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IOC-Reform
"Sportorganisationen sind relativ autoritäre Organisationen"

Als "zwingend notwendig" hat der Sportfunktionär Helmut Digel die in Monte Carlo beschlossene Reform des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bezeichnet. Allerdings seien mit den Neuerungen auch Probleme zu erwarten, sagte der ehemalige deutsche NOK-Vizepräsident im DLF.

Helmut Digel im Gespräch mit Dirk Müller | 09.12.2014
    Helmut Digel, Sportsoziologe
    Helmut Digel (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Die Macht konzentriere sich auf die Verbandspräsidenten. Das bedeutet, nach dem Prinzip "Ein Land, eine Stimme" hätten die großen nationalen Verbände relativ wenig Einfluss, erläuterte Digel im DLF.
    Die wichtigsten Verbände würden künftig Einbußen verbuchen, sagte Digel im Deutschlandfunk. So würden große Sportarten wie Schwimmen, Leichtathletik und Turnen kleiner werden müssen - das werde enorme Verteilungskämpfe nach sich ziehen. In Monte Carlo hatte das IOC entschieden, das bisherige Limit von 28 Sportarten bei Sommerspielen und sieben bei Winterspielen aufzuheben. Bei den Winterspielen werde man jedoch weitere Lösungen suchen müssen, so Digel, beispielsweise seien die Folgen des Klimawandels mit Blick auf die Austragungsorte nicht berücksichtigt worden.
    Als "wegweisend" bezeichnete der emeritierte Professor, dass sich das IOC direkt an den Kosten der nächsten Spiele beteiligen wolle. Eine weitere Kommerzialisierung der Spiele erwarte er grundsätzlich nicht, dem IOC gehe es um eine um eine Konsolidierung der Kosten und der Einnahmen, das Komitee sei hier "gut aufgestellt".
    Mit Blick auf die jüngst veröffentlichten Dopingenthüllungen über Russland sagte Digel, die Ethikkommission des IOC sei nur bedingt handlungsfähig. Hier seien die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, das Ethikkommission der IAAF und die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA gefordert. Digel bezweifelte aber, dass die bisherigen Strukturen überhaupt ausreichen. "Ethikkommissionen haben sich bisher als stumpfe Instrumente erwiesen", sagte Digel.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Was für ein Gigant von Verband - das Internationale Olympische Komitee steht wohl vor den einschneidendsten Reformen seit 15 Jahren. Zu groß ist der öffentliche Druck und auch der wirtschaftliche Druck geworden in den zurückliegenden Jahren. Der Korruptionsskandal von Salt Lake City 1999 beispielsweise, die Doping-Machenschaften von Spitzensportlern, Trainern und Funktionären, die Milliardensummen bei den Baukosten angefangen, die aufgewendet werden, Olympia zu veranstalten, die entstehenden Umweltschäden, die Leerstände in ehemaligen Sportstätten, siehe jetzt auch Griechenland und Athen.
    Der neue Mann an der Spitze, Thomas Bach, will das alles nun ändern, soll das IOC als Sportorganisation wieder glaubwürdig machen und vor allem soll Vertrauen zurückgewinnen auf dem Reformkongress in Monte Carlo, der seit gestern nicht nur diskutiert, sondern auch bereits schon entschieden hat.
    Die Reformvorschläge wurden angenommen.
    Reformen beim IOC, auch das Thema Doping - unser Thema nun mit Professor Helmut Digel, viele Jahre Vizechef des Nationalen Olympischen Komitees, vormals Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und amtierendes Aufsichtsratsmitglied des Welt-Leichtathletik-Verbandes. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!
    Helmut Digel: Guten Morgen.
    "Diese Reform war zwingend notwendig"
    Müller: Fangen wir mit dem IOC an. Ist der Größenwahn beendet?
    Digel: Das wird sich erst noch herausstellen. Ich denke, diese Reform war zwingend notwendig. Insbesondere die Limitierung der Größe: Einmal durch die Vorgaben, wie nun über die Zahl der teilnehmenden Athleten festgeschrieben wird. Und zum anderen: Ich denke, dass die Entscheidung, dass man neue Möglichkeiten den Städten eröffnet, die Machbarkeit der Spiele in der Zukunft erleichtern wird, und die Möglichkeit, dass Gastgeber wirtschaftlich erfolgreich Olympische Spiele ausrichten können, die wird sich ganz wesentlich erhöhen.
    Das Modell London, das ja ausgesprochen erfolgreich war, wird für die Sommerspiele sicher wegweisend sein. Bei den Winterspielen, da wird man wahrscheinlich noch weitere neue Lösungen suchen müssen, denn da stellt sich ja nun ohnehin auch das Klimaproblem, das man für meine Begriffe zu wenig im Blick gehabt hat bei dieser Entscheidung von Monaco. Aber auch hier sehe ich positive Ansätze.
    Es geht um eine Konsolidierung der Kosten und der Kosten
    Müller: Herr Digel, es ist für viele Kritiker, die das seit Jahren beobachten, sehr schwer vorstellbar, dass diese Milliarden-Kommerzialisierung der Spiele tatsächlich aufgehalten werden kann.
    Digel: Da bin ich etwas anderer Meinung, denn es war ja nun so: Anders wie die FIFA und anders wie beispielsweise alle internationalen Fachverbände, also die Mitglieder der olympischen Bewegung, war das IOC seit der Präsidentschaft von Jacques Rogge ausgesprochen offen und transparent und hat die Gewinne offengelegt und hat vor allem die Gewinne weitergegeben: einmal an die Nationalen Olympischen Komitees, aber vor allem an die jeweiligen Ausrichter der Olympischen Spiele. Und auf diese Weise beteiligt sich das IOC sehr direkt an den Kosten der nächsten Olympischen Spiele.
    Das ist durchaus ein wegweisender Vorgang, der auch erhalten werden muss.
    Nun geht es darum, die Kosten zu reduzieren. Was die Fernseheinnahmen anbelangt und was die Sponsoreneinnahmen anbelangt, da ist beim IOC längst eine gewisse Stagnation eingetreten. Da werden auch nicht mehr große Zugewinne in den nächsten Jahren zu erreichen sein.
    Es geht also um eine Konsolidierung der Kosten und es geht um eine Konsolidierung der Einnahmen, und da ist das IOC, denke ich, sehr gut aufgestellt. Man hat auch den Weg für die weitere Zukunft sehr sorgfältig geplant.
    Müller: Herr Digel, wie kann das sein, dass ganz viele Funktionäre, viele davon kennen Sie ja auch persönlich, jahrelang das alte System mitgetragen haben und jetzt glaubwürdig diesen Wandel zum neuen System verkörpern wollen, umsetzen wollen?
    Digel: Zunächst einmal sind Sportorganisationen in den westlichen Demokratien im Vergleich zu den Einrichtungen, die man dort antrifft, relativ autoritäre Organisationen. Die Rolle des Präsidenten ist ausgesprochen gewichtig konstruiert. In den internationalen Fachverbänden verfügen die Präsidenten über nahezu uneingeschränkte Macht und das hat zur Folge, dass auf der Basis einer OneVote, One-Country-Struktur die Regierungen der jeweiligen Verbände, die sogenannten Councils, in der Regel dem Präsidenten unterstellt sind.
    IOC-Reform trifft vor allem große Sportarten
    Müller: Ein Land, eine Stimme?
    Digel: Ja. Sie haben relativ geringen Einfluss auf die wichtigsten Entscheidungen. Ich sehe auch gerade deshalb in dieser Konstruktion nun für den weiteren Prozess dieser IOC-Reform eine ganze Reihe von Problemen, die auf uns da zukommen werden, denn die wichtigsten, die großen Verbände, die müssen in den nächsten Jahren ohne Zweifel Einbußen erleiden, wenn diese Reform gelingen will.
    Denn im Zentrum der Reform steht ja eigentlich eine Programmreform. Das heißt, die Olympischen Spiele sollen von den Inhalten und von den Angeboten für die Bevölkerung sich verändern. Sie sollen modernisiert werden. Dies bedeutet aber, dass die großen Sportarten wie Schwimmen, Turnen, Schießen, Leichtathletik kleiner werden müssen, wenn man diesen Raum schaffen möchte, und das wird enorme Verteilungskämpfe zur Folge haben, und vor allem werden die Besitzstände weiter verteidigt.
    Doping im Spitzensport: "Gefordert sind vor allem die nationalen Sportverbände"
    Müller: Zwischen den einzelnen Verbänden, sagen Sie. Wenn ich hier noch mal einhaken darf?
    Wir haben ja noch ein anderes Thema: Doping, Russland - wir haben eben mit Philipp May darüber gesprochen -, auch im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen. Da sind Hunderte Millionen Zuschauer, die da zuschauen, die auch die Medaillen beklatschen, und dann stellt sich heraus, es war Betrug. Ist das IOC jetzt konsequent genug beziehungsweise in der Lage, das ernsthaft anzugehen?
    Digel: Gefordert sind vor allem die nationalen Sportverbände. Das IOC als Dachorganisation kann dafür Sorge tragen, dass die WADA konsequenter und erfolgreicher ihre Arbeit leistet. Das ist nur bedingt der Fall. Wenn ich aber nun den russischen Fall betrachte, der ja nun allenfalls in der ganzen Welt als großer Skandal beklagt wird, da wird das IOC mit seiner Ethik-Kommission nur ganz bestimmt eine Rolle können.
    Es wird darauf ankommen, welche Rolle die WADA nun spielen wird bei den Untersuchungen, welche Rolle die Ethik-Kommission der IAAF dabei spielen wird und welche Rolle die nationale Anti-Doping-Agentur in Russland dabei spielen wird.
    Ich habe diesbezüglich erhebliche Zweifel, dass die bisher bestehenden Strukturen für derartige Fälle ausreichen. Die Ethik-Kommissionen haben sich bislang als relativ stumpfe Instrumente erwiesen, die in der Regel auch nicht über die Macht und die Durchsetzungsmacht verfügen. Teilweise liegt das auch an der Besetzung der Kommissionen. Aber ich glaube, dass es eher ein strukturelles Problem ist, warum diese Ethik-Kommissionen nur bedingt wirksam sind.
    Müller: Dann gehen Sie davon aus, dass diese russischen Vorgänge - es sind ja hohe russische Funktionäre daran beteiligt, offenbar ja auch im Leichtathletik-Weltverband mitgedeckt -, dass das keine Konsequenzen haben wird?
    Digel: Ich würde mir wünschen, dass es zumindest mal sofort zu einer vorläufigen Suspendierung kommt. Aber auch da sprechen die Satzungen teilweise dagegen.
    Nun wäre ja die Frage, welche Konsequenzen ergreift die Regierung, das heißt Putin mit seinem Sportminister in diesen Fragen, welche Untersuchungen werden vor Ort in Russland durchgeführt und wie kommt es dort zu den notwendigen juristischen Auseinandersetzungen, das heißt zu Gerichtsverhandlungen.
    "Solche Menschen müssen aus den Gremien des Sports entfernt werden"
    Müller: Also ohne Politik geht gar nichts?
    Digel: Ich glaube, bei kriminellen Delikten, wie sie hier nun in dieser ARD-Fernsehsendung beschrieben wurden und aufgedeckt wurden, da ist die Staatsanwaltschaft gefordert. Wo immer es Gerichte gibt, müssen solche Fälle vor Gerichten verhandelt werden und die Leute müssen der notwendigen Strafe zugeführt werden.
    Daneben muss die Sportgerichtsbarkeit tätig werden, und das heißt, solche Menschen müssen aus den Gremien des Sports entfernt werden und sie müssen mit Sperren oder mit den üblichen, in der Sportgerichtsbarkeit möglichen Sanktionen entsprechend bedroht und auch verfolgt werden.
    Müller: Die Reformen beim Internationalen Olympischen Komitee und die Doping-Bekämpfung - unser Thema mit dem internationalen Sportfunktionär Professor Helmut Digel. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Digel: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.