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Warschauer Aufstand
Das Leid der polnischen Zivilbevölkerung

Bis heute ist der Warschauer Aufstand, die Erhebung der polnischen Heimatarmee gegen die deutschen Besatzungstruppen, Gegenstand historischer Debatten. Aber er soll auch juristisch bewertet werden: Es geht um die Verbrechen, die von deutschen Soldaten begangen wurden. Die Schuldigen sollen - sofern sie noch leben - zur Verantwortung gezogen werden.

Von Florian Kellermann | 01.08.2018
    Denkmal des Warschauer Aufstandes von 1944 vor dem Obersten Gericht in Warschau
    Denkmal des Warschauer Aufstandes von 1944 vor dem Obersten Gericht in Warschau (imago stock & people)
    "Stunde W" wird der der Moment genannt, an dem Warschau heute des Ereignisses vor 74 Jahren gedenkt. Exakt um 17 Uhr begann damals der Aufstand der Heimatarmee AK. Wie damals werden auch heute die Sirenen in der polnischen Hauptstadt heulen, das öffentliche Leben kommt für eine Schweigeminute zum Erliegen.
    Dieses Gedenken kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sinn des Aufstands bis heute umstritten ist. Der Kampf sei aussichtslos gewesen, sagen die Kritiker, die gewaltigen Opfer deshalb umsonst dargebracht.
    Jan Jozef Kasprzyk, Leiter des staatlichen Amts für Kriegsveteranen, widersprach dem gestern im öffentlichen polnischen Fernsehsender TVP Info:
    "Der Aufstand war kein sinnloser Kampf. Nach Ansicht von Historikern hat er dazu beigetragen, dass Polen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht die 17. Sowjetrepublik geworden ist. Stalin hat gesehen, dass es sehr schwer werden würde, die ideologischen Muster der Sowjetunion nach Polen zu übertragen."
    Das größte Massaker gab es an zwei Augusttagen
    Die Ereignisse werden inzwischen aber nicht mehr nur historisch, sondern auch juristisch aufgearbeitet. Das staatliche Institut für das nationale Gedächtnis, kurz IPN, informierte vor dem heutigen Jahrestag, dass es Ermittlungen eingeleitet habe. Es untersuche, wie die deutschen Besatzer den Aufstand niederschlugen, erklärte Marcin Golebiewicz, Staatsanwalt beim IPN:
    "Das Verfahren ist nach Warschauer Stadtteilen gegliedert. Es geht um deutsche Verbrechen an Zivilisten wie an Aufständischen, etwa solchen, die verletzt in Krankenhäusern untergebracht waren. Wir behandeln die deutschen Verbrechen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die deshalb auch nicht verjähren können."
    Die deutschen Besatzungskräfte schlugen den Warschauer Aufstand mit außerordentlicher Brutalität nieder. Kriegsgefangene wurden erschossen, die Luftwaffe bombardierte Wohnhäuser und zahlreiche Krankenhäuser. Darüber hinaus töteten Einsatzkräfte auch außerhalb von Kampfhandlungen planmäßig Zivilisten. Diese wurden häufig aus ihren Wohnhäusern getrieben und auf der Stelle erschossen. Das größte Massaker gab es an zwei Augusttagen im Stadtteil Wola. Unter der Leitung eines SS-Gruppenführers töteten verschiedene deutsche Uniformierte über 30.000 Männer, Frauen und Kinder. Insgesamt wurden des Aufstandes über 150.000 Zivilisten getötet.
    Staatsanwalt Marcin Golebiewicz: "Unser Ziel ist es, alle Erkenntnisse so zu ordnen, dass wir sagen können, wie eine bestimmte Person getötet wurde. In welchem Gebäude, wann und auf welche Weise. Und welche deutsche Formation dafür verantwortlich war."
    Die Ermittlungen des Instituts für das nationale Gedächtnis dürften - nach ihrer Veröffentlichung - in die polnische Diskussion um Kriegsreparationen einfließen. Führende Politiker der rechtskonservativen Regierungspartei PiS haben sich dafür ausgesprochen, eine entsprechende Forderung an Deutschland zu stellen. Die Rede ist von bis zu einer Billion Euro.