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Internetradio
Neue Wege zu einem alten Medium

Radio wird nach wie vor oft gerne deswegen eingeschaltet, weil es ein Begleitmedium ist. Musik und Informationen kommen bei jungen Menschen aber häufig nicht mehr aus einem UKW-Empfänger, sondern über internetfähige Geräte. Das Radio wird neu entdeckt, nicht trotz, sondern wegen des Internets.

Von Henning Hübert | 06.12.2014
    "Das Smartphone. Morgens, wenn ich aufwache, ist eigentlich das erste, was ich mache, ist: Ich mach auf dem Smartphone den Radiostream an. Wenn ich nach Hause komm, mach ich am PC das Radio an, Lifestream. UKW ist eher so in der Küche, wo man so nebenbei noch ein Radio laufen hat."
    Am häufigsten hört der 16-jährige Michel Thalys das reine Webradio RauteMusik. Das ist nach eigenen Angaben Europas größtes Internetradio.
    Auf seiner Homepage gibt es auf mehreren Kanälen Spartenmusik im Stream von Pop über Rap bis Oriental. Auf den Bildschirm poppt regelmäßig Werbung auf, es gibt aber auch redaktionelle Beiträge von Autoren, die sich online um eine Mitarbeit beworben haben. Wie auch Michel Thalys, der vor allem Besprechungen von Kinofilm-Premieren beisteuert. Selbst recherchierte und produzierte Berichte. Der Elftklässler aus Leverkusen macht das - wie er es in einer Unterrichtsstunde der Radio-AG seines Gymnasiums erklärt - unentgeltlich.
    "RauteMusik sitzt in Aachen, haben die das Büro. Die verdienen auch einen Batzen Geld die Leute. Das die an uns nichts weitergeben, ist natürlich ein bisschen schade. Aber es geht hauptsächlich um den Spaß."
    RauteMusik liegt mit monatlich 3,2 Millionen Streaming-Abrufen deutschlandweit auf Platz drei. Eine beachtliche Platzierung für das reine Webradio ohne irgendeine parallele UKW-Verbreitung. Im Ranking der AGMA - der Arbeitsgemeinschaft Media Analyse - ist bei Internet-Radiohörern nur Antenne Bayern beliebter. Sie liegt auf Platz zwei mit 7,4 Millionen Abrufen im Monat. Der öffentlich-rechtliche Sender 1Life führt - mit zuletzt 8,6 Millionen Abrufen pro Monat. Im Vergleich: Via UKW wird 1Live täglich von 4 Millionen Menschen gehört. Programm-Chef Jochen Rausch will sich auf den Lorbeeren für das meist-geklickte Internet-Radio-Angebot auch nicht ausruhen:
    "Wir konkurrieren immer noch mit anderen Radiosendern. Aber im Wesentlichen konkurrieren wir um die Zeit unseres Publikums mit anderen Medien. Und das ist für uns neu und da ist die Frage interessant: Was kann das klassische Radio tun, um sich ein möglichst großes Stück von diesem Zeit-Kuchen, den jeder Mensch ja nur in maximal 24 Stunden am Tag zur Verfügung hat, abzuschneiden."
    Der 1-live-Programm-Chef gibt sich die Antwort selbst: Podcasts anbieten, Social Media und irgendwie auch bewegte Bildchen. Dabei aber nicht vergessen, was der Hörfunk am besten kann: Live Menschen ansprechen - mit authentischen Moderatoren.
    "Man muss nicht dem Wahn verfallen, man müsste im Internet völlig andere Inhalte anbieten. Es gibt nach wie vor auch Leute, die sich nebenher ein Radioprogramm anhören, wo sie nicht alles gestalten müssen. Für uns wird das alles viel kleinteiliger. Wir müssen Videos machen, wir müssen zeitversetzt Sendungen anbieten. Das heißt: Der Aufwand wird eigentlich viel höher als er in der Vergangenheit war, und das stellt uns in Zeiten, wo wir ja auch sparen müssen, vor große Schwierigkeiten."
    Die Prognose: Im Internetzeitalter überlebt das Radio als Begleit-Medium. Wenn der 16-.jährige Leverkusener Gymnasiast Matthias Armenat Radio hört, dann nur noch im Netz: Als Stream.
    Im Schnitt sei er fünf Stunden am Tag online, mindestens zwei Stunden davon surft er und hört parallel einen House-Sender im Stream - zusammen mit Gleichgesinnten, von denen einer einen Senderzugang gemietet hat - bei einem Hoster in Düsseldorf:
    "Man hört die Musik nicht mehr alleine, sondern zusammen. Einen Knopf drücken, sofort verbunden. Ich bin immer auf einem kleinen Server, so für 20 Leute. Das ist ein TeamSpeak-Server, auf dem ein Music-Bot von dem Sender eingerichtet wurde. Man kann sich dazusetzen und einloggen bis der voll ist. Ich glaube, der hat 500 Plätze. Kann sich direkt über die Lieder unterhalten, austauschen."
    Allein an seinem Schreibtisch sitzen und surfen, gleichzeitig via Head-Set mit vielen anderen reden. Und alle lauschen dabei legal hinein in einen einzigen Stream-Abruf. Diese neue Art Chat-Radio ist möglich durch eine Software, die eigentlich für Konferenz-Gespräche entwickelt wurde. Wie viele Internetnutzer so heute Radio hören? Das weiß, gibt sie zu, nicht einmal die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse.