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Ionentherapie
Schnelle Teilchen gegen Krebs

Üblicherweise werden Krebspatienten heute mit Röntgenstrahlung behandelt - mit einer Dosis deutlich höher als bei einer Durchleuchtung. Bei der Protonen- und Ionentherapie wird hingegen mit elektrisch geladenen Teilchen behandelt, die man zu feinen Strahlen bündelt. Seit 2009 läuft in Heidelberg die leistungsfähigste Anlage ihrer Art in Deutschland - mit ersten Erfolgen.

Von Frank Grotelüschen | 25.06.2015
    Behandlungraum für Ionentherapie
    Seltene Tumorarten an Augen und Schädelbasis werden schon länger mit Protonen bestrahlt. (deutschlandradio / Frank Grotelüschen)
    "Also das ist das, was der Patient nicht sieht."
    Heidelberg, das Ionenstrahl-Therapiezentrum der Universität. In einem der Behandlungsräume hat der Physiker Andreas Peters eine Tür geöffnet und zeigt das Innenleben der Anlage. Ein beeindruckendes Ungetüm aus blau lackiertem Stahl, ein Wust von Trägern, Streben und Gelenken.
    "25 Meter lang ist die Struktur und 13 Meter im Durchmesser. 600 Tonnen Gewicht, von denen sich 450 Tonnen drehen. Nur die zwei Ständer hier stehen fest. Der Rest kann sich darin komplett drehen."
    Das Gebilde dient einem einzigen Zweck: Es lenkt einen gebündelten Teilchenstrahl so ins benachbarte Behandlungszimmer, dass er den Tumor eines Patienten möglichst optimal trifft. Das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum ist eine der wenigen Anlagen in Deutschland, die Krebspatienten nicht mit Röntgenstrahlen behandeln, sondern mit schnellen, elektrisch geladenen Teilchen. Der Aufwand dafür ist beträchtlich, sagt Prof. Jürgen Debus, der Chef der Einrichtung.
    "Die Heidelberger Anlage hat eine Grundfläche von 60 auf 70 Meter. Allein der Beschleuniger hat einen Durchmesser von 20 Meter. Wir beschleunigen darin die Teilchen auf etwa 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit."
    Streichholzfeiner Strahl
    Diese Teilchen sind entweder Protonen, also Wasserstoffkerne, oder aber Ionen etwa von Kohlenstoff. Wuchtige Magneten bündeln sie zu einem streichholzfeinen Strahl. Der wird dann zielgenau auf den Tumor des Patienten gelenkt, mit einer Präzision von einem halben Millimeter. Der Vorteil der Methode:
    "Das Besondere der Strahlentherapie mit Protonen und Ionen liegt darin, dass diese Teilchen präzise im Tumor gestoppt werden können. Sodass hinter dem Tumor eine geringere Dosis verabreicht wird und auch auf dem Weg zum Tumor die Dosis geringer ist im Vergleich zur Röntgentherapie. Die Hypothese ist, dass wir eine wesentlich höhere Wirkung im Tumor erreichen und gleichzeitig das umgebende Gewebe schonen."
    Wirksamer und schonender
    Zumindest für manche Tumorarten soll die Teilchentherapie wirksamer und zugleich schonender sein - etwa für bestimmte Formen von Lungen-, Darm- und Prostatakrebs. 2009 ging die Heidelberger Anlage in Betrieb, seitdem hat man knapp 3.000 Patienten behandelt, im Wesentlichen im Rahmen von klinischen Studien. Das Resümee:
    "Wir können sagen, dass das ein sehr sicheres Verfahren ist, dass auch die akute Verträglichkeit sehr gut ist. Bezüglich der langfristigen Tumorkontrolle müssen wir allerdings 5 bis 10 Jahre Kontrolldaten abwarten und hoffen dann, dass wir diese Aussage definitiv treffen können: Das Verfahren ist nun ein neuer Standard."
    In welchen Fällen die Teilchentherapie der konventionellen Röntgenbestrahlung tatsächlich überlegen ist, bleibt also noch abzuwarten. Dazu müssen die Forscher erst einmal die Überlebenszahlen der Patienten systematisch erfassen. Immerhin: Seltene Tumorarten an Augen und Schädelbasis werden schon länger mit Protonen bestrahlt, hier gibt es schon belastbare Daten.
    "Dort hat sich das Verfahren schon zu einem gewissen Standard entwickelt."
    Doch die Anlage in Heidelberg kann noch mehr - sie kann Patienten nicht nur mit Protonen bestrahlen, sondern auch mit den deutlich schwereren und energiereicheren Kohlenstoff-Ionen. Und die haben - zumindest auf dem Papier - ein zusätzliches Plus.
    "Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, dass die biologische Effektivität von Kohlenstoff-Ionen deutlich höher ist in dem Bereich, in dem dieser Strahl stoppt. Und trotzdem dort, wo der Strahl in den Patienten trifft, eine relativ geringe Belastung besteht."
    Erhoffter Erfolg auf dem Prüfstand
    Deshalb prüfen nun mehrere Studien, inwieweit der Kohlenstoff den Protonen tatsächlich überlegen ist. Im nächsten Jahr erhoffen sich die Experten verlässliche Daten für das Prostatakarzinom. Und auch krebskranke Kinder zählen zu den potenziellen Nutznießern. Bei ihnen gehen die Experten davon aus, dass Teilchenstrahlen in dem besonders sensiblen kindlichen Gewebe weniger Schäden hinterlassen als Röntgenstrahlen. Doch auch hier gilt: Bis die Vermutung zur Gewissheit wird, dürfte es noch dauern. Erst wenn man weiß, wie es den behandelten Kindern in einigen Jahren geht, wird man sicher beurteilen können, ob die doch recht teure Therapie mit den schnellen Teilchen den erhofften Erfolg bringt.