Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Irak
Lernen im Flüchtlingscamp

Seit die IS Terrormiliz im Nordirak und Syrien wütet, sind rund anderthalb Millionen Menschen auf der Flucht. Viele von ihnen leben unter katastrophalen Bedingungen in Flüchtlingscamps - auch, was die Bildung angeht.

Von Heike Zafar | 08.05.2015
    Ein Junge spielt in der syrischen Stadt Aleppo im Schnee.
    Viele Flüchtlingskinder werden in provisorischen Schulen in Zeltstädten unterrichtet. (afp/AL-KHATIEB)
    Englischunterricht im Kinderzelt im Lager Kabarto: Die Sieben- bis Zehnjährigen sitzen auf dem Boden um eine weiße Tafel herum, Stühle und Tische gibt es hier nicht, aber immerhin Englischbücher. Der Lehrer schreibt die Wochentage an die Tafel, es sind viele Fehler darin - egal: Die Kinder haben Spaß.
    So läuft Schulunterricht in Kabarto, einem der größten Flüchtlingslager in Kurdistan im Nordirak. Christen, kurdische Jesiden und Muslime - sie alle sind vor neun Monaten vor den Terrormilizen der IS geflohen. Das Kinderzelt ist neu, freundlich und groß, Ruhe zum Lernen gibt es hier allerdings nicht. Neben der Ecke für die Schulkinder finden gerade Spiele für die Allerkleinsten statt:
    "Wir spielen hier gerade ein typisches kurdisches Spiel, ja, wir wollen, dass die Kinder etwas Spaß haben, sie reden immer von Daash, das heißt IS", sagt Goran, der Betreuer. Er selbst ist auch Flüchtling und weiß, wie es sich anfühlt, wenn man die Heimat und liebegewonnene Menschen verloren hat.
    Leben in einer riesigen Zeltstadt
    Leben in einer riesigen Zeltstadt
    Mehr als 30.000 Menschen leben im Lager Kabarto, eine riesige Zeltstadt. Über Nacht ist sie entstanden, und am Anfang gab es wichtigeres für die Flüchtlinge als Schulunterricht. Inzwischen ist aber allen klar, dass die Kinder lernen müssen, sagt Leylan Hamad, die den Schulunterricht im Lager Domiz organisiert:
    "Wir haben sechs Grundschulen im Lager und eine High-School, also weiterführende Schule. Wir brauchen so viele Schulen. Aber wir haben auch noch viele Lücken. Die Schulcontainer müssten dringend renoviert werden. Wir bräuchten eine Bibliothek, Computer und Material für Naturwissenschaften. Das alles ist sehr wichtig."
    Domiz ist nur wenige Kilometer von Kabarto entfernt, hier leben mehr als 60.000 Flüchtlinge. Es gibt sechs Grundschulen und eine weiterführende Schule. Die Schüler sollen zur Schule gehen, wenn sie aber arbeiten müssen oder gar Ernährer ihrer Familie sind, werden sie freigestellt. Die Unterrichtsräume in den Schulcontainern sind eng, die Luft ist stickig, die Schüler sitzen jeweils zu dritt an einem Zweiertisch. Aber sie sind glücklich, dass sie ihre Schule haben.
    "Die Schule ist wirklich sehr klein, es ist eng. Wir brauchen mehr Platz und uns fehlen Materialien. Das ist wirklich ein großes Problem."
    "Materialien zum Beispiel für Chemie, wir lernen nur aus Büchern. Wir haben keine Materialien zum Anfassen, dass wir verstehen, was wir da tun. Wir brauchen auch etwas für unsere Hände", sagt die 18-jährige Medya. Sie möchte gerne zum College gehen, studieren - erzählt sie uns. Wie sie sind die meisten ihrer Klassenkameraden hoch motiviert. Nervige Schüler, Gequatsche im Unterricht gibt's hier nicht, sagt der Lehrer. "Nein, niemals, warum sollten sie stören, sie wollen doch alle lernen."
    Hoch motivierte Schüler
    Und man spürt, dass es stimmt. Schade findet er allerdings, dass er nur 400 Dollar im Monat verdient. Zu wenig, um im Irak eine Wohnung zu mieten. Viele Eltern wollen ihre Töchter möglichst früh verheiraten, sagt Lagerleierin Leylan. Und wer einmal verheiratet ist, geht nicht mehr zur Schule. Drum gibt es jetzt spezielle Angebote, die das verhindern sollen, sagt Holger Tillmann vom deutschen Generalkonsulat in Erbil. Medya käme sowieso nicht auf die Idee, jetzt zu heiraten. Sie will lieber lernen. Und wenn sie und ihre Klassenkameraden sich etwas wünschen dürften, dann dies:
    "Wir wollen zum College gehen und die Möglichkeit haben zu studieren. Das ist alles." Medya hat übrigens eine Idee: Sie würde gerne einen Schüleraustausch organisieren. Die Gäste hätten es bei ihnen zu Hause bestimmt gut, sagt sie: Zu Hause, das ist im Zelt – für Medya ist es schon lange normal.