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Iran im Herzen der Finsternis

Rafi Pitts Film "Zeit des Zorns", der auch im Wettbewerb der Berlinale lief, spielt im Iran kurz vor der vergangenen Präsidentschaftswahl, nach der die Konflikte im Land eskalierten. Die aufgeladene Stimmung ist zu spüren, indirekt auch die politischen Fronten.

Von Katja Nicodemus | 08.04.2010
    Was ist das für ein iranischer Film, dessen Tonlage eine ganz neue ist? Ein Film, der auf abstrakte Weise von einer sehr konkreten, bodenlosen Wut erzählt? Zu Beginn braucht es sogar einige Zeit, bis klar wird, dass der Film in Teheran spielt. So sehr erinnern die Highways, Betonpfeiler und abgasgrauen Hochhäuser an amerikanische Stadtlandschaften. Die kleine Wohnung des Helden und seiner Familie hängt unter einer Highway-Brücke, die auch in Los Angeles stehen könnte.

    Der Regisseur Rafi Pitts selbst spielt diesen Mann namens Ali, der aus dem Gefängnis entlassen wurde. Da er in einer Fabrik nur Nachtschichten bekommt, ist er kaum in der Lage, seine Familie zu sehen. Als seine Frau und seine kleine Tochter eines Abends nicht nach Hause kommen, wird er bei den Behörden vorstellig.

    Ali beginnt selbst, nach den Vermissten zu suchen. Mit Fotos von Frau und Kind irrt er durch die Straßen, wartet nachts im Auto an einer Kreuzung. Es ist eine verzweifelte Irrfahrt. Es folgen weitere Behördenbesuche. "Zeit des Zorns" gibt zunächst Einblick in ein menschenverachtendes Amtssystem: Ein Mann vermisst seine Familie, aber man behandelt ihn wie einen lästigen Bittsteller. Das Ausharren, bis sich irgendein Beamter erbarmt. Amtsräume, Behördenflure, muffige Büros. Doch diese reduziert erzählten Situationen und die wortlose Wut des Helden verdichten sich zu einem fast abstrakten Bild der Willkür. Dann der Schock.

    Der zweite Schock: Auch Alis kleine Tochter starb bei dem angeblichen Schusswechsel zwischen Polizei und Unruhestiftern. Zunächst frisst der Held seine Wut und Trauer in sich hinein. Aber dann packt Ali, der Freizeitjäger, sein Gewehr ins Auto. Von einem Hügel über den Highways von Teheran schießt er auf ein Polizeiauto. Nach einer Verfolgungsjagd wird Ali von zwei Polizisten gefasst. In den Wäldern nördlich von Teheran beginnt der zweite Teil des Films. Er handelt von einem Mann und zwei Polizisten, die sich mit dem Verhafteten im verregneten Wald verirren. Von einem zynischen, korrupten Polizisten und von einem jungen, der sich von der moralischen Verkommenheit seines Kollegen absetzen will.

    Ein Mann wie Ali, der sich aus der Apathie reißt, reagiert, aggressiv wird, sich wehrt ist etwas Neues im iranischen Gegenwartskino. Bisher handelte dieses Kino fast durchweg von melancholischen, passiven, ja suizidalen Helden. Einsam erduldeten sie Arbeitslosigkeit, Verzweiflung und eine Depression, von der sie nicht ahnten, dass es auch die ihres Landes war. Auch in "Zeit des Zorns" gibt es keine Perspektive. Aber der Film lässt keinen Zweifel daran, dass sich in Iran sehr bald und sehr massiv etwas ändern muss, auf welche Art auch immer. Und dass das Leben eines Verhafteten nicht vom Disput zweier schlecht gelaunter Polizisten in einem verregneten Wald abhängen darf.


    "Zeit des Zorns" entstand im vergangenen Jahr in den Monaten vor der iranischen Präsidentschaftswahl. In ihm steckt der Zorn der grünen Revolution, der oppositionellen Bewegung, die von den Autoritäten brutal unterdrückt wurde. "Zeit des Zorns" ist eine stille Bombe. Ein Kunstwerk seiner Zeit und zugleich der Zeit enthoben. Eine kafkaeske Parabel über Diktatur und Willkür, über die Mechanismen der Repression. Mit einem Helden, der angesichts der Willkür der iranischen Autoritäten und Behörden wie eine Zeitbombe tickt - und irgendwann explodiert. So paradox es klingen mag: "Zeit des Zorns" erzählt vom Iran der Gegenwart, indem er weit über den Iran hinausgeht.