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Kernfusion
Gigantische Fehlzündung bei der Bändigung des Sonnenfeuers

Groß wie ein Stadion und 3,5 Milliarden Dollar teuer: die National Ignition Facility. Nach dem Vorbild der Sonne sollen in der Kernfusionsanlage ultrastarke Laserstrahlen Wasserstoff zu Helium verschmelzen. Aber die Zündung der Energiequelle der Zukunft ist bislang gescheitert.

Von Frank Grotelüschen | 10.11.2020
Blick in die untere Hemisphäre der Zielkammer der National Ignition Facility, NIF
Blick in die Zielkammer der National Ignition Facility, NIF (Damien Jemison / Lawrence Livermore National Laboratory)
"Bevor wir einen Laserschuss abgeben, müssen wir die Halle evakuieren. Sonst könnten Leute durch den Laserstrahl verletzt werden. Deshalb darf hier während eines Schusses keiner drin sein."
Das US-Forschungszentrum Lawrence Livermore in Kalifornien, Frühjahr 2007. Der Physiker Bob Kauffmann steht in einer Riesenhalle, hoch wie ein Kirchenschiff. Über seinem Kopf: 192 Metallröhren. Durch jede von ihnen schießen Laserblitze – ultrakurz, aber ultrahell, mit einer Leistung im Terawatt-Bereich.
"These are terawatts. But for a very short time."
National Ignition Facility, NIF, so heißt der Superlaser. Er bündelt 192 Laserblitze auf einen Fleck – einen Metallzylinder kaum größer als eine Medikamentenkapsel. Darin steckt ein Kügelchen aus gefrorenem Wasserstoff.
"Die Laserstrahlen lassen das Brennstoffkügelchen schlagartig implodieren. Dabei entsteht in seinem Inneren ein Druck von 100 Millionen Bar und eine Temperatur von 100 Millionen Grad."
Bedingungen, bei denen der Wasserstoff zu Helium verschmelzen sollte. Die Zündung einer kontrollierten Kernfusion, die sich später als Energiequelle nutzen lässt – darauf hofften Bob Kauffman und seine Leute im Jahr 2007, kurz vor Fertigstellung von NIF.
"Unsere erste Zündung ist für September 2010 vorgesehen. Aber wir hoffen, es klappt schon früher."
Fusionsprojekt kämpft mit jeder Menge Schwierigkeiten
Doch dann kam es anders. Die Zündung der Kernfusion – bis heute ist sie dem kalifornischen Superlaser nicht geglückt. Der Grund:
"Einige Dinge konnten wir am Anfang nur schlecht einschätzen. Und manche unserer Annahmen haben sich dann in den Experimenten als falsch erwiesen."
Sagt Mark Herrmann, der heute Direktor der National Ignition Facility ist. Als NIF 2009 loslegte, basierten die Voraussagen auf Computersimulationen sowie auf Vorversuchen an kleineren Laseranlagen. Diese Voraussagen hatte nahegelegt, das der Superlaser in Livermore die Kernfusion eigentlich hätte zünden müssen. Doch dann stellte sich heraus: Die Berechnungen waren zu ungenau – und viel zu optimistisch. Ein Beispiel:
"Eines der Probleme war die Halterung der Brennstoff-Kapsel. Sie wurde von zwei extrem dünnen Kunststofffolien fixiert. Wir hatten angenommen, diese Folien würden die Implosion des Brennstoffs nicht weiter stören. Doch das stimmte nicht: Die Folien störten den Prozess so stark, dass die Kapseln auseinanderrissen und der Fusionsbrennstoff nicht heiß genug wurde."


Probleme wie dieses haben bis heute verhindert, dass NIF das Sonnenfeuer auf der Erde zünden konnte. Fortschritte gab es aber durchaus, betont Mark Herrmann.
"Wir machen das seit 2009. Seitdem konnten wir unsere Performance um den Faktor 20 steigern. Und ich bin optimistisch, dass wir weitere Fortschritte schaffen. Denn wir haben vor, unseren Laser noch leistungsfähiger zu machen und seine Energie um 50 Prozent zu erhöhen. Das testen wir bereits mit einem Teil der Strahlen. Wird das dann zur Zündung reichen? Das kann ich nicht versprechen, ich weiß es nicht. Deshalb machen wir ja die Experimente."
Ein Serviceaufzug ermöglicht Technikern den Zugang zum Inneren der Zielkammer der National Ignition Facility NIF
Blick in die Zielkammer der National Ignition Facility NIF (Philip Saltonstall / Lawrence Livermore National Laboratory)
Ein Fusionskraftwerk auf Laserbasis liegt in weiter Ferne
Zwar erreicht die Anlage die zur Zündung nötige Temperatur von 50 Millionen Grad, und es verschmelzen auch schon Wasserstoffkerne zu Helium. Doch da die Brennstoffkapseln zu früh auseinanderreißen, können sie nicht komplett zünden. Und ob und wann das passieren wird, ist noch nicht absehbar. Und selbst wenn es gelingt: Der endgültige Durchbruch für ein Fusionskraftwerk auf Laserbasis wäre das noch nicht. Denn anschließend müsste man untersuchen, ob sich das Ganze überhaupt in eine wirtschaftliche Technologie umsetzen ließe. Ist der Superlaser also bislang ein Fehlschlag? Nicht unbedingt, denn neben der Kernfusion verfolgt NIF zwei weitere Ziele: Zum einen dient er der Grundlagenforschung, sagt Mark Herrmann.
"Da geht es darum zu untersuchen, wie sich Materie unter extremen Bedingungen verhält, wie sie zum Beispiel im Inneren von Exoplaneten herrschen, von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems. Dafür ist NIF sehr geeignet, denn er kann Materie extrem zusammenquetschen."
Vor allem aber ist NIF essenziell für das US-Atomwaffenprogramm. Schließlich kann er jene Bedingungen simulieren, wie sie bei der Explosion einer Wasserstoffbombe herrschen. Damit hilft der Riesenlaser, das Arsenal der USA funktionsfähig zu halten, und zwar ohne die mittlerweile verbotenen Kernwaffentests.
"Wir haben mit NIF viele Versuchsreihen gemacht, um waffenphysikalische Fragen zu klären. Aufgrund der Geheimhaltung kann ich nicht ins Detail gehen. Doch auf jeden Fall konnte NIF viele Fragen beantworten."
Der militärische Aspekt war der Hauptgrund für den Bau der 3,5 Milliarden Dollar teuren Anlage, das war von Anfang an klar. Und in dieser Hinsicht ist NIF für seine Betreiber offenbar ein voller Erfolg.