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Irak
Mit Kultur gegen die Gewalt

Bagdad ist gezeichnet von der ständigen Gefahr durch den IS und dem Terror. In dieser Situation geben ein deutscher und ein irakischer Musiker zusammen ein Konzert - in der festen Hoffnung, dass Kunst und Bildung für den Aufbau einer zivilisierten Gesellschaft wichtig sind.

Von Susanne El Khafif | 05.03.2016
    v.l.n.r.: Zinah Zakariya (Mitarbeiterin der Botschaft), Ekkehard Brose (Botschafter), Florian Heinisch (Piano), Karim Wasfi (Violoncello)
    v.l.n.r.: Zinah Zakariya (Mitarbeiterin der Botschaft), Ekkehard Brose (Botschafter), Florian Heinisch (Piano), Karim Wasfi (Violoncello) (Deutschlandradio - Susanne El Khafif)
    Zwei Musiker geben ein Konzert. Ein Iraker und ein Deutscher. Sie geben ihr Konzert in einer dutzendfach geteilten, von Schutzwällen durchzogenen Stadt, in der Mauern selten niedergerissen, eher immer neu errichtet werden – ein Wall um die Stadt herum ist im Bau. Er soll vor Terroranschlägen schützen.
    Annäherung an den Ort des Konzerts, Annäherung an Bagdad, die Hauptstadt des Irak. Ein fast leeres Rollfeld. Ödland. Sperrgebiet. Hohe Mauern entlang der Schnellstraße, die auf 16 Kilometern stadteinwärts führt. Am Rand Palmen, Blumen und Grün. Und immer wieder: Militärkontrollen, Schützenpanzer, Soldaten, Spürhunde, die nach Sprengstoff suchen.
    Mansour, einst ein vorzeigbares Stadtviertel mit Villen und Gärten, heute heruntergekommen, vernachlässigt, mit kaputter Bausubstanz. Hier liegt die Botschaft der Bundesrepublik, außerhalb der sogenannten Green Zone. Die ganze Anlage eine Festung mit meterhohen Wachtürmen, Schutzwällen, Sandsäcken und Stacheldraht. Das Wachpersonal ist schwer bewaffnet. Die deutsche Botschaft in Bagdad ist weltweit die am stärksten gesicherte Auslandsvertretung Deutschlands.
    Konzert auf internationalem Niveau
    Ein Konzert mit internationalem Niveau - das hat es in Bagdad schon lange nicht mehr gegeben. Aus Angst vor Anschlägen, aus Mangel an Interesse. Weil es im alten Kulturland Irak heute schwer ist, hochwertige Musikinstrumente aufzutreiben. Botschafter Ekkehard Brose hat das Unmögliche möglich gemacht, hat die beiden Musiker zusammengebracht, den Pianisten Florian Heinisch und den Cellisten Karim Wasfi. Sie spielen Brahms und Beethoven. Anspruchsvolle klassische Musik.
    Jung der eine: ein herausragendes Nachwuchstalent, weltoffen und wissbegierig, nachdenklich.
    "Diese Konstellation, dass ein Deutscher mit einem Iraker zusammenspielt, ist einfach ein Zeichen des politischen Friedens, da Musik eine Sprache ist, die alle verstehen. Musik ist eine Sprache, die verbindet. Musik ist aber vor allem eine gewaltfreie Sprache. Und Musik gibt definitiv Hoffnung."
    Deutlich älter der andere: weit gereist, ein erfahrener Musiker, der Dirigent des Nationalen Irakischen Symphonieorchesters, dem hat er neues Leben eingehaucht. Mit seinen Musikern tritt Wasfi im ganzen Land auf, setzt sich über ethnische und religiöse Grenzen hinweg. Auch, um gegen alle die ein Zeichen zu setzen, die Kunst und Musik als Teufelswerk brandmarken, die nicht davor halt machen, Jahrtausende altes Kulturerbe zu zerstören.
    "Eine zivilisierte Gesellschaft aufzubauen, die – im Gegenteil - dem Terror begegnen kann: Eine solche Gesellschaft muss gebildet sein, muss sich den Künsten, den Errungenschaften anderer Kulturen öffnen. Wenn eine Gesellschaft das nicht tut, dann vermag sie gar nichts, dann kann sie nicht standhalten."
    Versuch von Normalität in Bagdad
    Karim Wasfi der Aktivist, der als Solist die Stätten des Terrors, von Bomben zerfetzte Gebäude, aufsucht, sein Cello auspackt und spielt.
    "Ich tue es, weil ich agieren, nicht reagieren will. Ich will den Menschen die Kraft geben, der Angst zu widerstehen und an das Leben zu glauben. Nicht an den Tod."
    Wasfi spricht von Normalität. Auch in Bagdad.
    "Es gibt Cafés, Galerien, Konzerthäuser, Mode, Malls und Kinos mit Popcorn. Es gibt Bier und Wein. Das Leben ist normal, nicht 100 Prozent. Aber wir machen es dazu. Weil wir funktionieren."
    Und wenn es dann doch passiert? In einem Café, einer Galerie, auf einem Markt - da, wo möglichst viele Menschen zusammenkommen.
    "Du ignorierst es. So einfach ist das. Wenn du nahe dran bist, dann fragst du dich: Lebst du noch? Kannst du noch gehen? Man muss einfach weitermachen, studieren, spielen, lesen, unterrichten."
    Weitermachen. Der Eine in Deutschland, der Andere im Irak. Vielleicht werden beide Musiker auch in Deutschland gemeinsame Konzerte geben.
    Von der Dachterrasse der Botschaft schweift der Blick in die Ferne, über den Schutzwall und den Stacheldraht hinaus. Wo man hinblickt, Antennen, Satellitenschüsseln, Wassertürme. Ein Militärhubschrauber fliegt vorbei. Hinter Palmen ist die Rahman-Moschee auszumachen. Mit der hatte sich der Diktator Saddam Hussein einst ein Denkmal setzen wollen, mit einer der größten Moscheen im Irak. Nach der Invasion 2003 wurden die Arbeiten eingestellt. Heute ist die Moschee nur mehr gigantische, gespenstisch anmutende Bauruine, über der die Kräne zusammengebrochen sind und vor sich hinrosten. Am Horizont dann ein Riesenrad, Türme, die in allen Farben des Regenbogens leuchten.
    Viele Selbstmordanschläge in Bagdad
    Dämmerung bricht herein. Die Konzertmusik ist einer anderen Musik gewichen. Muezzine rufen zum Gebet, von weit her dringen leise die Geräusche einer Großstadt von mehr als fünf Millionen Einwohnern, Sirenen, Autohupen, eine Hochzeit. So etwas wie Frieden stellt sich ein.
    Am Tag nach dem Konzert verüben Selbstmordattentäter einen Doppelanschlag, wie so oft in diesen Tagen. Diesmal auf einem belebten Markt in Sadr-City, einem schiitischen Stadtteil im Nordosten der Hauptstadt, nur wenige Kilometer von der Deutschen Botschaft entfernt.
    Als der erste Sprengsatz detoniert, eilen Helfer herbei. Da zünden die Attentäter einen zweiten, um noch mehr Leben auszulöschen. Es sterben mindestens 73 Menschen. Zu der Bluttat bekennt sich die Terror-Organisation IS, der selbst ernannte Islamische Staat. Dessen eigentliches Herrschaftsgebiet beginnt derzeit bei Falludscha - etwa 60 Kilometer von der irakischen Hauptstadt entfernt.