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"Investition in Erneuerbare kann man billiger machen"

Für die steigenden Strompreise seien weniger die erneuerbaren Energien, als vielmehr politische Fehler verantwortlich, sagt Ulrich Kelber, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Subventionen müssten zurückgefahren und Hilfen primär Menschen mit geringem Einkommen zu gute kommen.

Ulrich Kelber im Gespräch mit Dirk Müller | 10.10.2012
    Dirk Müller: "Dust in the wind" – 8:23 Uhr, Sie hören den Deutschlandfunk. Um Wind geht es im Grunde auch beim nächsten Thema: um 50 Prozent soll sie nämlich im nächsten Jahr steigen, die Abgabe auf den Ökostrom. Das bedeutet für eine Durchschnittsfamilie rund 50 Euro mehr in zwölf Monaten. Und das alles, weil wir aus der Atomenergie aussteigen, aussteigen wollen. Damit ist klar: die Kanzlerin kann ihr Versprechen nicht halten, nämlich dass die Umlage für den Ökostrom stabil bleibt bei 3,5 Prozent. Davon war die Rede. Jetzt werden es laut Bundesnetzagentur wohl mindestens fünf Cent, oder eben noch mehr. Zugleich fordert die FDP nun Steuersenkungen zu Gunsten der Verbraucher und soll die Politik weiterhin den grünen Strom finanziell unterstützen, sprich subventionieren. – Darüber sprechen wollen wir nun mit Ulrich Kelber, stellvertretender SPD-Fraktionschef im Bundestag. Guten Morgen.

    Ulrich Kelber: Guten Morgen!

    Müller: Herr Kelber, ist das klar, es wird alles teurer?

    Kelber: Es wird auf jeden Fall deutlich teurer werden am 1. Januar, auch in einer Größenordnung, die einem Sorgen machen muss. Klar ist nur: es liegt nur zu einem kleinen Prozentsatz an erneuerbaren und mehr an politischen Fehlern.

    Müller: Also es liegt mal wieder an der Koalition. Warum?

    Kelber: Na ja, wenn man sich anschaut, was vermutlich draufkommen wird - das sind 1,8 Cent, also ein erschreckend hoher Betrag -, dann sind davon wahrscheinlich nur 0,3 Cent wirklich die Förderung zusätzlicher erneuerbarer Energien. Das andere sind Befreiungen, zusätzliche, aus meiner Sicht für Unternehmen, die keineswegs im internationalen Wettbewerb stehen, also übertriebene Subventionen. Es geht um das Nachholen von Dingen, die 2012 nicht passiert sind, weil damals Herr Röttgen und Frau Merkel im NRW-Wahlkampf Unangenehmes nicht sagen wollten. Wir werden 2013 einen deutlichen Preisschub haben. Einiges spricht dafür, dass die EEG-Umlage 2014 sogar wieder leicht sinken wird.

    Müller: Also die Steuerbefreiung beziehungsweise diese schrittweise Steuerbefreiung für die energieintensiven Unternehmen, das bestreitet die SPD als sinnvoll?

    Kelber: Nein! Die ersten Befreiungen hat ja sogar damals SPD und Grüne vorgenommen, weil wenn wir einer Aluminiumhütte diese Kosten auferlegen, ist sie international nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Frage ist aber, ob Süßwarenhersteller, Brauereien, Rolltreppenbetreiber oder auch Wasserwerke, Großbäckereien wirklich im internationalen Wettbewerb stehen und befreit werden müssen, und diese Befreiung bezahlen ja alle anderen mit einer Umlage auf die Umlage, und das ist ärgerlich. Es kommt dazu, dass es weitere Erhöhungen neben der EEG-Umlage gibt, die nicht notwendig gewesen wären, zum Beispiel die Haftungsbefreiung der Netzbetreiber bei Offshore, die wahrscheinlich mit 0,25 Cent zuschlagen wird. Da sind die wirklichen politischen Versäumnisse durch eine chaotische Energiepolitik der letzten drei Jahre.

    Müller: Um das festzuhalten, Herr Kelber: Sie würden diese Subventionen, die Sie gerade beschrieben haben, radikal streichen?

    Kelber: Wir würden deutlich bei den Befreiungen zurückgehen, wieder auf den Kern: die Unternehmen, die extrem energieintensiv sind und im internationalen Wettbewerb. Wir haben eine andere Regelung als die Haftungsbefreiung vorgestellt. Das zusammen würde schon helfen, deutlich zu begrenzen in diesem Jahr. Danach muss man weitere Maßnahmen ergreifen in einer Kostenbremse und bei Hilfen sich wirklich auf die konzentrieren, die sie dringend benötigen. Der Vorschlag der FDP zu Steuersenkungen – übrigens wieder mal nicht gegenfinanziert – würde auch Menschen wie Ihnen und mir helfen, aber wir sind nicht diejenigen, die jetzt staatliche Hilfe brauchen. Die kann man sehr viel zielgerichteter bei den Menschen mit niedrigen Einkommen und bei kleinen und mittleren Unternehmen ansetzen.

    Müller: Die FDP sieht das ja mit ihrer politischen Klientel etwas anders. Dieser Vorschlag, bei der Mehrwertsteuer zu drehen, dort etwas zu entlasten – es geht ja, glaube ich, da nur um einen ganz spezifischeren kleineren Satz -, das würde schon einen Effekt haben?

    Kelber: Das hätte dann einen Effekt, wenn man es am Markt durchsetzen kann, dass tatsächlich alle das weitergeben. Das ist aber leider in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen. Man muss sich ja nur die Gewinnzahlen der Eons und RWEs in den letzten zehn Jahren ansehen, deren Gewinne aus dem Stromgeschäft sind gestiegen. Und wir werden auch jetzt im Augenblick wieder erleben, dass die gesunkenen Strombörsenpreise nicht weitergegeben werden. Die Erneuerbaren haben ja in der Förderung gekostet, haben aber gleichzeitig dazu geführt, dass die Einkaufspreise für Strom für die Stromhändler billiger geworden sind. Meine Stadtwerke Bonn geben das weiter in unserer Umgebung. RWE gibt das an die Kunden nicht weiter.

    Müller: Wenn wir das jetzt für die Hörer, für den Wähler, wir beide gemeinsam vielleicht festhalten: Wenn wir demnächst SPD wählen, dann bezahlen wir weniger für den Strom?

    Kelber: Nein! So einfach ist die Rechnung nicht. Eine Energiewende kostet Investitionen, damit wir später preisgünstig und sauber Strom bekommen. Allerdings eine Investition in Erneuerbare kann man billiger machen als im Augenblick. Die Preise müssten nicht so explodieren. Und wir müssten denen, die Probleme haben, zielgerichtet helfen. Das heißt sicherlich, auch bei den Empfängern von Arbeitslosengeld zum Beispiel höhere Beträge für Strom. Ich selber habe einen Vorschlag gemacht, wie man in einem Wettbewerb auch einen Stromtarif für Niedrigverdiener einführen kann. Dort könnte man zielgerichtet dann auch die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent senken, das käme an.

    Müller: Reden wir, Herr Kelber, um das noch mal konkret zu machen, zum Schluss noch über eine konkrete Zahl. 50 Euro, das war das, was wir hier gesagt haben, das kommt nächstes Jahr vermutlich auf die Verbraucher, auf den Normalkunden zu. SPD würde sagen, 25, 30, damit kommen wir hin?

    Kelber: Wenn man es jetzt richtig machen würde, würde man wahrscheinlich etwa eine Halbierung des Anstiegs erreichen können. Allerdings müssten jetzt vor allem die Weichenstellungen für die Folgejahre sein. Eine Explosion der Strompreise ist nicht notwendig, wenn man die Energiepolitik zielgerichteter verfolgt.

    Müller: Heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk Ulrich Kelber, Energie- und Umweltexperte der SPD, zugleich stellvertretender Fraktionschef im Bundestag. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.