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IP-Adressen
Paradigmenwechsel in der digitalen Strafverfolgung

Laut Bundesverfassungsgericht dürfen Strafverfolgungsbehörden die IP-Adressen von überwachten E-Mail-Konten bei den Anbietern verlangen. Kritiker befürchten, dass Firmen diese sensiblen Daten erst extra erfassen müssen – und argumentieren, dass IP-Adressen bei der Aufklärung von Straftaten wenig helfen.

Von Ralf Hutter | 30.03.2019
Auf einem Computerbildschirm ist am Donnerstag (03.02.2011) in Berlin der Schriftzug "IP-Adresse" zu lesen.
E-Mail-Anbieter sind nicht zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet (picture alliance / dpa / Franz-Peter Tschauner)
Für Laien ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von Ende letzten Jahres wohl eine Selbstverständlichkeit, für die Branche hingegen ein bemerkenswertes Grundsatzurteil: Wenn die Strafverfolgungsbehörden ein E-Mail-Postfach überwachen, dürfen sie vom E-Mail-Anbieter auch verlangen, dass der ihnen die IP-Adressen mitteilt, von denen aus auf dieses Postfach zugegriffen wird – und zwar sogar dann, wenn er selbst sie gar nicht wissen will und sie normalerweise gleich wieder löscht.
Auch für Sebastian Fiedler ist das eine Selbstverständlichkeit. Der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter sieht darin keine Ausweitung der staatlichen Überwachungsmaßnahmen – vielmehr gehe es darum, dass die Ermittlungsbehörden mit der technischen Entwicklung Schritt halten müssen:
"Derzeit sieht es so aus, dass wir in vielen Bereichen der Kommunikation eine völlig unstreitige Überwachung der Kommunikation nicht mehr vornehmen können, weil die Technik und die Gesellschaft sich an der Stelle geändert hat."
Die letzte verbleibende Spur
Es gehe also um die Wiederherstellung des Zustandes von vor dem digitalen Zeitalter. IP-Adressen seien oft die letzte verbleibende Spur bei einer Ermittlung.
"Das Bundeskriminalamt hat ja vor gar nicht allzu langer Zeit noch einmal auf diesen Umstand hingewiesen, wie viele Tausende Verfahren der Kinderpornografie entsprechend nicht weiterermittelt werden können, weil eben diese Daten aufgrund der de facto nicht verfügbaren sogenannten Vorratsdaten nicht weiterbetrieben werden konnten", so Fiedler.
In wie vielen Fällen es dabei um Zugriffe auf E-Mail-Konten geht, kann Fiedler nicht sagen, dazu kennt er keine Statistik. Der vorliegende Fall begann für den E-Mail-Dienst Posteo 2016, als ein Gericht die Herausgabe von IP-Adressen verlangte, die zu einem Postfach gehörten, das nun überwacht werden sollte.
In dem Ermittlungsverfahren ging es um Drogen und Waffen. Posteo weigerte sich beharrlich, ließ es sogar auf ein Bußgeld ankommen und legte dann Verfassungsbeschwerde ein. Im Verfahren kam ihm die damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff mit einem Gutachten zu Hilfe, das dem Deutschlandfunk vorliegt.
In dieser Stellungnahme von April 2017 legte Voßhoff auf acht Seiten dar, dass ein E-Mail-Anbieter nicht zum Vorhalten, oder gar Erheben von Daten gezwungen werden kann, die von Ermittlungsbehörden gebraucht werden, von ihm selbst jedoch nicht.
Das Verfassungsgericht hat sich nun aber auf eine bisher nicht einschlägige Vorschrift berufen. In der Strafprozessordnung regelt Paragraf 100a die Telekommunikationsüberwachung. Er enthält zwei Mal die Formulierung "Inhalte und Umstände der Kommunikation". Zu den Umständen gehört nun mal die IP-Adresse, sagt das Gericht, und die kennt der E-Mail-Anbieter zumindest für einen kurzen Moment.
"Kaum sinnvolle Informationen zu holen"
Dass Posteo sie sofort löscht, sei nicht zwingend. Der Anbieter kann sie einer Ermittlungsbehörde zur Verfügung stellen, und müsse es deshalb auch. Diese Regelung greift aber nie rückwirkend, verpflichtet den E-Mail-Anbieter also nicht zur Vorratsdatenspeicherung. Peer Heinlein sieht den Beschluss des Verfassungsgerichtes trotzdem kritisch und bezeichnet ihn als Paradigmenwechsel.
"Bedenklich ist natürlich schon, wenn das Bundesverfassungsgericht hier angedeutet hat, ein Anbieter müsste zum Zwecke der Strafverfolgung Daten sammeln, oder speichern, die er eigentlich selber gar nicht speichern möchte, dann ist das schon eine sehr grundlegende Entscheidung, weil das war in der Vergangenheit anders. Das ist schon ‘ne sehr krasse Entscheidung", sagt Heinlein.
Heinlein betreibt seit den 1990ern E-Mail-Server, seit rund fünf Jahren bietet er den Dienst "Mailbox.org" an, der ähnlich wie Posteo auf Datensparsamkeit und Datenschutz achtet. Dort werden allerdings IP-Adressen einige Tage lang gespeichert, auch zur Sicherheit der Kundschaft.
Die Gerichtsentscheidung findet der studierte Jurist Heinlein brisant, denn es gibt laut ihm kein Gesetz, das eine Firma dazu zwingt, Daten, die sie nicht vorliegen hat, für die Strafverfolgungsbehörden extra anzulegen. Bei der Aufklärung von Straftaten will der Berliner jedenfalls kooperieren, und er tut das nach eigener Aussage auch oft. Seine Erfahrung dabei ist aber:
"Wer vorsätzliche kriminelle Straftaten begeht, der weiß sich eigentlich digital im Netz zu schützen, arbeitet mit anonymisierten IP-Adressen, und in aller Regel wird es dort kaum sinnvolle Informationen zu holen geben. Wir haben in all den Jahren so gut wie nie sinnvolle IP-Adressdaten ermitteln können."