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InterRail statt all-inclusive

Mit dem Rucksack im Regionalzug quer durch Europa und im Bahnhof übernachten - der Traumurlaub vieler Jugendlicher in den 70er- und 80er-Jahren hat einen Namen: InterRail. Seit mittlerweile 40 Jahren bieten die europäischen Bahnunternehmen das Pauschalticket an. Die Nachfrage hatte Höhen und Tiefen, nimmt aber wieder zu: Die Langsamkeit wird wiederentdeckt.

Von Anja Nehls | 03.05.2012
    Am Berliner Hauptbahnhof steht der ICE startbereit. Am liebsten würde Eric Pawlitzky schon heute einsteigen. Los geht es aber erst im Sommer: vier Wochen mit Frau und zehnjährigem Sohn entlang der EU-Ostgrenze - von Tallinn bis nach Thessaloniki - hauptsächlich mit einem InterRail-Pass:

    "Wir haben gesagt, wir wollen keine langen Flugstrecken haben, wir wollen etwas machen, was man nicht jeden Tag tun würde, ja das sind 3500 km mit der Eisenbahn. Die Idee ist ganz spontan zwischendurch auch mal auszusteigen und vielleicht erst zwei Tage später weiterzufahren und deshalb stand dann für uns fest, InterRail ist die logistisch perfekte Lösung für dieses Projekt."

    638 Euro kostet Eric Pawlitzkys Pass für einen Monat. 372 DM waren es 1972 - solange gibt es das Angebot bereits. Früher war das Ticket ausschließlich für Jugendliche unter 21 Jahren bestimmt - inzwischen reisen auch Familien und Senioren per InterRail, es gibt nicht nur den globalen Europa-Pass, sondern auch Angebote für wenige Tage, für ein Land oder Ländergruppen.

    Peter Freisberg ist begeisterter InterRailer. Auf seiner Homepage gibt es deshalb Tipps für alle, die das Ganze mal probieren wollen und nach den schönsten Strecken in Europa suchen - seit 40 Jahren sind die Favoriten allerdings gleich:

    "Frankreich-Spanien oder Frankreich-Spanien-Italien, also am Mittelmeer entlang und dann nicht die typische Strecke von Nizza nach Perpignan und Barcelona, sondern da kann man durch die Pyrenäen fahren mit so einer kleinen Bummelbahn, die hat auch kein Dach auf dem Wagen, und man fährt echt drei Stunden wie in so einer Achterbahn über Brücken und durch Täler und so. Und die empfehle ich immer, weil das auf so einer Hauptroute ist. Le petit train jaune, der kleine gelbe Zug, das ist echt toll."

    236.000 InterRail-Tickets wurden im vergangenen Jahr europaweit verkauft. Tendenz wieder steigend. Denn eine ganze Zeit lang war InterRail fast in Vergessenheit geraten, sagt Sascha Oberbüscher von der Deutschen Bahn:

    "Ich glaube, Interrail lebt auf jeden Fall noch. Wir sehen an den Verkaufszahlen, dass wir gerade nach den Wendejahren, als 89/90 sehr starke Steigerungsraten hatte, das hat sich dann Ende der 90er, Anfang 2000 ein bisschen abgeflacht, da war der Billigfliegerboom und en vogue, lieber all-inclusive als InterRail zu machen. Und erfreulicherweise merken wir seit vier, fünf Jahren: Es geht wieder aufwärts. Auch der Umweltaspekt kommt heute mehr zum Tragen als das noch vor 10, 15 Jahren der Fall war und die Leute wollen auch so ein bisschen Nachhaltigkeit beim Urlaub haben und da ist die Bahn dann natürlich ideal."

    Silke aus Hamburg war bereits dreimal mit einem InterRail Ticket unterwegs. Fast ganz Europa hat sie gesehen. Um Land und Leute kennenzulernen, ist Bahnreisen einfach besser, findet sie:

    "Ich fahre unglaublich gerne Zug, und ich finde das einfach schön. Man spürt, wie weit ist eigentlich Griechenland weg, wie groß ist eigentlich Frankreich und man kann im Zug so viele spannende Leute kennenlernen, man hat interessante Gespräche. Zugfahren ist einfach auch irgendwie kultiger."

    Zumindest wenn man bereit ist, auch mit unvorhergesehen Situationen und kleinen Schwierigkeiten klarzukommen. Nicht auf jedem kleinen Bahnhof im Ausland kennt der Schaffner das Ticket, Bahnstrecken werden kurzfristig nicht mehr befahren und schon die Planung erfordert einige Anstrengungen, sagt Eric Pawlitzky:

    "Wir haben uns eine aktuelle Railroad Map Europe gekauft, also eine Karte, auf der die Eisenbahnen überhaupt noch verzeichnet sind, und wollten anschließend im Internet mal ergründen, wie lange denn die Züge zum Beispiel in Rumänien von A nach B fahren und haben festgestellt, dass die Webseite der rumänischen Staatsbahnen für die eine oder andere Strecke No Service anzeigt."

    Dass viele Strecken inzwischen von vielen kleinen privaten Betreibern in Rumänien übernommen wurden, hat Eric Pawlitzky nach langer Recherche herausbekommen. InterRail dauert eben in jeder Hinsicht länger als eine Flugreise - und ist immer noch ein kleines bisschen Abenteuer.