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Internetverwaltung
Weg frei für ein autonomes Dasein

Die ICANN hält als kleine Verwaltungsagentur faktisch die Aufsicht über das Internet. Lange Zeit hat die Internationale Telekommunikations Union (ITU) - eine UN-Unterorganisation - versucht, diese Aufsicht zu bekommen. Nun aber wurde der ICANN mehr Autonomie zugesprochen.

Von Peter Welchering | 17.10.2015
    Auch auf dieser ITU-Konferenz in Budapest wurde heftig über den digitalen Graben gestritten. Noch immer verläuft er zwischen den Industrieländern mit exzellenter Netzinfrastruktur und den weniger entwickelten Ländern, die kein Geld haben, um diese Infrastruktur aufzubauen. Das beklagt Houlin Zhao, der Generalsekretär der International Telecommunication Union ITU.
    "Die Möglichkeiten, wirtschaftliches Wachstum zu erzielen und die Entwicklung der Menschheit voranzutreiben, war nie größer. Aber die, die nicht vernetzt sind, sind Gefahren ausgesetzt. Und 60 Prozent der Weltbevölkerung sind offline! Sie sind ohne Anschluss an die digitale Wirtschaft und sie sind isoliert von den Wohltaten der digitalen Ökonomie."
    Und das könne so nicht weitergehen, wenden die Kritiker ein. Sie werfen der ITU völliges Versagen vor. Statt den digitalen Graben zu überwinden, habe sie eifersüchtig versucht, sich auch noch die Internet-Verwaltung einzuverleiben. Nicholas Negroponte, der Begründer des Medialab am Massachusetts Institute of Technology, geht nicht ganz so hart mit der ITU ins Gericht. Er macht geltend, die Menschen müssten aus der geschichtlichen Entwicklung lernen.
    "Es geht um die Werte einer Gesellschaft. Und ich mag ja die geschichtliche Entwicklung, von der Kirche zu den Nationalstaaten und zu den Unternehmen. Aber der nächste Schritt heißt "Global Governance". Eine Beteiligungs- und Organisationsform, die Zähne hat. Nicht in Form von Kontrolle, sondern indem sie das Leben der Menschen wirklich verbessert. Und hier handelt es sich um eine Werte-, nicht um eine wirtschaftliche Entscheidung."
    Und in diese Werteentscheidung, so unterstützt Udo Helmbrecht, Chef der europäischen Netzsicherheitsagentur Enisa, müssen die einbezogen werden, die das Internet prägen.
    "Wenn wir uns heute anschauen, dann gibt es auf der einen Seite die Regierungen, die versuchen, das Internet voranzubringen, manchmal auch zu regulieren. Wir haben die Anwender, die Bequemlichkeit nutzen mit Online-Shopping und mit sozialen Netzwerken. Und wir haben eben dann die großen Konzerne, die mit unseren Daten und unseren Einkäufen ihre Geschäfte letztendlich machen."
    Für Nicholas Negroponte folgt daraus: Wir brauchen eine neue Organisation:
    "Die Forderung liegt auf dem Tisch. Die Vereinten Nationen kennen sie. Lasst uns eine "World Connectivity Organisation" gründen. Ob das nun eine Organisation der Vereinten Nationen oder eine globale Nichtregierungsorganisation wird, das spielt im Augenblick noch keine Rolle. Ich sehe diese Organisation als Ergänzung zur ITU an. Die World Connectivity Organization stellt sozusagen die Bodentruppen, die die Welt vernetzen, und zwar bis 2020!"
    Die "World Community Organization" soll mit Unterorganisationen wie dem "Connectivity Corps" oder den "Engineers Sans Frontiers" das Menschenrecht durchsetzen, freien Zugriff auf Kommunikationsnetze zu haben. Da wittert Fadi Chehade, der Präsident der Internetverwaltung ICANN, über deren Oberaufsicht jetzt entschieden wird, gleich Ungemach. Er will die Internetverwaltung nicht den Vereinten Nationen unterstellen.
    "Ich stimme Ihnen hundertprozentig zu, und bin gleichzeitig zu 100 Prozent dagegen, Prof. Negroponte. Das Internet ist eine transnationale Ressource. Es ist ohne die Einmischung von Regierungen groß geworden. Wir haben ein Internet für die ganze Welt, weil wir die Regierungen davon abgehalten haben, das Internet zu zerbrechen. Wir brauchen global governance und wir brauchen Mechanismen, um mit den Themen fertig zu werden, die die Regierungen oder die Vereinten Nationen nicht in den Griff bekommen."