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Interventionsabsicht trotz Reformstau

Als Militärmacht habe sich Frankreich immer in einer besonderen internationalen Verantwortung gesehen - auch wenn es wirtschaftlich schwach war, sagt Henryk Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Das sei auch jetzt der Fall, wo umfassende Wirtschaftsreformen anstünden.

Henryk Uterwedde im Gespräch mit Thielko Grieß | 04.09.2013
    Thielko Grieß: Frankreich hatte früh klargemacht: Wir stehen mit den Vereinigten Staaten in einer Allianz, wenn es darum geht, eine sogenannte Strafaktion gegen al-Assad in Syrien zu beginnen. Inzwischen hat sich diese Allianz aber mehrheitlich Bedenkzeit erbeten: In Washington wird gezögert, die Briten sind gar nicht mehr dabei. Nun regt sich auch in Frankreich die parlamentarische Diskussionsfreude. Syrien ist auch in Frankreich ein kontrovers diskutiertes Thema. Heute Nachmittag steht eine Sitzung dazu in der Nationalversammlung an.
    Ich bin verbunden mit Henryk Uterwedde, Frankreich-Fachmann am Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Einem Institut, das sich intensiv mit französischer Politik beschäftigt. Ich grüße Sie, guten Tag!

    Henryk Uterwedde: Guten Tag, Herr Grieß!

    Grieß: Hat sich Hollande verrechnet beim Thema Syrien?

    Uterwedde: Nein! Ich glaube, zunächst einmal: Er ist ja nicht der einzige, der da ein bisschen jetzt zurückrudert.

    Grieß: Aber einer der letzten.

    Uterwedde: Er ist einer der letzten, ja. Zunächst mal ist er sicherlich überzeugt davon, dass dieser Giftgas-Einsatz, von dessen Realität man in Frankreich ausgeht, wie ja gesagt worden ist, dass das nicht ohne Antwort bleiben kann. Das fügt sich ein eigentlich in eine generelle Haltung in den letzten Jahren auch Frankreichs, dass man sagt, wenn es um Menschenrechte geht, um Kriegsverbrechen geht, dann muss die internationale Gemeinschaft Verantwortung wahrnehmen. Und das kann und sollte und muss manchmal eben auch in militärischer Form geschehen. Zum Beispiel in Libyen 2011, Mali – das war ein anderer Fall -, aber es gibt eine Reihe von Beispielen dafür, dass man eben hier in Frankreich eher interventionistisch ist. Dass man jetzt sozusagen angesichts der Rückschläge in Großbritannien, der abwartenden Haltung Russlands und auch der unsicheren Lage in den USA sagt, okay, wir können uns nicht überheben und wollen uns nicht überheben, wir wollen keinen Alleingang machen, das ist insofern, denke ich mal, jetzt der Situation geschuldet, die in den anderen potenziellen Bündnispartnern, in den Ländern eingetreten ist.

    Grieß: Auf die Frage, ob sich Frankreich überhebt, darauf kommen wir gleich noch. Aber Frankreich hat in den vergangenen Konflikten und vorvergangenen Konflikten auch stets darauf gesetzt, die Vereinten Nationen mit einzubeziehen. Warum wartet der Präsident nicht einfach auf die Ergebnisse der UNO-Waffeninspekteure, deren Ergebnisse untersucht werden zurzeit?

    Uterwedde: Na ja, dazu wird er sicherlich auch gezwungen werden, denn die größte Oppositionspartei, die Partei von Sarkozy, die UMP, setzt klare Bedingungen für ein Ja zum Einsatz. Und die heißen erst einmal Veröffentlichung des UNO-Berichts und zweitens eine UNO-Resolution. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Francois Hollande hiervon, sage ich mal, unbeeinflusst bleiben wird. Insofern steuert auch Frankreich, denke ich mal, auf eine solche Linie zu.

    Auf der anderen Seite, und das hat etwa der Einsatz in Mali gezeigt, in einer vollkommen anderen Situation, als die Europäer sich zögerlich und unfähig zum Handeln zeigten, dass da Frankreich einfach auch vorgeprescht ist. Das wird in Syrien nicht der Fall sein. Hier ist ganz klar: Frankreich kann nur im Verbund mit einer Koalition agieren und würde es sicherlich auch vorziehen, ein klares UN-gestütztes Mandat zu haben.

    Grieß: Aber dennoch, Herr Uterwedde, die Nachfrage: Großbritannien zögert, auch die Vereinigten Staaten haben einen Gang zurückgeschaltet und Frankreich gibt sich als einziges Land, vielleicht mit der Türkei noch, als recht interventionistisch. Das sind wir aus der Vergangenheit doch sehr anders gewohnt. Verschieben sich da dauerhaft die Verhältnisse?

    Uterwedde: Nein! Ich sage ja, ich glaube, bei bestimmten Konflikten dieser Art hat man in Frankreich oft eigentlich schon gesagt, wir können nicht beiseite stehen, wir können nicht einfach zusehen, sondern wir müssen handeln. Bestes Beispiel ist in dieser Frage Libyen vor zwei Jahren. Das ist insofern keine neue Haltung. Und wenn Sie sagen, Frankreich – natürlich hat der Präsident wie andere Staatsmänner im Westen vielleicht sich etwas vergaloppiert, ist ein bisschen zu schnell, zu forsch gewesen. Frankreich selber, das wurde ja schon gesagt: die öffentliche Meinung ist gespalten. Drei Viertel der Franzosen wollen einen Parlamentsbeschluss. Zwei Drittel sind eher gegen eine Intervention. In der Opposition gibt es sehr gespaltene Meinungen. Es gibt Befürworter wie der frühere Premierminister Baladour, es gibt Gegner. Insofern, denke ich, wird Hollandes Entscheidung auch diese Parameter einbeziehen müssen. Insofern kann man nicht sagen, Frankreich will unbedingt diesen Krieg haben. Der Präsident ist vorgeprescht. Er sieht jetzt, dass sowohl international als auch national sehr, sehr starke Bedenken sind, auch sogar Opposition dagegen, und er wird dem Rechnung tragen müssen.

    Grieß: Er demonstriert sehr viel Entschlusskraft nach außen, militärische Stärke nach außen, steht aber innenpolitisch nach wie vor unter Druck. Die Wirtschaft schwächelt nach wie vor. Zwar wurden Zahlen jüngst gemeldet, die von einem leichten Wachstum ausgehen im vergangenen Quartal, aber die Arbeitslosenzahlen bleiben weiterhin hoch. Herr Uterwedde, wie lange kann das gut gehen, diese Differenz, nach außen stark, im Inneren eher schwach?

    Uterwedde: Ich denke, das sind zwei Register. Es ist vollkommen klar, dass Frankreich erst am Beginn einer umfassenden Reformpolitik und Veränderung steht, die notwendig ist, damit Frankreich ökonomisch wieder auf solide Fundamente kommt. Dass aber Frankreich auch gleichzeitig als Militärmacht, als Diplomatie immer, auch wenn es wirtschaftlich schwach war, sich in einer besonderen internationalen Verantwortung gesehen hat, das ist davon nicht unbedingt berührt.

    Grieß: Aber dennoch braucht es ja eine Ertragskraft, gute Steuern, gute Steuereinnahmen, um etwa auch das Militär adäquat auszustatten. Das Militär hat einige Sparrunden bereits hinter sich.

    Uterwedde: Vollkommen richtig. Insofern ist natürlich eine gesunde und eine solidere Ökonomie eigentlich eine Grundvoraussetzung, damit Frankreich auf Dauer dieses auch selbst gesteckte Ziel, ein Akteur in den internationalen Beziehungen zu sein, der eher in der ersten Reihe als in der dritten oder vierten ist, um dem gerecht zu werden. Insofern hängen diese Dossiers natürlich zusammen. Aber jetzt zu sagen, Frankreich muss erst mal seine Wirtschaft in Ordnung bringen, das wird fast ein Jahrzehnt brauchen nach meiner Meinung. Jedenfalls einige Jahre. Also zu warten, bis man erst mal wieder ökonomisch stark ist, bevor man sich in Konflikten wie Libyen, wie Syrien wieder zurückmeldet, das wäre sicherlich falsch. Ich glaube, Frankreich kann schon zurecht auch in Anspruch nehmen, dass seine Stimme hier gefordert ist und dass es agieren muss und auch agieren könnte, wenn es eine Koalition gäbe. Aber natürlich: Der Syrien-Konflikt wird in irgendeiner Weise seine Fortsetzung finden, vielleicht sogar eine Lösung. Die ökonomischen Probleme bleiben und werden auch sicherlich im Vordergrund der Politik und der politischen Auseinandersetzung der nächsten Jahre bleiben. Insofern zu glauben, dass Francois Hollande hier eine Art Ablenkungsmanöver machen könnte, um als Feldherr zu glänzen, dort wo er als Wirtschaftspolitiker bislang nur wenig Meriten hatte, das wäre zu kurz gedacht. Ich denke, das denkt auch kein Mensch ernsthaft in Frankreich.

    Grieß: Sagt Henryk Uterwedde, Frankreich-Fachmann am Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Herr Uterwedde, danke für Ihre Einschätzungen heute Mittag hier live im Deutschlandfunk.

    Uterwedde: Gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.