der Freiheit. Aber ist es nicht eher ein Freiraum für Verbrecher?
    Albrecht: Zunächst einmal ist es ja nur ein Raum, ein öffentlicher Raum wie jeder andere, wie auch eine Straße oder ein Marktplatz. Nur der Punkt ist: Das ist ein Raum, der schwerer aufzufinden ist. Und es ist ein Raum, in dem die Leute sich auch anonymisierter austauschen können. Und das ist natürlich immer ein Anzugspunkt für Kriminelle oder diejenigen, die etwas zu verbergen haben. Das muss aber nicht nur negativ sein, sondern es gibt ja auch Leute, die zum Beispiel in Diktaturen unter Repressionen zu leiden haben und deswegen letztendlich ihre wahre Identität verhüllen wollen.
    Brandes: Aber was wiegt denn höher, die Freiheit von ein paar Nerds, oder das Leben unserer Bürger?
    Albrecht: Na ja. Freiheitskämpfer und Oppositionelle in Diktaturen als Nerds zu bezeichnen, halte ich jetzt nicht unbedingt für treffend. Aber natürlich ist es so: Wir müssen dafür sorgen, dass auch in diesen öffentlichen Räumen genauso wie an anderen Orten die Gesetze eingehalten werden und das Recht durchgesetzt wird. Und es ist nicht so, dass in diesem Raum keine Gesetze gelten. Es gibt keinen rechtsfreien Raum im Internet, sondern rechtlich gibt es dort immer Regeln. Es ist nur unklar, welche von welchen Staaten jetzt da gelten. Aber am Ende sind es immer Regeln und man muss dafür sorgen, dass nach Anlässen gesucht wird und nach Verdachtsmomenten, um diese Rechte und diese Regeln auch im Sinne des Strafrechts und der polizeilichen Durchsetzung zu garantieren.
    Brandes: Aber genau das ist ja offenbar oft das Problem. Wenn es so leicht ist, ins Darknet zu gelangen, um sich dort eine Waffe zu kaufen, warum ist es dann so schwer für die Polizei, dort auch reinzukommen und die Kriminellen auffliegen zu lassen?
    Albrecht: Personal muss geschult werden
    Albrecht: Meines Erachtens liegt das derzeit vor allen Dingen daran, dass die Polizei und die Sicherheitsbehörden bislang nicht in der Lage sind, geeignete Ermittlungsmaßnahmen im digitalen Raum anzuwenden, wie sie das auch im analogen bisher tun. Konkret Verdachtsmomenten schnell auf die Spur zu kommen, mit Personen ins Gespräch zu kommen auch, vielleicht notwendigerweise auch mit verdeckten Ermittlern zu arbeiten, um damit die gleiche Aufdeckungsrate und die gleiche Möglichkeit der Kriminalitätsbekämpfung zu erreichen, wie man es auch im analogen Leben kennt. Und das liegt vor allen Dingen auch daran, dass dort zu wenig Personal geschult wird und zu wenig Mittel zur Verfügung stehen, um diese Ermittlungsmethoden im digitalen Raum zu vollziehen.
    Brandes: Personal ist das eine. Aber brauchen wir jetzt auch rechtliche und technische Möglichkeiten für die Sicherheitsbehörden, Verschlüsselungstechniken zu umgehen, Schnittstellen in diese Systeme hinein bereitzustellen?
    Albrecht: Na ja, vergleichen wir es doch mal mit dem analogen Leben. Jeder weiß, dass man Türen in Wohnungen einbauen kann und in Häuser und die abschließen kann. Und dass sich dort auch Kriminelle dann hinter diesen Fassaden verstecken können und möglicherweise Dinge verabreden können. Trotzdem fordern wir nicht, dass die Hersteller von Türschlössern oder Türen nun Hintertüren oder doppelte Schlüssel für die Polizei vorsehen muss, weil wir das als unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit und das Privatleben aller Menschen ansehen würden.
    Brandes: Aber die eigene Wohnung ist vielleicht auch noch mal ein privaterer Raum als das Internet?
    Albrecht: Schützenswerte Privatsphäre
    Albrecht: Na ja. Das ist eine Argumentationsszene, die lange so halten konnte, die man lange so halten konnte, aber die heute sicherlich nicht mehr so stimmt. Das Telefon und das Smartphone beinhaltet heute sehr viele Elemente dessen Privatlebens, das wir früher nur in der eigenen Wohnung im Tagebuch oder im Fotoalbum zuhause entdecken konnten. Und deswegen kann man eben nicht mehr einfach nur sagen, Privatleben ist nur da, wo die Wohnung anfängt, sondern das erstreckt sich auch auf solche Systeme. Und das hat auch das Bundesverfassungsgericht in einem wichtigen Urteil zum Trojaner festgelegt, dass sich dieses Privatleben und die schützenswerte Privatsphäre auch auf solche Geräte erstreckt.
    Brandes: Aber beim Telefon haben die Ermittlungsbehörden mit richterlicher Erlaubnis ja auch die Möglichkeit, Abhörmaßnahmen zu treffen. Müsste man diese Maßnahmen nicht dann auch in der verschlüsselten Kommunikation bereitstellen?
    Albrecht: Ist ja vollkommen klar, dass wir auch in der Lage sein müssen, dass die Ermittlungsbehörden in verschlüsselte Kommunikation oder in sichere Räume einbrechen können, um bestimmte Vorgänge, bei denen klar ist, dass sie kriminell sind, oder bei denen es gewichtige Anhaltspunkte gibt für ein Risiko oder einen Verdacht. Das muss ermöglicht werden. Nur die Frage ist, macht man das durch einen Schlüssel, der von vornherein eingebaut ist. Oder muss man Wege finden, solche Sicherheiten zu durchbrechen, so wie wir im Notfall auch die Tür oder das Fenster aufbrechen, um in eine Wohnung zu gelangen. Und ich denke, darüber müssen wir reden: Wie können wir die Ermittlungsmaßnahmen und die Durchgriffsbefugnisse der Polizei, die wir im Analogen kennen, sachgerecht auch aufs Digitale beziehen. Denn dann werden wir auch die Balance zwischen den gewichtigen legitimen Sicherheitsinteressen und der Behördeninteressen auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Freiheiten und Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit wahren.
    Brandes: Geht das denn eigentlich überhaupt, denn das Netz kennt ja keine Grenzen? Das heißt, einzelstaatliche Maßnahmen und selbst EU-weite Maßnahmen dürften da ja relativ nutzlos sein.
    Albrecht: Ja, es wird schwieriger, nationale Maßnahmen und Befugnisse in einem globalen Netz und einer globalen digitalisierten Welt durchzusetzen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass man nicht den Eindruck vermittelt, dass mit nationalen Regeln das Ganze jetzt gelöst wird. Ein Bundestrojaner oder eine Vorratsdatenspeicherung nur in Deutschland und ähnliche Maßnahmen, da muss man sich schon fragen, oder Internetsperren zum Beispiel, ob das überhaupt effektiv ist. Am Ende geht es darum, dass man die Koordination von Polizeibehörden verbessert, international, vor allen Dingen aber auf europäischer Ebene. Dazu muss es auch gemeinsame Ermittlungsteams zum Beispiel geben, die dann auch entsprechend ausgestattet sind. Und man muss dafür sorgen, dass es auch europäische Standards gibt, auch zur Rechtsdurchsetzung, auch zu den Ermittlungsbefugnissen, aber auch zum Beispiel zum Datenschutz und zur Kontrolle von Überwachungsmaßnahmen. Da müssen wir dran arbeiten und da ist noch viel zu tun.
    Brandes: Ich sprach mit Jan Philipp Albrecht, Grünen-Europaabgeordneter und Netzpolitiker. Wir haben das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.