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Interreligiöse Konferenz in Istanbul
Dialog durch pragmatische Theologie

Ist Religion ein Hindernis bei der so dringend notwendigen politischen Verständigung? Oder kann sie auch eine konstruktive Rolle spielen? Und: Sind religiöse Wahrheitsansprüche und Pluralität miteinander vereinbar? Darüber diskutierten muslimische, christliche und jüdische Theologen auf einer Konferenz in Istanbul. Eingeladen hatten die deutsche Botschaft und die Eugen-Biser-Stiftung.

Von Sebastian Engelbrecht | 23.10.2015
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    Blick in den Konferenzraum in der Sommerresidenz des Deutschen Botschafters am Bosporus (Sebastian Engelbrecht)
    In der Türkei sind die Rahmenbedingungen für ein interreligiöses Gespräch ideal. Das Land ist vom Islam geprägt, aber es hat eine säkulare Verfassung. Und es hat islamisch-theologische Fakultäten nach europäischem Vorbild. In der Sommerresidenz des deutschen Botschafters am Bosporus, fernab vom Flüchtlingselend und vom Syrien-Krieg, fiel das interreligiöse Gespräch leicht. Rabbiner Walter Homolka vom Abraham-Geiger-Kolleg aus Potsdam war der einzige jüdische Teilnehmer. Er erklärte, warum sich der jüdische Wahrheitsanspruch und gesellschaftliche Pluralität nicht ausschließen.
    "Es ist das große Glück des Judentums, dass wir es geschafft haben, eine Position zu formulieren, die zwar Wahrheit im Judentum beschreiben will, aber sie nicht absolut setzt. Die sagt: Am Sinai ist eben in mehreren Sprachen, in bis zu 70 Sprachen offenbart worden. Es ist sozusagen der Nichtjude, die Nichtjüdin mit hineingedacht worden. Und es ist vor allem nicht so, als gäbe es eine Ausschließlichkeit des Gottesverhältnisses mit diesem seinem Volk, im Bund, den Gott am Sinai geschlossen hat, sondern es gibt eben auch die Möglichkeit, dass Gott sich für andere anders offenbart."
    Das Judentum kennt keine Mission
    Juden werden in ihre Religion hineingeboren. Das Judentum kennt keine Mission. Auch deshalb sei es für Juden kein Problem, anderen Religionen ihre Wahrheitsansprüche zu lassen. Dennoch macht das Alte Testament im 9. Kapitel des Buches Genesis und in der rabbinischen Überlieferung den Nichtjuden das Angebot einer Mindest-Ethik für alle – die sieben Noachidischen Gebote. Sie verbieten Mord, Diebstahl, Götzenanbetung, Ehebruch, Brutalität gegen Tiere, Gotteslästerung, und sie fordern das Rechtsprinzip.
    "Es ist, glaube ich, eine tiefe Einsicht des Judentums, zu sagen: Es muss auch eine Definition geben, wie Nichtjuden zum Heil gelangen. Diese Überlegung macht sich eben fest an einem Kanon von sittlichen Werten und von Werten, wie eine Gesellschaft aufgebaut werden soll, die sich also mit dem Bild verbindet des Bundes, den Gott mit Noah geschlossen hat, dass er nämlich der Freund der Menschen sein möchte, aller Menschen. Und diese Noachidischen Gebote sind also stark diskutiert worden. Man hat sich dann letztlich auf sieben geeinigt."
    Pragmatische Theologie
    Ein anderes Argument für Pluralität trotz Wahrheitsanspruchs führte Professor Jürgen Werbick an. Der katholische Theologe aus Münster vertrat in Istanbul eine pragmatische Theologie:
    "Religiöse Überzeugung heißt: Ich sage ja zu bestimmten Glaubensgehalten, ich bejahe einen bestimmten religiösen Weg, ich bejahe die Gottesbeziehung, die auf diesem religiösen Weg gelebt wird, und alles, was mit diesem Weg nicht vereinbar ist, davon versuche ich mich abzugrenzen. Aber es ist sehr klärungsbedürftig, wieviel Abgrenzung, wieviel Nein ich für mein Ja jeweils in Anspruch nehme."
    Wie aber sollen Christen dann mit absoluten Sätzen Jesu umgehen? Etwa dem aus dem Johannes-Evangelium: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich"? [Joh 14,6] Jürgen Werbick entschärft den Störfaktor solcher Aussagen durch den Blick auf die historische Situation.
    "Die damalige Situation zwingt uns nicht, heute zum Beispiel zu sagen: Alle anderen Wege führen ins Unheil. Das Zweite Vatikanische Konzil hat für die katholische Kirche ja sehr deutlich gemacht, dass Menschen, die Jesus Christus nicht kennen oder die zu dieser Gestalt keinen Zugang gefunden haben, dass die deshalb nicht im Unheil sein müssen. Von daher darf man Schriftstellen nicht für Zusammenhänge in Anspruch nehmen, in die hinein sie gar nicht gesagt worden sind, in die hinein sie gar nicht intervenieren wollten."
    Ist der plurale Staat im Koran angelegt?
    Nach demselben Muster argumentierte bei der interreligiösen Konferenz in Istanbul Özcan Tasci, Professor für islamische Theologie an der Universität Canakkale in der Türkei.
    "Der Koran lehnt Götzendienst strikt ab. Der Koran legt auf die Einheit Gottes Wert. Er lehnt die Götzendienerschaft ab, aber das heißt nicht, dass er auf die Götzendiener keinen Wert legt."
    Tascis Plädoyer gipfelte in dem Satz, der "Endzweck" des Korans sei es, "eine Gesellschaft zu schaffen, in der die Rahmenbedingungen für einen pluralen Staat erfüllt" seien.
    "Wenn man den Koran als gesamten Text annimmt und betrachtet, sieht man auch, dass der Endzweck von innen ganz Mensch-orientiert ist. Das heißt: Der Koran wurde herabgesandt, um die Bedürfnisse des Menschen zu erfüllen. Das ist der Kernpunkt. Aber: Ich bete zu Allah. Wofür bete ich? Allah braucht das Gebet nicht. Ich muss an die Einheit Gottes glauben, um mich den Menschen widmen zu können."
    Pragmatische Theologie – unter dieser Überschrift ließen sich die Beiträge der dialogwilligen Theologen aller drei monotheistischen Religionen in Istanbul zusammenfassen. Auf der theologischen Ebene herrschte Einigkeit: Pluralismus und Wahrheitsansprüche schließen sich nicht aus. Gestritten wurde auf einem ganz anderen Feld: Muslimische Theologiestudenten beschwerten sich, dass vor der Konferenz bei einem Empfang im deutschen Generalkonsulat Wein angeboten wurde. Die Tischgemeinschaft herzustellen, war am Ende schwieriger als die theologische Eintracht. – Und grundsätzlich stellt sich auch die Frage, ob am Tisch und im Hörsaal nicht die Pluralismus-Kritiker fehlten: muslimische Gelehrte aus Kairo, Gaza oder Abu Dhabi.