Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Internetphänomen
"Mem-Kampagnen schaffen eine Subkultur"

Im Internet verbreiten sich massenweise Bilder mit einer kleinen Textaussage, sogenannte Meme, auch für politische Zwecke. "Im US-Präsidentschaftswahlkampf haben wir vor allem eine rechte Meme-Kultur gesehen", sagte Florian Cramer von der Universität Rotterdam im Dlf. Diese sei auch von der Trump-Kampagne aufgegriffen worden.

Florian Cramer im Corsogespräch mit Sören Brinkmann | 30.01.2018
    Der Twitter-Account des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, auf einem Smartphone und einem Tablet.
    Im US-Präsidentschaftswahlkampf spielten die neuen Medien eine wichtige Rolle - darunter auch die Meme der "Alt-Right"-Bewegung (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Sören Brinkmann: Manche Dinge sind einfach schwer auszudrücken, schwer zu erklären: wie toll es sich zum Beispiel anfühlt für Sportfans, wenn man am Montag ins Büro kommt und der Lieblingsverein am Wochenende gewonnen hat. Warum da viele Worte machen, wenn man es auch bebildern kann? Man nehme einen Ausschnitt aus dem Film "Wolf of Wall Street", Leonardo DiCaprio in eleganten Nadelstreifen breitet die Arme aus und lässt sich von den jubelnden Kollegen feiern. So also fühlt es sich an. Solche Bilder werden dann per WhatsApp, Facebook oder Twitter geteilt und verbreiten sich rasend schnell. So funktioniert das, schon ist ein sogenanntes Mem in der Welt. Und die werden genutzt, um alles mögliche zu thematisieren. Florian Cramer ist Professor für Visuelle Kultur im 21. Jahrhundert an der Universität Rotterdam – und er beschäftigt sich mit der Aussagekraft von solchen Memen. Guten Tag, Herr Cramer.
    Florian Cramer: Guten Tag, hallo.
    Brinkmann: Vielleicht kann man einfach mal kurz erklären, was ist das? Was ist ein Mem? Also, ich habe ja eben schon angesprochen, ein Bild, dazu gehört eine Textaussage – haben Sie so etwas wie eine Definition?
    Cramer: Ja, eigentlich ist die Definition älter und viel allgemeiner. Sie kommt nämlich von dem Evolutionsbiologen Richard Dawkins, der schon in den 70er-Jahren ein Buch geschrieben hat, in dem er einen Vergleich macht zwischen der Genetik und der Informationstheorie und sagt: In der Genetik haben wir bestimmte Eigenschaften, die sich fortpflanzen und die sozusagen sich beinah viral fortpflanzen – und das gleiche haben wir auch bei Informationseinheiten. Es können Informationen sich verbreiten, wie sich zum Beispiel eine bestimmte genetische Eigenschaft in der Fortpflanzung unter Spezies verbreitet. Und das war damals eine sehr umstrittene Theorie übrigens.
    Mem ist, was sich nicht klassisch verbreitet
    Brinkmann: Wenn wir das jetzt übertragen auf das, was dann viral über soziale Netzwerke verbreitet wird – was steckt hinter diesem Mem, hinter diesen Memen?
    Cramer: Die Idee ist: Es geht eigentlich nicht um die Form, es geht auch nicht um den Inhalt, sondern es geht um die Verbreitung. Also, ein Mem wird zu einem Mem dadurch, dass es sich verbreitet – und zwar eben auch nicht klassisch massenmedial, also zum Beispiel jetzt wie bei dieser Radiosendung, wo so und soviel Hunderttausend Menschen zuhören, sondern dass es sich verbreitet gewissermaßen von Wirt zu Wirt. Ich schicke jemandem etwas per E-Mail und der verbreitet das. Eigentlich kann man sagen, dass zum Beispiel Witze die älteste Form von Memen sind.
    Wir haben noch länger mit Florian Cramer gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Brinkmann: Es ist aber dennoch typisch auch, wenn wir jetzt auf diese typischen Bilder schauen, die sich über soziale Netzwerke verbreiten – ist das typisch dann für unsere heutige vernetzte Welt? Man drückt auf "share", auf "teilen", und schon ist es weitergeleitet?
    Cramer: Ja, absolut. Nur deswegen gibt es überhaupt diese moderne Form des Mems, die ein Hybrid ist eigentlich aus Text und Bild, also eigentlich "Witzbilder" könnte man sagen, salopp.
    "Fake News basiert zu einem großen Teil auf Memen"
    Brinkmann: Es gibt diese Meme eben als Unterhaltung, dass man eben das als Bild weiterleitet – aber es steckt auch sehr oft eine klare politische Aussage dahinter. Welche Aussage kann eben auch in Memen stecken?
    Cramer: Na ja, was wir aktuell haben, ist vor allem eine rechte bis rechtsradikale Mem-Kultur. Und das haben wir vor allem gesehen im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf: Die ganze Trump-Kampagne wurde eigentlich gar nicht klassisch geführt, über die typischen Medienkanäle, sondern gerade auch über die Mem-Kanäle…
    Brinkmann: …über die sozialen Netzwerke.
    Cramer: Eben nicht! Das ist eben der Unterschied! Obama war der erste Präsident, der Facebook-Kampagnen gemacht hat – aber das waren eben noch Kampagnen, während es bei Donald Trump dann eben diese Mem-Kampagnen gab. Also wirklich aggressive Kampagnen, die auch mit "Trolling", also mit Angriffen gearbeitet haben, mit falschen Gerüchten. Also das, was wir heute "Fake News" nennen, basiert zu einem ganz großen Teil eigentlich auf Memen.
    Meme aus der Anonymität von 4chan
    Brinkmann: Auf welchen Wegen verbreitet sich das denn dann?
    Cramer: Es gibt ein klassisches Medium der Meme - und das sind die sogenannten "Imageboards". Und das bekannteste davon ist 4chan. 4chan ist eigentlich so der letzte unregulierte, anarchische Ort im Internet. Das ist ein ganz simples Forum, technisch absolut primitiv gestrickt. Es existiert in dieser Form schon seit mehr als 15 Jahren und das kam ursprünglich aus der Comic- und Mangakultur. Und da haben Leute Bilder geteilt und in kurzen Witzen darauf reagiert. Und irgendwann ist aus dieser Kultur dann wirklich so eine eigene Subkultur geworden. Das Besondere an 4chan ist, dass, anders als bei anderen sozialen Netzwerken, man kein Profil braucht. Man muss sich nicht einloggen – alles ist anonym. Und daher kommt auch die Anonymous-Bewegung, die wir kennen. Also, die Leute, die diese Masken tragen. Die kommt auch von 4chan. Eigentlich ist dieselbe Subkultur, die Anonymous hervorgebracht hat, hat auch zum Beispiel die ganzen rechtsradikalen Meme hervorgebracht.
    Brinkmann: Und das hat Einfluss auf die Politik? Cramer: Ja, das hat Einfluss auf die Politik. Also, zum Beispiel wurden Trump-Meme kreiert auf 4chan, die dann sozusagen in einer Art Ausbreitungsstrategie dann von diesem spezialisierten sozialen Netzwerk in die Mainstream-Sozialen-Netzwerke wie zum Beispiel Twitter gesickert sind. Und von dort aus hat dann die Trump-Kampagne das selbst aufgegriffen. Eine dieser "Pepe-the-Frog"-Memes – also, "Pepe the Frog", der nun gewissermaßen das Symbol der radikalen Rechten in Amerika geworden ist – und da gab es dann ein Bild mit Donald Trump als "Pepe the Frog". Und das hat Donald Trump dann auf seinem eigenen Twitter-Tweet geteilt.
    "Die Mem-Kultur ist libertär oder anarchistisch"
    Brinkmann: Da sind dann eben diese Bilder in der Welt, die – egal aus welchem Kanal sie eben stammen – jedenfalls irgendwie massenhaft verbreitet werden. Warum hat das Einfluss? Und warum kann das als Instrument der Propaganda dienen?
    Cramer: Na ja, wieviel Einfluss das wirklich hat, darüber kann man sich streiten. Die amerikanische "Alt-Right" produziert natürlich den Mythos, dass sie für Donald Trump die Präsidentschaftswahlen durch ihre Mem-Kampagne gewonnen haben. Das ist wahrscheinlich Unsinn. Was diese Mem-Kampagnen aber sicher erreichen ist, dass sie eine Subkultur schaffen. Und diese Subkultur, die kann eben sehr zielgerichtet sein, die kann sehr fanatisch sein im Verfolgen ihrer Ziele.
    Brinkmann: Wir reden jetzt viel über die "Alt-Right"-Bewegung, die eben genau diese Meme nutzt und genutzt hat massiv im Präsidentschaftswahlkampf. Gibt es denn auf der anderen Seite auch diesen Einsatz von Memen?
    Cramer: Ich würde es anders formulieren. Ich würde sagen, dass die Mem-Kultur eigentlich libertär oder anarchistisch ist. Es gibt einen linken Anarchismus und es gibt einen rechten Anarchismus. Was wir momentan sehen mit der "Alt-Right" ist, dass sozusagen der Rechts-Anarchismus einen Teil der rechtsradikalen Bewegung stark beeinflusst hat. Ich glaube, dass Mem-Kultur ein Zeichen ist einer sich verändernden Bild- und Medienkultur, in der wir nicht mehr zum Beispiel die klassischen Kategorien von Werk und Autorenschaft haben – wir wissen überhaupt nicht mehr, wer eigentlich die Autoren, die Urheber dieser Memes sind. Und andererseits ist das aber auch ein Zeichen einer Verschiebung der politischen Koordinaten, indem sich eben durch das Internet auch neue politische Strömungen gebildet haben, die ganz stark aus einer amerikanisch-libertaristischen Ecke herauskommen und eigentlich nicht mehr gut in die klassischen politischen Koordinaten passen – und sowohl reaktionär sein können, als auch progressiv.
    Brinkmann: Florian Cramer von der Universität Rotterdam über die Kultur der Meme. Vielen Dank für das Gespräch.
    Cramer: Danke auch.
    Brinkmann: Und Florian Cramer wird auch an einer Diskussion teilnehmen bei der Transmediale – bei dem Festival werden neue Verbindungen zwischen Kunst, Kultur und Technologie hergestellt. Morgen beginnt die Transmediale im Haus der Kulturen der Welt in Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.