Kentridge-Ausstellung in Frankfurt

"Die Sorte Ausstellung, die man nicht verpassen darf"

Der südafrikanische Künstler William Kentridge
Der südafrikanische Künstler William Kentridge © Liebieghaus Skulpturensammlung / Foto: Stella Olivier
Von Rudolf Schmitz · 21.03.2018
80 Installationen, Zeichnungen und kinetische Werke des südafrikanischen Künstlers William Kentridge sind in Frankfurt am Main zu sehen. "Kentridge bewegt das Liebieghaus" heißt es auf dem Ausstellungsplakat. Und tatsächlich ist das Haus komplett umgekrempelt worden.
"In "Refusal of Time" geht es um das Phänomen der Zeit, von Newton bis zum Schwarzen Loch. Benutzt werden dabei die Medien des Films und der Musik. Dieses Stück über die Zeit, in einem Raum mit 2000 Jahre alten Skulpturen, erzeugt ein Gefühl für die Dauer der Zeit. Ob man nun will oder nicht. Und das macht diese Installation hier einzigartig", sagt William Kentridge.
Kentridge ist sichtlich begeistert vom Effekt, den seine große Installation "The Refusal of Time" im großen Rom-Saal des Liebieghauses macht. Die Skulpturen und Reliefs an den Wänden werden überdeckt von den projizierten Filmen, verwandeln sich, geraten in Bewegung, werden zu Mitwirkenden der theaterhaften Installation, ebenso wie wir Zuschauer.
William Kentridge hat sich viel mit antiker Skulptur beschäftigt, vor allem mit den Spuren der Zerstörung, durch Zeit und menschlichen Vandalismus. So gibt es zwei Zeichnungen einer Aphrodite: einmal in ihrem schon beschädigten Originalzustand, dann nach der mutwilligen Zerstörung durch Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats in Palmyra.
"Antike Geschichte hat einen Platz in zeitgenössischer Politik und im Museum. Ruinen erinnern uns immer an die Vergangenheit. Aber wir vergessen, dass viele Ruinen von Menschen gemacht sind: Es gibt eine Tradition des Bildersturms, der Zerstörung der Idole und Skulpturen anderer Völker. Die Zeit zerstört alte Objekte, aber auch die Aggression der Menschen. Und das spürt man beides in diesem Museum", meint der Künstler.

Trotzki hält eine Rede auf Französisch

Trotzki im Exil in Istanbul. Das ist die Filminstallation, die der Ausstellung den Titel gegeben hat. Man sieht unter anderem Trotzki, der auf Französisch eine Rede hält, dann William Kentridge selbst, der, als Trotzki verkleidet, die gleichen pathetischen Gesten vorführt. Der Film wird in ein Hotelzimmer-Ambiente projiziert, es befindet sich mitten in der Mittelalter-Abteilung des Museums.


"Die Unmöglichkeit der Utopie und die Unmöglichkeit, keine Utopie zu haben – das beschäftigt mich seit langem. Und jetzt Trotzki in einem Raum mit mittelalterlichen Heiligenfiguren – das gab es bisher noch nicht. Das Werk wurde ursprünglich in einem Hotel in Istanbul gezeigt. Und jetzt tragen wir sein Exil in andere Städte der Welt. Aber es hat durch die farbigen Holzskulpturen hier im Raum eine ganz neue Richtung bekommen", so Kentridge.
O Sentimental Machine, 2015, 5-Kanal-HD-Video-Installation mit vier Megaphonen, schwarz-weiß, Ton, 9 Minuten, 55 Sekunden
O Sentimental Machine, 2015, 5-Kanal-HD-Video-Installation mit vier Megaphonen, schwarz-weiß, Ton, 9 Minuten, 55 Sekunden© Copyright: William Kentridge, 2018

Eine große Entdeckungstour

Die Ausstellung, die sich über alle Bereiche des Museums erstreckt und auch bis in die kleinsten Privaträume der historistischen Villa Liebieg vordringt, ist eine einzige große Entdeckungstour. Die Familie Liebieg waren reich gewordene Textilfabrikanten aus dem Böhmischen, die sich zur Jahrhundertwende diese Villa in Frankfurt bauen ließen und sie dann später samt Sammlung an die Stadt Frankfurt gaben.
Ein kleines mechanisches Miniaturtheater, die sogenannten Black Box von William Kentridge, ist jetzt in den ehemaligen Privaträumen aufgebaut. Kurator Vinzenz Brinkmann: "Und wenn wir jetzt die Black Box in den schönsten Raum dieser Villa, in den Salon, in den feierlichen Salon tragen, dann holen wir eine Anklage in das Herzstück einer vergangenen Welt. Die Black Box thematisiert den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts, nämlich die Tatsache, dass das preußische Militär tatsächlich die Hereros, Männer, Frauen und Kinder, zur Vernichtung preisgegeben hat. Das war 1904. 1904 saß das Ehepaar Liebieg noch in diesem Salon, hat die Zeitung gelesen, hat von diesen Vorgängen erfahren".
Rebus: Stamp/Telephone/Nude (aus Rebus, Serie von 8/9 Bronzeskulpturen), 2013 Bronze
Rebus: Stamp/Telephone/Nude (aus Rebus, Serie von 8/9 Bronzeskulpturen), 2013 Bronze© Copyright: William Kentridge, 2018, Foto: Thys Dullaart
Und so kommt explizit das Thema des Kolonialismus, mit dem sich William Kentridge als Südafrikaner ein Leben lang beschäftigt hat, ins Liebieghaus, ins Frankfurter Museum Alter Skulptur. Es stellt sich in diesem Dialog mit der zeitgenössischen Kunst von Kentridge auf den Prüfstand. Erprobt, mit außerordentlichem Gewinn, eine neue Form der Wahrnehmung. Und lässt sich dabei vom südafrikanischen Altmeister der Kinetik ordentlich durchschütteln.

"Viele Assoziationen hatte ich erwartet, andere waren überraschend. Es ist jedenfalls eine Ausstellung geworden, die die Dinge in Bewegung bringt", stellt William Kentridge fest.
"O Sentimental Machine" gehört zu der Sorte Ausstellung, die man nicht verpassen darf.

"O Sentimental Machine"
Ausstellung von William Kentridge
Liebieghaus Frankfurt/ Main
22.3-26.8.2018

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