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Inventur in der Natur
Vor lauter Wald die Bäume nicht gesehen

Wie viele Bäume gibt es auf der Welt? Die letzte Schätzung lag bei rund 400 Milliarden. Kalifornische Forscher wollten es genauer wissen und haben jetzt noch einmal nachgezählt und festgestellt: Es sind drei Billionen Bäume weltweit - fast sieben Mal mehr als bisher gedacht.

Von Lucian Haas | 03.09.2015
    Ein Hund steht zwischen Bäumen im Wald.
    Forscher haben noch mal nachgezählt: Es gibt mehr Bäume als gedacht. (Deutschlandradio / Dirk Gebhardt)
    "Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht", lautet eine bekannte Redewendung. Im weltweiten ökologischen Maßstab betrachtet müsste es allerdings eher anders herum heißen: "Vor lauter Wald sieht man die Bäume nicht mehr." Bisher gab es nur ungenaue Schätzungen darüber, wie viele Bäume insgesamt in den Wäldern der Welt stehen. Der Ökologe Thomas Crowther von der Yale University hat sich daran gemacht, Licht ins Dunkel zu bringen. "Alle bislang vorliegenden Informationen zu den Wäldern der Welt beruhten allein auf Satellitenbildern. Sie zeigen das Ausmaß der Waldflächen und wie geschlossen das Baumkronendach steht. Solche Informationen sind sehr hilfreich für die Wissenschaft, wenn es darum geht, Biodiversität, Artenverteilung oder den Kohlenstoffkreislauf zu studieren. Aber es handelt sich augenscheinlich um recht grobe Angaben."
    400 Milliarden - das ist die Zahl der letzten großen Schätzung des globalen Baumbestandes auf Basis von Satellitendaten. Die entsprechende Studie kalifonischer Forscher stammt aus dem Jahr 2008. Thomas Crowther und Kollegen wollten es jetzt genauer wissen. "Wir haben erst einmal Informationen gesammelt über einzelne Waldflächen, auf denen schon jemand am Boden die Bäume einmal genau gezählt hat. Diese Angaben setzten wir dann mit Klima- und Fernerkundungsdaten in Verbindung. So konnten wir erkennen, wie eine bestimmte Baumdichte auf Satellitenbildern aussieht."
    Auf jeden Menschen kommen 422 Bäume
    Mehr als 400.000 Datensätze lokaler Waldinventuren aus 50 Ländern flossen in die Auswertung mit ein. Die Forscher verrechneten sie in einem computergestützten Modell mit weiteren lokalen Kenngrößen wie Klima, Topographie, Bodenverhältnissen und menschlichen Einflüssen. Das Ergebnis ist überraschend: Nicht 400 Milliarden, sondern drei Billionen Bäume wachsen in den Wäldern der Welt - wobei es immer nur um Bäume geht, deren Stämme mindestens zehn Zentimeter Durchmesser besitzen. Auf jeden Menschen kommen nach dieser Rechnung 422 Bäume. Das ist fast sieben Mal mehr als bisher gedacht.
    Allerdings sieht Thomas Crowther darin keinen Anlass, etwa den Einfluss des Waldes auf das Weltklima mit ganz neuen Augen zu sehen. "Ich rechne nicht damit, dass unsere Zahlen die wissenschaftliche Einschätzung grundlegend verändern, wie viel Kohlenstoff global in den Wäldern gespeichert ist. Wir haben ja keine neuen Bäume, keine neuen Waldgebiete oder ein erhöhtes Potenzial der Bindung von CO2 gefunden. Wir liefern gewissermaßen nur einen sinnvollen Maßstab, um die Fülle der globalen Wälder besser abschätzen zu können."
    Der menschliche Einfluss ist astronomisch
    Die größte Dichte an Bäumen gibt es in den borealen Nadelwäldern der subpolaren Regionen Russlands, Skandinaviens und Nordamerikas. Die größten Waldflächen wiederum liegen in den Tropen, wo rund 43 Prozent der Bäume der Welt zu finden sind. Die Berechnungen der Forscher erlauben allerdings noch weitere Angaben. Sie zeigen unter anderem, welchen enormen Einfluss der Mensch auf die Ausdehnung der Wälder und der darin vertretenen Bäume hat. Den Schätzungen nach werden pro Jahr rund 15 Milliarden Bäume geschlagen. "Das Ausmaß des menschlichen Einflusses ist astronomisch. Seit dem Beginn der Zivilisation bis heute gingen sogar rund drei Billionen Bäume verloren. Ich hatte nicht erwartet, dass die menschliche Aktivität sich über alle Vegetationszonen hinweg als der größte Einflussfaktor auf die Baumdichte herausstellen würde.
    Eigentlich sollte von Natur aus das Klima die Baumdichte am stärksten bestimmen. Beispielsweise wachsen in feuchteren Regionen normalerweise mehr Bäume. Dieser positive Einfluss des Faktors Feuchtigkeit auf die Baumdichte kehrt sich in manchen Regionen aber um. Denn der Mensch bevorzugt die feuchteren, produktiveren Gegenden für die Landwirtschaft und zerstört deshalb dort den Wald.