Donnerstag, 28. März 2024

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Iran-Atomabkommen
"Europas Geschlossenheit ist jetzt zentral"

Mit seinen abgewogenen Äußerungen zur Drohung Trumps, das Atomabkommen mit Iran zu kippen, habe der iranische Präsident sich vor allem auf die Europäer zubewegt, sagte CSU-Politiker Manfred Weber im Dlf. Europa müsse nun den Dialog mit Partnern in US-Kongress und Senat suchen, Iran sich als verlässlicher Partner zeigen.

Manfred Weber im Gespräch mit Bettina Klein | 15.10.2017
    Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber mit zu Fäusten geballten Händen am 19.05.2016 in Berlin.
    Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der EVP im Europäischen Parlament, ist zuversichtlich: "Wir sind politisch relevant auf dieser Welt, wenn Europa geeint ist". (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Klein: Herr Weber, beginnen wir außerhalb Europas mit einer Frage, die Europa natürlich betrifft, die die EU sich zu eigen gemacht hat und die an diesem Wochenende – zumindest diesseits des Atlantiks – nicht wirklich kontrovers diskutiert wird. Die Kritik an Donald Trump und seinen Signalen in Sachen Iran-Abkommen, die ist fast einhellig. Die EU-Außenbeauftragte hat noch am Freitagabend hier in Brüssel eine kurze Pressekonferenz dazu gegeben, in der sie davor nachdrücklich gewarnt hat, das Abkommen einseitig aufzukündigen – was ja noch nicht passiert ist. Federica Mogherini war ja auch mit an der Aushandlung beteiligt. Zunächst einmal die Frage an Sie: Wie gefährdet, glauben Sie, ist das Abkommen zurzeit?
    Weber: Das Positive der letzten Tage ist, dass eben Trump das Abkommen jetzt nicht schon vorab gekündigt hat, sondern eben Druck aufgebaut hat. Wir Europäer stehen – Gott sei Dank – zusammen. Das ist der große Erfolg der europäischen Außenpolitik, dass wir jetzt geschlossen in dieser Frage stehen, dass auch Federica Mogherini sowohl die Staaten hinter sich hat, als auch das Europäische Parlament. Weil es ja bei dem Iran-Abkommen um eine ganz fundamentale globale Frage geht, nämlich: Kann man sich als Staat, der mit der Staatengemeinschaft so einen Deal, so ein Abkommen verhandelt, kann man sich darauf verlassen, dass dieses Abkommen dann auch gilt? Wir haben ja auch Nordkorea auf dem Tisch. Und gerade wenn man sich die beiden Länder anschaut, die schwierig sind, die schwierige Regime haben, wo wir versuchen, dass der Weg zur Atomwaffe verbaut wird – gerade im Iran -, dann müssen wir gewährleisten, dass das, was vereinbart worden ist, auch gilt. Und die Wiener Prüfer sagen uns ja, dass das Atomabkommen umgesetzt wird. Also, insofern, die Geschlossenheit Europas ist jetzt zentral.
    "Wir wollen das friedlich lösen, diplomatisch lösen"
    Klein: Wie genau soll sich die Europäische Union denn jetzt verhalten?
    Weber: Wir müssen einfach werben. Wir müssen argumentieren, wir im Europäischen Parlament mit unseren Kollegen im Kongress, im Senat in Amerika, die Außenminister auf ihrer Ebene. Wir müssen werben und werben und werben für die Argumentation. Und wenn ich das mal so sagen darf, das ist halt auch ein Erfolg oder dieses Abkommen ist auch ein Beispiel für die europäische Art, Konflikte zu lösen. Eben zunächst Druck auszuüben auf einen Staat, mit den Wirtschaftssanktionen – so wie wir es gegenüber dem Iran jetzt über Jahre hinweg gemacht haben –, um diesen Staat zur Vernunft zu bringen und zu sagen: 'Bitte geh weg von deinem Ansatz, Atomwaffen zu besitzen und sie dann auch zu entwickeln.' Und auf der anderen Seite, dann wenn der Staat bereit ist zu kooperieren, dann diplomatische Wege gehen, dann auch den Konsens zu suchen. Und das ist unser europäischer Weg. Nicht zunächst mal militärisch zu intervenieren, nicht zunächst mal die Waffe zu zücken, sondern zu sagen: 'Wir wollen das friedlich lösen, diplomatisch lösen.' Und deswegen ist dieses Abkommen so wichtig.
    "Wir sind politisch relevant auf dieser Welt, wenn Europa geeint ist"
    Klein: Aber welchen Einfluss hat die Europäische Union da im Augenblick, Ihrer Meinung nach? Überschätzt man sich da vielleicht auch?
    Weber: Nein. Wir sind auch wichtiger Partner – die Amerikaner wissen das auch. Und ich würde sogar behaupten, dass die jetzige Zurückhaltung von Donald Trump, dass er nicht sofort das Abkommen gekündigt hat, auch dem geschuldet ist, dass die Europäer klare Position vertreten haben. Wir stehen geeint. Wir sind ein großer Wirtschaftsraum, wir sind politisch relevant auf dieser Welt, wenn Europa geeint ist. Und deswegen ist ein Anfangserfolg da. Aber wir können uns noch nicht ausruhen.
    Positive Signale aus dem Senat, von Tillerson
    Klein: Wie müssen wir uns das vorstellen? Reist da jetzt zwei Monate lang wer alles nach Washington aus Europa, um den Kongress vor möglichen Sanktionen abzuhalten?
    Weber: Natürlich – wir müssen miteinander reden. Wir werden die Probleme nur im Gespräch klären. Und deswegen ist der Dialog das Entscheidende. Und wir wissen ja auch, dass wir in Amerika viele Partner haben im Kongress. Im Senat beispielsweise, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat sich klar positioniert. Wir haben auch vom Tillerson positive Signale. Auch der Verteidigungsminister hat sich positiv geäußert. Das heißt, wir müssen einfach weiter werben, werben, werben. Und natürlich muss aber auch der Iran seinen Beitrag leisten. Das heißt, der Iran muss auch deutlich machen, dass er dieses Abkommen genauso will, dass er verlässlicher Partner ist. Und ich sehe deswegen die Äußerungen des iranischen Präsidenten als ermutigend an, er hat sich sehr, sehr abgewogen geäußert, hat sich einen Schritt auch auf die Partner, vor allem auf die Europäer zubewegt. Wenn der Iran deutlich macht, dass er verlässlich ist, dass er sich wirklich auch prüfen lässt, dass wir die Garantie haben, dass der Iran, wegkommt vom Weg zur Atombombe, dann haben wir gute Argumente, Donald Trump zu überzeugen.
    "Iran ist gewillt, das umzusetzen"
    Klein: Ich würde gerne mal auf die inhaltlichen Argumente kommen. Die Begründung ist ja nicht, dass der Iran jetzt technisch gesehen gegen die Vereinbarung verstößt, sondern – wie Trump am Freitag sagte – gegen den Geist des Abkommens. Das auch dazu dienen sollte, die Region zu befrieden oder zu stabilisieren, und das ist nach Einschätzung Einiger in den USA offensichtlich jedenfalls nicht geschehen. Was ist an der Einschätzung falsch?
    Weber: Die Region ist sicher eine Region, die instabil ist. Wir haben die Konflikte in der Nachbarschaft von Saudi-Arabien, wir haben den Irak, wir haben den Iran, wir haben im Norden Afghanistan, diese instabile Region. Und deswegen ist aus unserer europäischen Sicht heraus gerade dieses Abkommen jetzt der erste Einstieg in diplomatische Lösungen der Konflikte in der Region. Wir können einfach die Argumentation von Trump da nicht nachvollziehen, wenn er sagt, es wird gegen den Geist verstoßen. Wenn Iran sich verpflichtet, keine Atomwaffe zu entwickeln, dann ist es für die gesamte Region ein wesentlicher Schritt, dass wir nicht in einen massiven Rüstungswettlauf laufen in dieser Region der Welt. Und deswegen: Wir glauben, dass es ein wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung ist und wir glauben auch, dass der Iran sich bisher an diese Vereinbarungen hält. Keiner kann prognostizieren, ob das auch in drei, vier, fünf Jahren noch sein wird, aber im Moment haben wir es mit einem Iran zu tun, der gewillt ist, das umzusetzen. Und die Prüfer, die Inspektoren, geben uns die Versicherung, dass er bisher alles plangerecht vollzieht. Insofern: Wir müssen dranbleiben!
    "Partnerschaft in den Mittelpunkt stellen"
    Klein: Wenn ich das richtig verstehe, dann besteht ja inhaltlich insofern gar kein Dissens mit den Amerikanern – so äußern sich jedenfalls Diplomaten auch hier in Brüssel, hinter den Kulissen –, dass man eben auch – erstens – beklagt das Raketenprogramm des Iran und zweitens sagt: ‘Jawohl, wir teilen auch die Kritik an der Rolle, die der Iran in der Region spielt – Stichwort "Unterstützung von terroristischen Gruppen" et cetera. Was ich noch nicht verstehe ist, wie Europa, wie die Europäische Union in diesen Fragen mit dem Iran jetzt vorankommen will?
    Weber: Wenn wir das Iran-Abkommen zur Entwicklung von Atomwaffen nehmen – das ist sehr substanziell, wenn es um Atomwaffen geht –, wenn wir da einen Erfolg haben, dann ist das für uns der Einstieg in eine neue Entwicklung in der Region, wo wir die Partnerschaft in den Mittelpunkt stellen und nicht das Gegeneinander in den Mittelpunkt stellen. Das heißt nicht, dass alle Probleme gelöst sind in der Region, aber es heißt, es ist der richtige Ansatz, der richtige Einstieg. Und wenn Sie mir erlauben, darf ich es noch mal mit Nordkorea vergleichen. Wie soll man den mit Nordkorea zu einer diplomatischen Lösung überhaupt kommen, wenn uns die Chinesen und andere unterstützen, wenn wir gegenüber dem Iran selbst vertragsbrüchig werden, also, wenn selbst eine neue Regierung in Amerika da ist und die plötzlich sagt: 'Ich schere mich nicht mehr darum, was Obama verhandelt hat, ich werfe jetzt alles über den Haufen.' Wenn das sozusagen in der internationalen Politik der Standard wird, dann wird es enorm schwer, überhaupt internationale Verträge auszuhandeln. Und deswegen geht das weit über die Frage Iran hinaus, weit über die Frage, was in der Region passiert, hinaus. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Staatengemeinschaft.
    "Trump will weiter ins Gespräch kommen"
    Klein: Stichwort "China" fiel schon. Es gibt ja Einige, die jetzt durchaus durchklingen lassen: 'Na, wunderbar, dann verbrüdern wir uns jetzt eben mit Moskau und Peking gegen Washington, zumindest gegen das Weiße Haus oder gegen diesen Präsidenten'. Ist das der Weg, den die Europäische Union da einschlagen sollte?
    Weber: Wir wollen kein Gegeneinander, wir wollen das Miteinander. Und das Ermutigende ist, dass wir in Amerika auch viele Partner haben, die das ähnlich sehen, wie wir Europäer das sehen. Und jetzt muss weiter argumentiert werden. Der Zwischenschritt ist gut, dass eben das Abkommen jetzt nicht sofort gekündigt worden ist. Trump hat angekündigt, er will jetzt mit dem Kongress über Sanktionen reden, er will weiter ins Gespräch kommen. Und deswegen ist unser Ansatz jetzt, in Washington mit unseren Kollegen zu reden, zu argumentieren und dafür zu werben, jetzt nicht Schaden anzurichten.
    Österreich-Wahlen: "Klare Absage an jede ÖXIT-Debatte"
    Klein: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, mit Manfred Weber, CSU, Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament. - Donald Trump als US-Präsident, das war sicher eine Entwicklung der vergangenen zwölf Monate für die Europäische Union, die mit großer Sorge beobachtet wurde. Eine andere, Herr Weber, das waren oder sind populistische oder rechtsgerichtete Parteien in Europa, die die europäischen Institutionen und auch Errungenschaften der Europäischen Union im Kern angegriffen haben oder auch immer noch angreifen, politisch und verbal jedenfalls. Und da kommen wir so ein bisschen zu dem Punkt "multilaterale Welt und was heißen Verträge', wenn wir jetzt auch mal auf die Europäische Union schauen. Dann setzte ein wenig Beruhigung ein nach den Ergebnissen in den Niederlanden und vor allem auch in Frankreich, in der ersten Jahreshälfte. Aber das Thema ist nicht wirklich vom Tisch, an diesem Sonntag heute wird eine weitere Wahl stattfinden bei unseren Nachbarn in Österreich – nicht nur in Niedersachsen. Dort auch eine relativ starke rechtspopulistische Partei, die FPÖ, von der man ja auch ähnliche Töne gehört hat. Zunächst einmal, um darauf mal zu schauen: Welchen Wahlausgang erwarten Sie heute am Ende für Wien?
    Weber: Das liegt in der Hand der Wähler. Es steht nicht unseren Politikern zu, Wahlausgänge zu prognostizieren. Wir werden warten, was herauskommt. Aber klar ist, eine Koalition, eine Regierung in Österreich kann es mit Unterstützung der europäischen Volkspartei, der bürgerlichen Kräfte, nur geben, wenn ein klarer pro-europäischer Ansatz dieser Regierung dahintersteht: 'Wir müssen mitgestalten wollen.' Das heißt, es muss eine klare Absage an jede Debatte um den ÖXIT. Es muss eine klare Absage an jede Debatte um den Euro geben. Und dann kann man auch in die Zukunft sehen. Ich sehe, dass das Sebastian Kurz als Kandidat der Österreichischen Volkspartei genauso sieht und deswegen ist das unsere Benchmark.
    Koalitionen: "Grundvoraussetzung ist eben das pro-Europäische"
    Klein: Ausgeschlossen ist ja nicht, dass die FPÖ mit an die Regierung kommt. Wir erinnern uns vielleicht noch an das Jahr 2000. Da hat es so etwas wie – ja – Sanktionen – sprichwörtlich genannt – von der Europäischen Union gegen Wien gegeben. Droht das jetzt auch wieder in diesem Fall? Ist das ein probates Mittel, dass man sich heute noch vorstellen kann?
    Weber: Ich rate, auf die Inhalte zuschauen. Und bei den Inhalten wird sich herausstellen, wie die FPÖ sich in einer möglichen Konstellation ... Es gibt ja auch eine Alternative. Man könnte vielleicht auch – wenn es das Wahlergebnis hergibt –über Jamaika – wie bei uns in Deutschland – reden in Österreich. Also, es gibt noch Optionen. Aber wenn es in die Richtung gehen würde, dann ist die Grundvoraussetzung eben das pro-Europäische. Das heißt, ich rate, auf die Inhalte zu schauen. Und in Österreich muss man ja sehen, dass auch die FPÖ schon heute in Regierungsverantwortung ist, zwar auf regionaler Ebene, wie wir es beispielsweise im Burgenland haben, wo sie mit der Sozialdemokratie in einer gemeinsamen Regierung ist. Das heißt, es kommt auf die Inhalte an, die sollten wir uns einfach als Kriterium vornehmen.
    Beitrag zur "Verteidigungsgemeinschaft"
    Klein: Also, so etwas wie Sanktionen oder Strafmaßnahmen der Europäischen Union gegen Wien würden Sie in diesem Falle ausschließen?
    Weber: Also, ich sehe das aktuell nicht. Wir werden uns – wie gesagt – mit den Inhalten beschäftigen. Ich vertraue darauf, dass Sebastian Kurz, sollte er die Möglichkeit haben, eine Regierung zu bilden, da klare Linie fährt. Ich durfte bei seinem Wahlkampfauftakt in Wien mit dabei sein. Und als er seine sieben Punkte für die Zukunft Österreichs vorgestellt hat, war der siebte Punkt: 'Die Zukunft Österreichs ist an einem starken Europa verankert. Wir können unser Land, unser Volk, Österreich, nur stark machen, wenn wir im europäischen Verbund mit dabei sind.' Und er geht sogar so weit, dass er sich auch bei der Frage "Verteidigungsgemeinschaft', die wir ja derzeit in Europa diskutieren, nicht herausnimmt und sagt: 'Ich möchte Beiträge leisten – also Österreich – zu dieser europäischen Verteidigungsgemeinschaft.' Das heißt, er geht Schritte hin zu einem starken Europa, das sich auf die großen Aufgaben unserer Zeit konzentriert. Und das muss genau die Linie der neuen Regierung sein.
    "Wir brauchen einen Subsidaritätscheck in Europa"
    Klein: Das heißt, Sie teilen nicht die Befürchtungen jener die sagen: 'Wenn das so kommt, wenn Sebastian Kurz Kanzler wird, wenn die FPÖ an die Regierung kommt, dann wird nur noch wenig übrig bleiben von den Reformideen", die in den vergangenen Wochen vor allen Dingen in Brüssel und Paris ja ventiliert wurden…
    Weber: Sehe ich nicht. Wir werden ringen miteinander. Und da hat Österreich eine Stimme, da hat Frankreich eine Stimme und da werden wir alle beitragen, da werden wir alle diskutieren miteinander. Entscheidend ist der Wille, mitzugestalten. Die entscheidende Frage ist: Will man vorangehen? Und dann darf es aber auch unterschiedliche Akzente geben. Zum Beispiel, dass wir einen Subsidaritätscheck in Europa brauchen. Und es darf nicht immer nur "mehr Europa" diskutiert werden. Wir müssen auch überlegen, wie wir die Balance zwischen nationaler, regionaler Politik und eben der europäischen hinkriegen. Und da gilt für uns das Leitmotiv von Jean-Claude Juncker: "Big on big things and small on small things". Das heißt, auf die wesentlichen Sachen konzentrieren und da auch Erfolge erzielen. Wir werden Europa den Menschen nur nahebringen, wenn wir in der Sache auch erfolgreich sind. Also, die Debatte darf sein und da dürfen auch verschiedene Akzente gesetzt werden.
    "Sorgen der Menschen ernst nehmen"
    Klein: Als eines der Erfolgsrezepte für Sebastian Kurz gilt ja, dass er die Parolen oder die Themen der FPÖ kopiert und denen wichtige Themen weggenommen hat. Also, so kolportieren es etwa auch österreichische Kollegen, dass er auf so gut wie jede Frage mit dem Wort "Flüchtlinge" geantwortet hat. Halten Sie das für eine empfehlenswerte Strategie, um sicherzustellen – was ja auch Ihre Partei nach den Bundestagswahlen postuliert hat –, dass man sozusagen die Flanken am rechten Rand sichern müsse? Ist das, was die ÖVP da vorgelegt hat, empfehlenswert?
    Weber: Also, zum einen zu Sebastian Kurz. Es ist so, da würde ich sagen, was Kolleginnen und Kollegen dann aus der journalistischen Sicht also sagen, ist aus meiner Sicht deutlich verkürzt. Er hat viel zur Sozialpolitik gesagt, zu anderen Themenfeldern. Also, er ist breit bei den Themen aufgestellt. Aber die Grundsatzfragen, wie geht man mit Populismus um, die stellt sich in Österreich und ganz Europa. Und die Grundantwort muss sein: Sorgen der Menschen ernst nehmen. Warum wählen die Menschen diese Populisten? Die Sorgen, die dahinterstehen, müssen Politiker, Demokraten, ernst nehmen. Und auf der anderen Seite, harte Abgrenzung gegenüber extremistischem Gedankengut. Das ist das, was uns im Europäischen Parlament bewegt. Ich habe als Fraktionschef, wir haben ja dort Le Pen bisher sitzen gehabt und andere, die dort Verantwortung tragen im Europäischen Parlament – und da war für mich als EVP-Chef immer klar: Harte Abgrenzung zu den Rechten, keine Zusammenarbeit mit den extremsten Kräften, die wir dort haben, aber in der Sache die Themen, die Menschen ernst nehmen, die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Dieser Spagat muss uns gelingen.
    "Schengen-Ausnahmen faktenbasiert angehen"
    Klein: Ein Thema, das Österreich und Deutschland verbindet, war gerade in vergangenen Tagen aktuell geworden. Beide Staaten, zusammen mit weiteren, haben jetzt die Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raumes noch einmal verlängert um sechs Monate. Die Innenminister beugen sich gerade über Reformvorschläge des Schengen-Vertrages, die von der EU-Kommission gekommen sind. Der estnische Innenminister sagte am Freitag, den Gerüchten, dass Schengen tot sei, wolle er entgegentreten in Anlehnung an Mark Twain, diese Berichte seien verfrüht. Auf der anderen Seite sagt der EU-Kommissar Avramopoulos: 'Wenn Schengen stirbt, dann stirbt Europa." Wie viele Ausnahmen vom Schengen-Vertrag kann Europa noch verkraften?
    Weber: Wenn wir diese Ausnahmen faktenbasiert angehen, dann unterstützen das die Menschen und dann ist es auch kein Schaden für Europa. Wir hatten in der ersten Phase die Flüchtlingsfrage, die zu diesen Ausnahmen geführt hat, beginnend in Schweden, dann Dänemark, dann Österreich, Deutschland und so. Und jetzt haben wir die Argumentation, die nach wie vor vorhandene Terrorgefahr, die wir auf diesem Kontinent haben. Wenn wir es Faktenbasiert machen und nicht politisch-ideologisch fundiert machen, dann ist es absolut in Ordnung. Und es zeigt ja sogar, dass die Rechtslage das hergibt. Das heißt, die Schengen-Verträge bestätigen ja geradezu, dass man eben das temporär machen kann. Die große Frage ist, wie schaut das Ziel aus? Und das Ziel muss sein: Wir müssen dauerhaft wieder zurückkommen zu einem grenzenlosen, freien Reisen auf diesem Kontinent und Bewegen auf diesem Kontinent. Das ist die Grundidee, die dahintersteckt. Und das erreichen wir indem wir die Probleme dahinter lösen. Die Außengrenzenkontrolle – die Frage, dass wir die Menschen vergewissern: Wir haben unsere Grenzen unter Kontrolle. Und die Zusammenarbeit beim Antiterrorkampf – wir brauchen da mehr Kooperation zwischen den Behörden. Wir haben im Europäischen Parlament – jetzt nach den Terroranschlägen Berlin, Paris, auch London – einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, wo wir Klarheit schaffen wollen, wo es zu Versagen kommt in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden. Und wenn wir diese Baustellen jetzt abgeräumt haben, dann können wir auch die Grenzkontrollen wieder dauerhaft abschaffen.
    "Flüchtlinge organisiert nach Europa holen"
    Klein: Sie haben es angedeutet, die letzten zwei Jahre lautete die Begründung, eben nach Artikel 29 des Schengen-Vertrages, die hohen Migrationszahlen, die eben zu verzeichnen waren. Damit sind wir noch mal bei dem Thema "Flüchtende nach Europa". Da sieht es weiterhin insofern düster als, als es da an Solidarität mangelt und man ja weiterhin nicht weiß, ob es überhaupt bis zum Ende des Jahres dazu kommen wird, dass ein neues Asylsystem etabliert werden kann. Wo stehen Sie bei diesem Punkt im Augenblick? Wo stehen wir alle im kommenden Jahr, wenn es weiter heißt: 'Wir machen die Grenzen dicht und bei der Umverteilung dürfen sich weiter weitere Staaten herausnehmen und eben keine Solidarität zeigen'?
    Weber: Die Flüchtlingsfrage, die wir seit 2015 jetzt in großer Dramatik auf dem Tisch haben in Süd- und Mitteleuropa, ist eine der großen offenen Wunden dieses Kontinents. Und wir müssen sie politisch schließen. Es muss der Wille da sein, eine europäische Antwort darauf zu geben. Und wie kann die ausschauen? Die muss erstens ausschauen: Wir müssen die Grenzen sichern – das muss Vorbedingung sein, dass wir wissen, wer an unserer Grenze reinkommt. Und da sind wir auch groß vorangekommen. Im Vergleich zu 2015 haben wir nur noch 20 Prozent der Flüchtlingszahlen, die wir von 2015 hatten. Das heißt, Grenzen sichern, aber nicht Mauern bauen. Das heißt, andererseits brauchen wir eine Methodik, um Flüchtlinge organisiert nach Europa zu holen – das ist das Resettlement, so diskutieren wir das in Brüssel. Steht jetzt auch in der Vereinbarung von CDU/CSU als einer der Punkte drinnen. Das heißt, der Staat entscheidet gemeinsam mit den Vereinten Nationen, wie viele Menschen – Schlagwort "Kontingent", Schlagwort "Obergrenze" – und welche Menschen wir nach Europa holen. Wir wollen das im Europäischen Parlament und wir werden da weiter Druck machen. Und das Dritte ist dann die von Ihnen angesprochene Solidarität. Wir werden im Europäischen Parlament, wenn es jetzt um die Dublin-Verordnung geht, beweisen, dass wir die Solidarität gesetzgeberisch wollen. Das heißt, der eine Gesetzgeber, das Parlament, wird die "Quote", die Verteilungsgerechtigkeit sicherstellen auf diesem Kontinent. Und wir hoffen, dass der Egoismus der Mitgliedsstaaten jetzt abnimmt, dass wir dort Bewegung bekommen, in der zweiten Kammer, eben beim Ministerrat, dass wir auch dort Fortschritte erzielen. Wir, wie gesagt, in Brüssel, sind ready, wir sind fertig damit.
    Türkei: "Es kann kein 'Weiter so' geben"
    Klein: Herr Weber, schauen wir noch kurz auf die kommende Woche. Kommenden Donnerstag und Freitag hier der EU-Gipfel in Brüssel, der Oktobergipfel. Ich würde gerne noch mal kurz zwei Themen da rausgreifen. Das Eine, was auf der Tagesordnung stehen wird – und dafür hat sich auch Deutschland eingesetzt –, das ist die Türkei, die Beitrittsverhandlungen, die Zukunft der Zollunion. Sie selbst haben sich schon lange für ein Ende der Beitrittsverhandlungen ausgesprochen. Die Argumente Pro und Contra sind eigentlich bekannt. Aber es ist ja eigentlich weiter so, dass Deutschland und Österreich da – wenn es so kommt, man sich dafür positioniert – isoliert sind, in der Frage. Also, sind wir in diesem Punkt irgendeinen Schritt weiter? Rechnen Sie mit irgendeinem Schritt in diese Richtung, jetzt beim Gipfel, kommende Woche?
    Weber: Die Stimmung zwischen der Europäischen Union und der Türkei ist nach wie vor sehr, sehr aufgeheizt, sehr emotional. All das, was wir im Sommer erlebt haben von Erdoğan und anderen in der Türkei, prägt natürlich die Stimmungslage. Und da gibt es einige, die sagen: 'Jetzt lasst uns einfach mal ein bisschen abkühlen, lasst uns mal wieder zur Vernunft kommen.' Ich muss andererseits sagen: Wenn ich mir die Situation anschaue, dass deutsche Staatsbürger in der Türkei jetzt im Gefängnis sind – nach unserer Einschätzung ohne Grund –, wenn ich die Entwicklung in der Türkei mir anschaue, dann kann es kein "Weiter so" geben, dann kann es kein "Business as usual" geben. Dann müssen wir in der Lage sein, den Bürgern in Europa zu vergewissern, dass wir verstanden haben, dass wir sagen: 'Die Türkei geht in die falsche Richtung und deswegen können wir die Beitrittsgespräche nicht weiterführen als sei nichts passiert.'
    Vollmitgliedschaftsfrage: "pragmatisch und nicht ideologisch überhöht"
    Klein: Aber rechnen Sie denn mit einem Stimmungswandel unter den europäischen Staaten? Denn dafür gibt es ja nicht mal mehr eine Mehrheit, geschweige denn eine Einstimmigkeit.
    Weber: Ja, es ist so, dass der Wind sozusagen sich dreht. Dass die Erkenntnis, dass wir nicht weitermachen können als sei nichts geschehen, dass diese Erkenntnis eher zunimmt. Ich erwarte jetzt nicht, dass nächste Woche schon die entsprechenden Beschlüsse gefasst werden, aber ich finde es wesentlich, dass der Europäische Rat sich mit dieser Grundsatzfrage unserer Nachbarschaftspolitik beschäftigt. Und ein Punkt ist uns wichtig dabei: Wir dürfen, wenn wir über das Beenden der Beitrittsgespräche reden, weil wir wissen, dass eine Vollmitgliedschaft nicht funktionieren kann – das wissen beide Seiten, wenn wir ehrlich zu uns sind –, dann dürfen wir da aber nicht stehenbleiben dabei. Sondern die Europäische Union muss ein Angebot machen. Wir müssen auf die Türkei zugehen und müssen sagen: Lasst uns jetzt reinen Tisch machen, die Vollmitgliedschaft wird nicht funktionieren, aber wir wollen eng zusammenarbeiten bei den Fragen des Anti-Terror-Kampfes, bei der Frage der Flüchtlinge und auch bei Wirtschaftsfragen. Lasst uns an einen Tisch setzen und über die Zukunft reden – pragmatisch und nicht ideologisch überhöht, mit dieser Vollmitgliedschaftsfrage –, reinen Tisch machen und die Tür öffnen für ein neues Kapitel der Partnerschaft.
    "Wir bräuchten eine klare Ansage aus Großbritannien"
    Klein: Stichwort "Zukunft". Auch die Verhandlungen für Artikel 50, also den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, werden beim Gipfel auf der Tagesordnung stehen. Allerdings nicht ganz so, wie die Briten sich das erhofft hatten. Es wird vermutlich kein Signal geben in die Richtung, dass die zweite Phase der Gespräche wird eröffnet werden können. Was man jetzt aber hört und auch schon lesen kann: Es gibt wohl in sofern Bewegung, als sich Michel Barnier dafür eingesetzt hat, einen Passus in den Abschlussentwurf des Gipfels im Oktober hineinzubringen nach dem Motto: 'Wir sind flexibel und bereiten schon einmal intern Gespräche vor über die Zukunft, über die zukünftigen Beziehungen'. Deutschland und Frankreich sind angeblich da nicht besonders begeistert von – wie sehen Sie das? Sollte schon zumindest jetzt mal ein klares Signal kommen: Im Dezember oder bis Dezember werden wir auch die zweite Phase schon vorbereiten? Das wäre ja doch ein gewisser Schwenk oder ein gewisses Verlassen der bisherigen Linie der Europäischen Union: 'Erst wird der Ausstieg geregelt und dann wird über die Zukunft gesprochen'.
    Weber: Die Überlegungen, jetzt für den Gipfel ein Signal zu senden, haben natürlich als Hintergrund, dass uns von Großbritannien eben diese "Bestimmtheit" vorgeworfen wird, wir wären jetzt zu wenig flexibel. Zunächst einmal muss man analysieren, dass die Ursache für die Blockade, für den jetzigen Stopp der Gespräche, für das Nicht-Vorankommen der Gespräche, eindeutig in London liegt. Wir sind bereit. Wir wissen, was wir wollen. Und wir haben leider Gottes in Großbritannien eine Regierung, die intern streitet zwischen Johnson und Theresa May und David Davis in der Mitte und andererseits auch eine extrem instabile Regierung, wo ja Labour zunimmt, wo sie von den Unionisten in Nordirland abhängig sind, diese Minderheitsregierung. Das heißt, große Instabilität dort. Und wir bräuchten eine klare Ansage aus Großbritannien: Was ist euer Ziel? Wo wollt ihr hin? Über was können wir reden? Das ist der Grund für die heutige Unsicherheit, die wir erleben. Nichts desto Trotz, dass ich erkenne, dass Großbritannien sozusagen die sind, die das verursacht haben, bin ich bereit, dass wir interne Arbeiten machen, dass wir uns damit gedanklich beschäftigen. Aber Eines bleibt, nämlich dass wir in die zweite Phase nur offiziell eintreten können, wenn die drei großen Fragen, die wir jetzt am Anfang auf den Tisch gelegt haben, wenn die wirklich geklärt sind, wenn wir da von Großbritannien ein Signal der Partnerschaft und das "Wir-wollen-mit-euch-weiter-arbeiten", wenn wir dieses verbindliche Signal haben.
    Bürgerrechte der EU-Bürger in Großbritannien
    Klein: Aber ich verstehe Sie schon richtig: So ein gewisses, kleines Zugeständnis – so könnte es ja gelesen werden oder wird es vielleicht auch von London aus gelesen, vonseiten der Kommission oder europäischen Staaten – hinsichtlich: 'Ja, wir bereiten uns auch schon – zumindest intern – vor, über die Zukunft zu sprechen', dieses Signal würden Sie für richtig halten?
    Klein: Das Signal dahinter ist: Europa ist nicht stur. Europa ist nicht verbohrt. Wir wollen ja auch niemanden bestrafen in dem ganzen Prozess. Wir wollen eine gute Lösung für alle Seiten. Deswegen, dieses Signal, das ist das, was wir aussenden müssen, was Europa auch aussenden muss. Wir sind bereit, wir wollen einfach reden miteinander. Aber das wichtigere Signal – das muss ich schon deutlich sagen – ist: Kommt endlich zu Potte! Klärt endlich in London, wo ihr hinwollt! Und wie wir damit umgehen, beispielsweise bei dem Punkt Bürgerrechte. Also die EU-Bürger, die in Großbritannien leben und die Briten, die bei uns in Europa leben, da sind wir morgen abschlussfähig, wenn wir sagen: Lasst uns bitte die bestehenden Rechte, die diese Bürger haben, einfach garantieren. Lasst die Menschen nicht in Unsicherheit, sondern gebt den Menschen Vergewisserung, dass ihr Leben sich nicht ändert nach dem BREXIT. Das ist doch eigentlich ganz einfach zu klären. Wir sind dazu sofort bereit und die Briten sollten jetzt die Hand reichen.
    Klein: Herr Weber, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Weber: Ich bedanke mich.